HYP Jahresgruppe
Auf dieser Seite findest Du die in der Jahresgruppe Sanskrit - Lektüre der Hatha Yoga Pradipika (2024-25) erarbeitete Übersetzung der einzelnen Verse der Hatha Yoga Pradipika, eine Wort-für-Wort-Übersetzung mit einer Verlinkung aller Stichwörter zum Sanskrit Glossar, Auszüge aus dem Sanskritkommentar des Brahmananda, Anmerkungen und weiterführende Links.
om̐ namaḥ śivāya
Kapitel 1 Vers 1 : Einleitung
Versmaß: Indravajra
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Übersetzung
- Verehrung sei dem verehrungswürdigen Adinatha (d.h. Shiva), von dem die Wissenschaft des Hatha Yoga gelehrt wurde,
- die wie eine Leiter erstrahlt für den, der den äußerst erhabenen Raja Yoga zu erklimmen wünscht.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śrī-ādi-nāthāya : dem verehrungswürdigen (Shri) uranfänglichen Herrn, Beschützer, Gebieter (Adinatha)
- namaḥ : Verneigung, Verehrung (Namas)
- astu : sei (as)
- tasmai : diesem (Tad)
- yena : durch den (Yad)
- upadiṣṭā : gelehrt wurde (Upadishta)
- haṭha-yoga-vidyā : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha Yoga
- vibhrājate : die erstrahlt (vi + bhrāj)
- pronnata-rāja-yogam : den äußerst erhabenen („hohen“, Pronnata) königlichen Yoga (Raja Yoga)
- āroḍhum : zu erklimmen (ā + ruh)
- icchoḥ : für den, der wünscht (Ichchhu)
- adhirohiṇī : eine Leiter (Adhirohini)
- iva : wie (Iva)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert das Wort rāja-yoga (Königs-Yoga) in diesem Zusammenhang im Sinne des höchsten Bewusstseinszustandes, der im Yogasutra als Asamprajnata (Samadhi) bezeichnet wird, und dessen Kennzeichen (Lakshana) das Zurruhebringen (Nirodha) jeglicher (Sarva) Fluktuationen (des Geistes, Vritti) ist: rāja-yogaś ca sarva-vṛtti-nirodha-lakṣaṇo ’saṃprajñāta-yogaḥ.
Kapitel 1 Vers 2 : Zweck des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Nachdem er sich vor (seinem eigenen) verehrungswürdigen Lehrer und Schutzherrn verneigt hat,
- wird von Yogi Svatmarama die Wissenschaft des Hatha (Yoga) gelehrt, einzig zum Zwecke des Raja Yoga.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- praṇamya : nachdem er sich verneigt hat (pra + nam)
- śrī-gurum : vor dem verehrungswürdigen (Shri) (eigenen) Lehrer, Meister (Guru)
- nātham : dem Schutzherrn (Natha)
- svātmārāmeṇa : Svatmarama
- yoginā : durch den Yogin
- kevalam : einzig, ausschließlich (Kevala)
- rāja-yogāya : zum (Zwecke des) königlichen Yoga (Raja Yoga)
- haṭha-vidyā : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha (Yoga)
- upadiśyate : wird gelehrt (upa + diś)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert das Wort kevalam ("einzig") dahingehend, dass das wichtigste (Mukhya) Ergebnis (Phala) der Wissenschaft des Hatha Yoga allein (Eva) der (Zustand des) Raja–Yoga ist, und nicht (Na) die übernatürlichen Fähigkeiten (Siddhi): rāja-yoga eva mukhyaṃ phalaṃ na siddhayaḥ.
Kapitel 1 Vers 3 : Zweck des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Denjenigen, die den Raja Yoga durch das Umherirren in der Dunkelheit vieler (Lehr-)Meinungen nicht kennen,
- schenkt Svatmarama, eine Quelle des Mitgefühls, die Leuchte des Hatha (Yoga).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bhrāntyā : durch das Umherirren, durch Verwirrung (Bhranti)
- bahu-mata-dhvānte : in der Dunkelheit (Dhvanta) vieler (Bahu) (Lehr-)Meinungen (Mata)
- rāja-yogam : (den) königlichen Yoga (Raja Yoga)
- ajānatām : (denjenigen, die) nicht (er)kennen (jnā)
- haṭha-pradīpikām : die Leuchte des (Hatha Yoga)
- dhatte : gibt, schenkt (dhā)
- svātmārāmaḥ : Svatmarama
- kṛpākaraḥ : eine Quelle (Akara) des Mitgefühls (Kripa)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 4 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Matsyendra, Goraksha und andere kennen zweifellos die Wissenschaft des Hatha (Yoga),
- und Yogi Svatmarama kennt sie durch die Gunst dieser (Meister).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- haṭha-vidyām : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha(-Yoga)
- hi : gewiss, zweifellos (Hi)
- matsyendra-gorakṣādyāḥ : Matsyendra, Goraksha und andere ("die … zum Anfang haben", Adya)
- vijānate : kennen (vi + jnā)
- svātmārāmaḥ : Svatmarama
- atha vā : und (Atha Va)
- yogī : der Yogin
- jānīte : kennt (diese Wissenschaft, jnā)
- tat-prasādataḥ : durch die Gunst (Prasada) dieser (Meister, Tad)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 5 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Der verehrungswürdige Adinatha (d.h. Shiva), Matsyendra, Shabara und Anandabhairava,
- Chaurangin, Mina, Goraksha, Virupaksha und Bileshaya ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śrī-ādi-nātha-matsyendra-śābarānanda-bhairavāḥ : der verehrungswürdige (Shri) uranfängliche Herr, Beschützer, Gebieter (Adinatha), Matsyendra ("Herr der Fische"), Shabara und Anandabhairava ("der Schreckliche, der Glückseligkeit bringt")
- cauraṅgī-mīna-gorakṣa-virūpākṣa-bileśayāḥ : Chaurangin, Mina ("Fisch"), Goraksha ("Kuhhirt"), Virupaksha ("der unförmige Augen hat") und Bileshaya ("Schlange, Maus")
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 6 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Korantaka, Surananda, Siddhapada und Charpati ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- manthānaḥ : Manthana ("der Schüttler")
- bhairavaḥ : Bhairava ("der Furchtbare")
- yogī : der Yogin
- siddhiḥ : Siddhi ("Erfolg")
- buddhaḥ : Buddha ("der Erwachte")
- ca : und (Cha)
- kanthaḍiḥ : Kanthadi
- koraṇṭakaḥ : Korantaka
- surānandaḥ : Surananda ("dessen Glückseligkeit Gott ist")
- siddha-pādaḥ : Siddhapada ("erhabener Siddha")
- ca : und
- carpaṭiḥ : Charpati
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 7 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Kanerin und Pujyapada, Nityanatha, Niranjana,
- Kapalin und Bindunatha, Kakachandishvara mit Namen ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kānerī-pūjya-pādaḥ : Kanerin
- Pujyapada : Pujyapada "dessen Füße (Pada) zu verehren (Pujya) sind"
- ca : und (Cha)
- nitya-nāthaḥ : Nityanatha ("ewiger Beschützer, ewiger Herr")
- nirañjanaḥ : Niranjana ("der ohne Schminke, der Reine")
- kapālī : Kapalin ("der eine Hirnschale als Bettelschale trägt")
- bindu-nāthaḥ : Bindunatha ("Herr des Tropfens, Herr des Samens")
- ca : und
- kāka-caṇḍī-īśvarāhvayaḥ : Kakachandishvara ("Herr der [[Chandi in Form einer Krähe") mit Namen (Ahvaya)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 8 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Allama und Prabhudeva, Ghodacholin und Tintini,
Wort-für-Wort-Übersetzung
- allāmaḥ : Allama
- prabhu-devaḥ : Prabhudeva
- ca : und (Cha)
- ghoḍācolī : Ghodacholin
- ca : und
- ṭiṇṭiṇiḥ : Tintini
- bhānukī : Bhanukin
- nāra-devaḥ : Naradeva ("Fürst")
- ca : und
- khaṇḍaḥ : Khanda
- kāpālikaḥ : Kapalika („Hirnschalenträger“)
- tathā : ebenso (Tatha)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 9 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Diese und andere große Siddhas wandeln, nachdem sie durch die Macht des Hatha Yoga
- den Stab der Zeit (des Todes) zerbrochen haben, im Universum umher.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ity-ādayaḥ : diese und andere (die "so beginnenden", Iti Adi)
- mahā-siddhāḥ : große (Maha) Siddhas ("vollendete Wesen, Meister")
- haṭha-yoga-prabhāvataḥ : durch die Macht, Kraft (Prabhava) des Hatha Yoga
- khaṇḍayitvā : nachdem sie zerbrochen haben (khaṇḍ)
- kāla-daṇḍam : den Stab (Danda) der Zeit, des Todes (Kala)
- brahma-aṇḍe : im Universum, in der Welt ("Ei Brahmans", Brahmanda)
- vicaranti : wandeln umher (vi + car)
- te : diese (Tad)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 10 : Bedeutung des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Für diejenigen, die von sämtlichen Leiden gepeinigt werden, ist der Hatha (Yoga) eine Hütte der Zuflucht.
- Für diejenigen, die mit sämtlichen Yogapraktiken beschäftigt sind, ist der Hatha (Yoga wie) die Schildkröte (bei der Quirlung des Milchozeans) eine feste Grundlage.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- aśeṣa-tāpa-taptānām : für diejenigen, die von allen, sämtlichen (Ashesha) Leiden, Qualen (Tapa) gepeinigt werden (Tapta)
- samāśraya-maṭhaḥ : (wie) eine Hütte, Einsiedelei (Matha) die Zuflucht (gewährt, Samashraya)
- haṭhaḥ : (ist) Hatha (Yoga)
- aśeṣa-yoga-yuktānām : für diejenigen, die mit sämtlichen (Ashesha) Yogapraktiken beschäftigt sind ("konzentriert sind", Yukta); oder: für diejenigen, die vollkommen (Ashesha) im Yoga bzw. mit der Yogapraxis beschäftigt (Yukta) sind
- ādhāra-kamaṭhaḥ : eine Stütze, feste Grundlage (Adhara, (wie) die Schildkröte (Kamatha, nämlich bei der mythologischen Quirlung des Milchozeans)
- haṭhaḥ : (ist) Hatha (Yoga)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 11 : Schutz der Wirksamkeit des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Die Wissenschaft des Hatha (Yoga) ist von einem Yogin, der Erfolg wünscht, streng geheim zu halten.
- (Diese Wissenschaft) ist wirkungsvoll, wenn sie geheimgehalten wird, aber wirkungslos, wenn sie öffentlich gemacht wird.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- haṭha-vidyā : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha (Yoga)
- param : äußerst, aufs äußerste (Para)
- gopyā : zu verbergen, geheim zu halten (Gopya)
- yoginā : von einem Yogin
- siddhim : Erfolg, Vollkommenheit (Siddhi)
- icchatā : der wünscht (iṣ)
- bhavet : (sie) ist, wird sein (bhū)
- vīrya-vatī : kraftvoll, wirkungsvoll, mächtig (Viryavat)
- guptā : (wenn) verborgen, geheimgehalten (Gupta)
- nirvīryā : kraftlos, wirkungslos, machtlos (Nirvirya)
- tu : jedoch (Tu)
- prakāśitā : (wenn) offengelegt, öffentlich gemacht (Prakashita)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 12 : Der Ort der Yogapraxis
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Übersetzung
- In einem guten Königreich voller Rechtschaffenheit, in einer Gegend reich an Almosen, frei von Gefahren,
- soll ein Hatha–Yogin an einem einsamen Ort in einer Hütte wohnen,
- die im Umkreis einer Bogenlänge frei von (Gefahren durch) Felsbrocken, Feuer oder Wasser ist.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- su-rājye : in einem guten Königreich (Surajya)
- dhārmike : voller Tugenden, voller Rechtschaffenheit (Dharmika)
- deśe : in einer Gegend (Desha)
- su-bhikṣe : reich an Nahrungsmitteln, reich an Almosen (Subhiksha)
- nir-upadrave : frei von Gefahren (Nirupadrava)
- dhanuḥ-pramāṇa-paryantam : im Umkreis (Paryanta) einer Bogenlänge (ein Längenmaß, Dhanus-Pramana)
- śilāgni-jala-varjite : frei von (Gefahren durch, Varjita) durch Steine, Felsbrocken (Shila), Feuer (Agni) oder Wasser (Jala)
- ekānte : an einem einsamen Ort (Ekanta)
- maṭhikā-madhye : inmitten (Madhya) einer Hütte, Klause, Einsiedelei (Mathika)
- sthātavyam : soll wohnen ("ist zu wohnen", Sthatavya)
- haṭha-yoginā : ein Hatha–Yogin
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda gibt eine "Bogenlänge" als ein "Maß (Matra) von vier (Chatur) Ellen (Hasta) an, was ca. 184 cm entspricht: dhanuḥ-pramāṇaṃ catur-hasta-mātraṃ. Dort, wo (yatra) sich der Sitz (Asana) des Yogin befindet, sollen im Unkreis (Paryanta) einer Bogenlänge bzw. in einer Entfernung (Matra) von vier Ellen (catur-hasta) keine Steine (Shila), kein Feuer (Agni) und kein Wasser (Jala) sein: yatrāsanaṃ tataś catur-hasta-mātre śilāgni-jalāni na syuḥ.
Kapitel 1 Vers 13 : Der Ort der Yogapraxis
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Die (folgende) Beschreibung einer Yoga-Klause wurde von den Hatha(-Yoga) praktizierenden vollkommenen Meistern überliefert:
- Sie hat eine kleine Tür, keine Fenster, Löcher oder Vertiefungen (im Boden), ist weder zu hoch noch zu niedrig,
- ist vollständig mit einer dicken (Schicht aus) Kuhdung beschmiert, rein, vollkommen frei von Ungeziefer,
- und der Außenbereich ist mit einer Mauer umgeben und schön (ausgestattet) mit einem (kleinen) Schrein, einem Opferaltar und einem Brunnen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- alpa-dvāram : mit kleiner (Alpa) Tür (Dvara)
- arandhra-garta-vivaram : ohne Öffnung, ohne Fenster (a-Randhra), ohne Loch, Grube (a-Garta: ohne Löcher oder Vertiefungen, eben), ohne Öffnung, Spalte, schadhafte Stelle (a-Vivara: ohne Spalten)
- nāty-ucca-nīcāyatam : nicht (Na) allzu (Ati) hoch (Uchcha) niedrig (Nicha) sich erstreckend, sich ausdehnend (Ayata)
- samyak-gomaya-sāndra-liptam : vollständig, auf die rechte Weise (Samyak) beschmiert (Lipta) mit einer dicken (Sandra Schicht aus) Kuhdung (Gomaya)
- amalam : makellos, rein (Amala)
- niḥśeṣa-jantūjjhitam : vollständig, restlos (Nihshesha) frei (von, Ujjhita) Ungeziefer, Insekten, Getier (Jantu)
- bāhye-maṇḍapa-vedi-kūpa-ruciram : draußen, außerhalb (der Hütte, Bahya) einen) einer Gottheit geweihten Ort, (einen kleinen) Schrein (Mandapa) Opferaltar (Vedi) Brunnen (Kupa) schön, ansprechend, zusagend (durch, Ruchira)
- prākāra-saṁveṣṭitam : umgeben mit (Samveshtita) einer Mauer, einem Wall (Prakara)
- proktam : wurde gegeben, wurde gelehrt (Prokta)
- yoga-maṭhasya : einer Yoga-Klause (Yoga–Matha)
- lakṣaṇam : Beschreibung ("Definition", Lakshana)
- idam : diese (Idam)
- siddhaiḥ : von den vollkommenen Meistern (Siddha)
- haṭhābhyāsibhiḥ : den Praktzierenden (Abhyasa) des Hatha (Yoga)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 14 : Der Ort der Yogapraxis
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Übersetzung
- In einer sogearteten Klause wohnend, aller Sorgen ledig,
- soll (der Yogin) in der Weise, wie es von (seinem) Meister gelehrt wurde, ausschließlich Yoga praktizieren.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- evaṁ-vidhe : in einer sogearteten (Evamvidha)
- maṭhe : Klause (Matha)
- sthitvā : sich befindend, wohnend (sthā)
- sarva-cintā-vivarjitaḥ : aller (Sarva) Sorgen (Chinta) ledig (Vivarjita)
- gurūpadiṣṭa-mārgeṇa : in der Weise ("auf dem Weg", Marga) wie es gelehrt wurde (Upadishta) vom (eigenen) Meister (Guru)
- yogam : den (Hatha) Yoga
- eva : einzig, allein, ausschließlich (Eva)
- samabhyaset : soll man praktizieren (sam + abhi + as)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 15 : Was dem Erfolg der Yogapraxis schadet
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Übersetzung
- Übermaß im Essen und Überanstrengung, Geschwätz, Regelversessenheit,
- Umgang mit Leuten und Unbeständigkeit - durch (diese) sechs wird die Yogapraxis wirkungslos.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- atyāhāraḥ : Übermaß im Essen (Atyahara)
- prayāsaḥ : (unangemessene) Anstrengung, Überanstrengung (Prayasa)
- ca : und (Cha)
- prajalpaḥ : Geschwätz, unbesonnene Worte (Prajalpa)
- niyama-grahaḥ : Sichklammern (an), Bestehen, Versessensein (auf, Graha) (unangemessene) Regel(n), Gelübde, Observanz(en, Niyama)
- jana-saṅgaḥ : (unpassender) Umgang, Verkehr (Sanga) mit Leute(n, Jana)
- ca : und
- laulyam : Unruhe, Unbeständigkeit, Gier, Verlangen (Laulya)
- ca : und
- ṣaḍbhiḥ : durch (diese) sechs (Shash)
- yogaḥ : der Yoga
- vinaśyati : geht verloren, wird zunichte, wird wirkungslos (vi + naś)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 16 : Was dem Erfolg der Yogapraxis nützt
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Übersetzung
- Durch Entschlusskraft, Mut, Ausdauer, durch die Erkenntnis der Wahrheit, durch Vertrauen
- und durch Aufgeben des Umgangs mit Leuten - durch (diese) sechs führt die Yogapraxis zum Erfolg.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- utsāhāt : durch festen Willen, Entschlusskraft (Utsaha)
- sāhasāt : durch Mut (Sahasa)
- dhairyāt : durch Ausdauer, ruhiges Wesen (Dhairya)
- tattva-jñānāt : durch die Erkenntnis (Jnana) der Wahrheit (des "Soseins", Tattva)
- ca : und (Cha)
- niścayāt : durch sicheres Wissen, genaue Kentniss, Überzeugung, Vertrauen (in die Lehren des Meisters, Nishchaya)
- jana-saṅga-parityāgāt : durch Aufgeben (Parityaga) (unförderlicher) Gemeinschaft (Sanga) mit Menschen (Jana)
- ṣaḍbhiḥ : durch (diese) sechs (Shash)
- yogaḥ : der Yoga
- prasidhyati : führt zum Erfolg, gelingt (pra + sidh)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 17 : Die zehn Yamas
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Übersetzung
- Gewaltlosgkeit, Wahrhaftigkeit, Nichtstehlen, Enthaltsamkeit, Geduld, Entschlossenheit,
- Mitgefühl, Aufrichtigkeit, Mäßigung beim Essen sowie Reinheit - (dies sind) die zehn Yama (genannten Regeln).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ahiṁsā : Gewaltlosgkeit, Nichtschädigen (Ahimsa)
- satyam : Wahrhaftigkeit (Satya)
- asteyam : Nichtstehlen (Asteya)
- brahmacaryam : Enthaltsamkeit ("Wandel im Brahman", Brahmacharya)
- kṣamā : Geduld, Langmut, Nachsicht (Kshama)
- dhṛtiḥ : (innere) Festigkeit, Entschlossenheit (Dhriti)
- dayā : Mitgefühl (Daya)
- ārjavam : Aufrichtigkeit, Redlichkeit (Arjava)
- mitāhāraḥ : Mäßigung beim Essen (Mitahara)
- śaucam : Reinheit, Reinlichkeit (Shaucha)
- ca : und (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- yamāḥ : Yama (genannten Regeln)
- daśa : (dies sind) die zehn (Dasha)
Erläuterungen
Textgeschichtlich handelt es sich bei den Versen 17 und 18, die eine Aufzählung der Yamas und Niyamas beinhalten, um spätere Einschübe. Dies ist daraus ersichtlich, dass sie der Kommentator Brahmananda nicht kommentiert, also offensichtlich in seinen Handschriften nicht vorliegen hatte. Auffällig ist die Ähnlichkeit mit den fünf im Yogasutra (2.30) aufgezählten Yamas (es fehlt lediglich Aparigraha). Bei Patanjali wiederum zählt die "Reinlichkeit" (Shaucha) zu den Niyamas (vgl. auch die Anmerkung zu Vers 40 dieses Kapitels).
Kapitel 1 Vers 18 : Die zehn Niyamas
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Übersetzung
- Askese, Zufriedenheit, Glaube an Gott, Freigebigkeit, die (rituelle) Verehrung Gottes,
- das Hören der Aussagen der Lehrtexte, eine natürliche Scheu, Einsicht, halblaute Mantrarezitation und (rituelles) Opfer -
- (dies sind) die zehn von den Yogatextkundigen genannten Regeln (namens) Niyama.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tapaḥ : Askese, innere Glut, Inbrunst, Verinnerlichung (Tapas)
- santoṣaḥ : Zufriedenheit (Santosha)
- āstikyam : Glaube an Gott, Gläubigkeit (Astikya)
- dānam : Freigebigkeit (Dana)
- īśvara-pūjanam : die Verehrung (Pujana) des Herrn, Gottes (Ishvara)
- siddhānta-vākya-śravaṇam : das Hören (Shravana) der Lehrsätze, Aussprüche, Aussagen (Vakya) der Lehrbücher, der heiligen Texte (Siddhanta)
- hrī-matī : Scham, Schamhaftigkeit (das Gegenteil von Unverschämtheit, d.h. eine natürliche Scheu und Zurückhaltung, Hri) und Einsicht (Mati)
- ca : und (Cha)
- japaḥ : halblautes Wiederholen eines Gebetes oder Mantras (Japa)
- hutam : Opfer (Huta)
- niyamāḥ : (sind die als) Niyamas (bezeichneten Regeln)
- daśa : zehn (Dasha)
- samproktāḥ : die genannt werden (Samprokta)
- yoga-śāstra-viśāradaiḥ : von denjenigen, die mit den Yoga-Schriften (Yoga–Shastra) vertraut sind (Visharada)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 19 : Asana
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Übersetzung
- Die Körperstellungen bewirken (körperliche und geistige) Festigkeit, Gesundheit und Leichtigkeit des Körpers.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- haṭhasya : des Hatha(-Yoga)
- prathamāṅgatvāt : denn das ist das erste (Prathama) Glied (Anga)
- āsanam : Asana ("Sitz", hier i.S. von "Körperstellungen")
- pūrvam : zuerst, als erstes (Purva)
- ucyate : wird genannt, gelehrt (vac)
- kuryāt : bewirkt (kṛ)
- tat : dieses (Tad)
- āsanam : Asana (die Gesamtheit der zu lehrenden Körperstellungen)
- sthairyam : (körperliche und geistige) Festigkeit, Ausdauer (Sthairya)
- ārogyam : Gesundheit (Arogya)
- ca : und (Cha)
- aṅga-lāghavam : Leichtigkeit (Laghava) der Glieder, des Körpers (Anga)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 20 : Asana
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Übersetzung
- Von mir (Svatmarama) werden (nun) einige Körperstellungen gelehrt,
- die (bereits) von den Weisen Vasishtha usw. und den Yogins Matsyendra usw. akzeptiert worden sind.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vasiṣṭhādyaiḥ : Vasishtha usw., und anderen (Adya)
- ca : und, sowohl (Cha)
- munibhiḥ : von den Weisen (Muni)
- matsyendrādyaiḥ : Matsyendra usw., und anderen
- ca : und, als auch
- yogibhiḥ : von Yogins (wie)
- aṅgī-kṛtāni : die akzeptiert, berücksichtigt worden sind (Angikrita)
- āsanāni : Asanas (Körperstellungen)
- kathyante : werden genannt, gelehrt (kath)
- kāni-cit : einige (Ka Chid)
- mayā : von mir (Mad)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 21 : Svastikasana
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Übersetzung
- Indem man beide Fußsohlen auf die rechte Weise zwischen Unter- und Oberschenkel gebracht hat,
- mit aufrechtem Körper sitzend - diese (Sitzhaltung) nennt man Svastika.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jānūrvoḥ : Knie (Janu) und Oberschenkel (Uru)
- antare : zwischen (Antara)
- samyak : auf die rechte Weise (Samyak)
- kṛtvā : gebracht ("gemacht") habend (kṛ)
- pāda-tale : Fußsohlen (Pada–Tala)
- ubhe : beide (Ubha)
- ṛju-kāyaḥ : mit aufrechtem (Riju) Körper (Kaya)
- samāsīnaḥ : sitzend (Samasina)
- svastikam : Svastika ("gekreuzter Sitz, der Glückbringende")
- tat : das, diese (Sitzhaltung, Tad)
- pracakṣate : nennt man (pra + cakṣ)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "Knie" (Janu) der in der Nähe (Samnihita) des Knies befindliche Teil (Pradesha) des Unterschenkels (Jangha) gemeint ist: jānu-saṃnihito jaṅghā-pradeśaḥ.
Kapitel 1 Vers 22 : Gomukhasana
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Übersetzung
- Man lege den rechten Knöchel an die linke Seite des Gesäßes,
- und den linken (Knöchel) an die rechte (Seite des Gesäßes. Diese Sitzposition heißt) Gomukha, (denn man sitzt) in Form des Gesichts einer Kuh.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- savye : an die linke (Savya)
- dakṣiṇa-gulpham : den rechten (Dakshina) Knöchel (Gulpha)
- tu : jedoch, wiederum (Tu)
- pṛṣṭha-pārśve : Seite (Parshva) des Gesäßes ("Rückens", Prishtha)
- niyojayet : man lege (ni + yuj)
- dakṣiṇe : an die rechte (Seite des Gesäßes)
- api : auch, und (Api)
- tathā : ebenso (Tatha)
- savyam : den linken (Knöchel)
- go-mukham : (diese Sitzposition heißt) Gomukha ("Kuhgesicht")
- go-mukhākṛtiḥ : (denn man sitzt) in Form (Akriti) des Gesichts (Mukha) einer Kuh (Go)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "an der Seite des (unteren) Rückens" (pṛṣṭha-pārśve) der untere (Adhas) Teil (Bhaga) der Hüfte (Kati) gemeint ist: kaṭer adho-bhāge.
Kapitel 1 Vers 23 : Virasana
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Übersetzung
- Man lege den einen Fuß fest auf den anderen Oberschenkel,
- desgleichen den (anderen) Oberschenkel auf den anderen (Fuß) - so wird die Helden-Stellung (Virasana) gelehrt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ekam : einen (Eka)
- pādam : Fuß (Pada)
- tathā : und (Tatha)
- ekasmin : auf den anderen ("einen")
- vinyaset : man lege (vi + ni + as)
- ūruṇi : Oberschenkel (Uru)
- sthiram : fest (Sthira)
- itarasmin : auf den anderen (Fuß, Itara)
- tathā : ebenso, desgleichen
- ca : und (Cha)
- ūrum : den (anderen) Oberschenkel
- vīrāsanam : die Helden-Stellung (Virasana)
- iti : so (Iti)
- īritam : wird gelehrt (Irita)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt es so: Man lege (vinyaset) den rechten (Dakshina) Fuß (Pada) fest (Sthira) auf den linken (Vama) Oberschenkel (Uru) und den rechten Oberschenkel (uruṃ dakṣiṇam) auf den linken Fuß (vāme pāde): dakṣiṇaṃ pādam … vāmoruṇi sthiraṃ vinyaset … vāme pāde ūruṃ dakṣiṇaṃ vinyaset.
Somit liegt der rechte Fuß auf dem linken Oberschenkel und der linke Fuß unter dem rechten Oberschenkel, mit anderen Worten, das rechte Bein liegt im kreuzbeinigen Sitz über dem linken Bein. Im Gegensatz zum halben Lotussitz (Ardha–Padmasana) liegen die Füße hier jedoch in Knienähe auf bzw. unter dem Oberschenkel des jeweils anderen Beines. Diese Sitzhaltung wird auch Ardhasana ("halbe Sitzhaltung") genannt.
Kapitel 1 Vers 24 : Kurmasana
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Übersetzung
- Konzentriert (sitzend), den Damm mit von einander weg weisenden Knöcheln drückend -
- das ist die Schildkröten-Stellung (Kurmasana). So wissen es die Yogakundigen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gudam : den Anus (Guda, hier i.S. von Damm bzw. Beckenboden)
- nirudhya : in dem man verschließt, drückt (ni + rudh)
- gulphābhyām : mit beiden Knöcheln (Gulpha)
- vyutkrameṇa : "in umgekehrter Ordnung", auseinander gehend, von einander weg weisend (Vyutkrama)
- samāhitaḥ : konzentriert (sitzend, Samahita)
- kūrmāsanam : die Schildkröten-Stellung (Kurmasana)
- bhavet : soll sein, sei (zu verstehen als, bhū)
- etat : das, diese (Sitzposition, Etad)
- iti : so (Iti)
- yoga-vidaḥ : die Yogakundigen (Yogavid)
- viduḥ : kennen, wissen (es, vid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda gibt hier keine nähere Erklärung, wie vyutkrameṇa ("auseinander gehend, in umgekehrter Reihenfolge") zu verstehen ist. Es ist wohl gemeint, dass man sich auf beide Knöchel (Gulpha) setzt, wobei diese nicht zueinander zeigen, sondern beide jeweils nach oben weisen und rechts und links neben dem Anus (Guda) Druck ausüben. Die Stellung ähnelt dann dem Fersensitz (Vajrasana), in Kurmasana liegen die Fersen jedoch zueinander zeigend nahe beisammen, und die Zehen weisen nach außen.
In der Gheranda Samhita (2.32) wird Kurmasana in ganz ähnlichen Worten, jedoch noch etwas ausführlicher beschrieben:
- gulphau ca vṛṣaṇasyādho vyutkrameṇa samāhitau |
- ṛju-kāya-śiro-grīvaṃ kūrmāsanam itīritam ||2.32||
- "Beide Knöchel (Gulpha) unterhalb des Hodensacks (Vrishana, die Füße) auseinander weisend, (sitze man) konzentriert (Samahita),
- Körper (Kaya), Kopf (Shiras) und Nacken (Griva) gerade (haltend) – so wird Kurmasana beschrieben."
Kapitel 1 Vers 25 : Kukkutasana
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Übersetzung
- Nachdem man, den Lotussitz eingenommen habend, beide Unterarme zwischen Unter- und Oberschenkel
- gesteckt hat, (und) sich - in der Luft befindlich - auf dem Boden abstützt, (ist dies) die Hahnenstellung (Kukkutasana).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- padmāsanam : den Lotussitz (Padmasana)
- tu : aber, wiederum (Tu)
- saṁsthāpya : eingenommen habend, herstellend (sam + sthā)
- jānūrvoḥ : Knie (Janu i.S. von Unterschenkel) und Oberschenkel (Uru)
- antare : zwischen (Antara)
- karau : beide Hände, Unterarme (Kara)
- niveśya : steckend (ni + viś)
- bhūmau : (und dann) auf die Erde, den Boden (Bhumi)
- saṁsthāpya : aufstellend, stützend
- vyoma-stham : (wenn man sich so nach oben drückt und) in der Luft befindet (Vyomastha)
- kukkuṭāsanam : (ist dies die) Hahnenstellung (Kukkutasana)
Erläuterungen
Das Neutrum vyoma-stham "in der Luft befindlich" kann hier adverbiell verstanden werden.
Zum Verständnis des Dvandva-Kompositums jānūrvoḥ (Genitiv Dual m.) vergl. die Anmerkung zu Vers 1.21 (Svastika).
Kapitel 1 Vers 26 : Uttanakurmasana
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Übersetzung
- Nachdem man die Hahnenstellung (Kukkutasana) eingenommen hat, (und) mit beiden Händen den Hals umfasst hat,
- sei man wie eine Schildkröte, die ihre Unterseite zeigt - das ist die auf dem Rücken liegende Schildkröte (Uttanakurmaka).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kukkuṭāsana-bandha-sthaḥ : sich in (der Ausgangs-)Position (Bandha in Form der) Hahnenstellung (Kukkutasana) befindend (Stha)
- dorbhyām : mit beiden Unterarmen (Dos hier i.S. von Händen)
- sambadhya : umschließend, umfassend (sam + bandh)
- kandharām : den Hals (Kandhara)
- bhavet : sei man, werde man (bhū)
- kūrma-vat : wie eine Schildkröte (Kurma)
- uttānaḥ : die ihre Unterseite zeigt bzw. "öffnet" (Uttana)
- etat : das, diese (Position heißt, Etad)
- uttāna-kūrmakam : Uttanakurmaka "die nach oben geöffnete (d.h. auf dem Rücken liegende oder aufgerichtete) Schildkröte"
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 27 : Dhanurasana
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Übersetzung
- Nachdem man mit beiden Händen beide großen Zehen ergriffen hat, führe man - bis an ein Ohr -
- das Heranziehen (der Sehne) eines Bogens aus. (Das) wird Bogenstellung (Dhanurasana) genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pādāṅguṣṭhau : beide großen Zehen ("Fuß-Daumen", Pada–Angushtha)
- tu : aber, wiederum (Tu)
- pāṇibhyām : mit beiden Händen (Pani)
- gṛhītvā : ergreifend, haltend (grah)
- śravaṇāvadhi : bis zu ("bis zur Grenze", Avadhi) einem Ohr (Shravana)
- dhanur-ākarṣaṇam : das Spannen, Heranziehen (Akarshana der Sehne eines) Bogens (Dhanus)
- kuryāt : man soll machen, ausführen (kṛ)
- dhanur-āsanam : Bogenstellung (Dhanurasana)
- ucyate : wird genannt (vac)
Erläuterungen
Aus Brahmanandas Kommentar wird deutlich, dass es sich nicht um die klassische, als "Bogen" bekannte Stellung Dhanurasana handelt. In der hier beschriebenen Stellung sitzt man im gestreckten Sitz, fasst beide großen Zehen jeweils mit einer Hand und hält einen Arm (ekaṃ pāṇim) und das Bein derselben Körperseite weiterhin ausgestreckt (prasāritaṃ kṛtvā). Dann zieht man die andere Hand (itaraṃ pāṇim), indem man den Arm beugt (ākuñcitaṃ kuryāt), samt Fuß bis zum Ohr (karṇa-paryantam), als wolle man einen Bogen (Dhanus) spannen: ekaṃ pāṇiṃ prasāritaṃ kṛtvā … itaraṃ pāṇiṃ karṇa-paryantam ākuñcitaṃ kuryāt. Die hier beschriebene Stellung ist auch als Akarshana Dhanurasana bekannt.
Kapitel 1 Vers 28 : Matsyendrasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
- Nachdem man den rechten Fuß auf den Ursprung des linken Oberschenkels aufgelegt hat,
- sowie den linken Fuß an die Außenseite des (rechten) Knies angelegt hat, (und mit der linken Hand den rechten Fuß oberhalb des Knöchels und mit der rechten Hand den linken Fuß) ergriffen hat,
- verweile man mit (nach links) gedrehtem Körper.
- Diese Körperstellung ist von dem erhabenen Matsya Natha gelehrt worden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vāmoru-mūlārpita-dakṣa-pādam : den rechten (Daksha) Fuß (Pada), der auf den Ursprung, Ansatz (Mula) des linken (Vama) Oberschenkels (Uru) aufgelegt (Arpita) ist
- jānoḥ : des (rechten) Knies (Janu)
- bahiḥ : an die Außenseite ("außerhalb", Bahis)
- veṣṭita-vāma-pādam : den linken Fuß, der angelegt ("gewunden", Veshtita) ist
- pragṛhya : (entsprechend mit der linken bzw. rechten Hand) ergreifend (pra + grah)
- tiṣṭhet : verharre, verweile man (sthā)
- parivartitāṅgaḥ : mit (nach links) gedrehtem (Parivartita) Körper (Anga)
- śrī-matsya-nāthoditam : von dem erhabenen (Shri) Matsya Natha (Matsyendra, "Herr der Fische") gelehrt worden (Udita)
- āsanam : (diese) Körperstellung (Asana)
- syāt : ist ("sei", as)
Erläuterungen
Aus Brahmanandas detailliertem Kommentar zu diesem Vers wird diese komplexe Stellung in allen Einzelheiten klar: Man legt den rechten Fuß an den Ursprung des linken Oberschenkels, d.h. in die Leistengegend. Der linke Fuß wird an die Außenseite des rechten Knies (welches den Boden berührt) gestellt. Dann führt man den rechten Arm an der Außenseite des (aufgestellten) linken Knies vorbei und ergreift (pragṛhya) mit der rechten Hand (Pani) den (aufgestellten) linken Fuß, wodurch der Körper (Anga) einschließlich des Gesichts (Mukha) nach links gedreht (Parivartita) wird. Zudem führt man den linken Arm hinter dem Rücken (Prishtha) zum rechten Fuß und ergreift (pragṛhya) diesen (von rechts kommend) oberhalb des Knöchels (Gulpha). Im Anschluss soll die Stellung zur anderen Seite (gespiegelt), also nach rechts gedreht, ausgeführt werden.
Syntax: Das Absolutivum pragṛhya (wörtl.: "ergriffen habend") bezieht sich jeweils auf das Kompositum vāmoru-mūlārpita-dakṣa-pādam im erstem Pada und veṣṭita-vāma-pādam im zweiten Pada. In der hier beschriebenen Version von Matsyendrasana hält somit die linke Hand den rechten Fuß (oberhalb des Knöchels) und die rechte Hand den linken Fuß.
Kapitel 1 Vers 29 : Matsyendrasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
- Die Körperhaltung des Matsyendra ist eine Waffe zum Beseitigen einer Menge überaus schrecklicher Krankheiten,
- und verleiht den Menschen, aufgrund ihrer Praxis, das Aufflammen des Verdauungsfeuers, das Erwachen der Kundalini, und die Beständigkeit des Mond(nektar)s.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- matsyendra-pīṭham : die Körperhaltung ("Sitz", Pitha) des Matsyendra
- jaṭhara-pradīptim : das Aufflammen (Pradipti) des Magens, Verdauungsfeuers (Jathara)
- pracaṇḍa-rug-maṇḍala-khaṇḍanāstram : (ist) eine Waffe (Astra) zum) Beseitigen ("Zerstückeln", Khandana) einer Schar, Menge (Mandala) von überaus heftigen, grimmigen, schrecklichen, (Prachanda) Krankheiten (Ruj)
- abhyāsataḥ : aufgrund (ihrer) Praxis, durch das Üben (Abhyasa + Suffix -tas, hier i.S. des Ablativs)
- kuṇḍalinī-prabodham : das Erwachen (Prabodha) der Kundalini
- candra-sthiratvam : die Beständigkeit, Bewegungslosigkeit, Festigkeit (Sthiratva) des Mondes (Chandra, des "Tropfens" Bindu, des Nektars)
- ca : und (Cha)
- dadāti : (sie) gibt, verleiht, verursacht (dā)
- puṁsām : den Menschen (Pums)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich der "Mond" (Chandra) in der Region (Bhaga) oberhalb (Upari) des Gaumens (Talu) befindet (Sthita) und ständig (Nitya) herabtropft (kṣarataḥ). Die Stellung des Matsyendra bewirkt (dadāti) die Festigkeit (Sthiratva) bzw. das "Nichtsein" (Abhava) dieses Herabfließens (Ksharana): candrasya tāluna upari-bhāge sthitasya nityaṃ kṣarataḥ sthiratvaṃ kṣaraṇābhāvaṃ ca dadāti.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 92 behandelt.
Kapitel 1 Vers 30 : Pashchimatanasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
- Beide Beine auf der Erde wie zwei Stöcke ausgestreckt habend,
- mit beiden Händen die beiden Fußspitzen ergreifend,
- und den Bereich der Stirn auf die Knie ablegend
- verweile man - diese (Stellung) nennt man "Ausdehnung des Westens" (Pashchimatana).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prasārya : ausgestreckt habend (pra + sṛ)
- pādau : beide Beine (Pada)
- bhuvi : auf der Erde, dem Erdboden (Bhu)
- daṇḍa-rūpau : (zweier) Stöcke (Danda) ähnlich der) Form (Rupa)
- dorbhyām : mit beiden Händen ("Unterarmen", Dos)
- padāgra-dvitayam : die zwei ("das Paar der", Dvitaya) Spitzen (Agra) der Füße (Pada)
- gṛhītvā : ergreifend, haltend ("ergriffen habend", grah)
- jānūpari-nyasta-lalāṭa-deśo : die Gegend, den Bereich (Desha) der Stirn (Lalata) über, auf (Upari) die Knie (Janu) ablegend (ni + as)
- vaset : verweile man (vas)
- idam : das, diese (Stellung, Idam)
- paścima-tānam : Dehnung, Ausdehnung (Tana) der (Körper-)Rückseite ("des Westens", Pashchima)
- āhuḥ : nennt man (ah)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass man mit den gekrümmten (Akunchita) Zeigefingern (Tarjani) der beiden Hände (Dos) den Bereich (Pradesha) der beiden (Yugma) großen Zehen (Angushtha greifen und) kräftig (Bala) heranziehen (Akarshana) soll: dorbhyām ākuñcita-tarjanībhyāṃ … aṅguṣṭha-pradeśa-yugmaṃ balād ākarṣana-purvakam. Die hier beschriebene Stellung ist auch als Pashchimottanasana bekannt.
Kapitel 1 Vers 31 : Pashchimatanasana
Versmaß: Aupachchhandasika
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Übersetzung
- In dieser Weise ist die Ausdehnung der Rückseite (Pashchimatana) die vorzüglichste der Körperstellungen,
- sie lässt die Lebensenergie durch die (Körper-)Rückseite fließen,
- bewirkt das Anwachsen des Verdauungsfeuers,
- Schlankheit und Gesundheit der Menschen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- iti : so, in dieser Weise (Iti)
- paścima-tānam : (ist) die Ausdehnung der Rückseite, des Westens (Pashchimatana)
- āsanāgryam : die vorzüglichste, beste, erste (Agrya) der) Sitzpositionen, Körperstellungen (Asana)
- pavanam : den Atem, die Lebensenergie Prana ("den Wind", Pavana)
- paścima-vāhinam : durch die Körper-)Rückseite (Pashchima, d.h. durch Sushumna) fließen ("fließend", Vahin)
- karoti : sie lässt ("macht", kṛ)
- udayam : das Emporsteigen, Anschwellen, Anwachsen (Udaya)
- jaṭharānalasya : des Feuers (Anala) des Magens (Jathara)
- kuryāt : sie bewirkt ("soll bewirken", kṛ)
- udare : im (Bereich des) Bauches (Udara)
- kārśyam : Schlankheit (Karshya)
- arogatām : Gesundheit ("Krankheitslosigkeit", Arogata)
- ca : und (Cha)
- puṁsām : der Menschen (Pums)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt paścima-vāhinam ("hinten fließend") im Sinne von "(die Lebensenergie) fließt (dann) durch die Sushumna": paścima-mārgeṇa suṣumnā-mārgeṇa vahatīti.
Kapitel 1 Vers 32 : Mayurasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
- Sich mit beiden Händen auf den Erdboden stützend,
- und sich mit den Ellenbogen der (beiden Arme) seitlich des Nabels stabilisierend
- (gerade wie) ein Stock hoch in die Luft erhoben verweilend -
- diese Körperstellung nennt man Pfau.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dharām : auf die Erde, den Erdboden (Dhara)
- avaṣṭabhya : sich stützend ("sich abgestützt habend ", ava + stabh)
- kara-dvayena : mit beiden ("mit dem Paar", Dvaya) Händen (Kara)
- tat-kūrpara-sthāpita-nābhi-pārśvaḥ : die Seiten, Flanken (Parshva) des Nabels (Nabhi) haltend, stabilisierend (Sthapita) mit den Ellenbogen (Kurpara) der (beiden Hände bzw. Arme, Tad)
- uccāsanaḥ : hoch, oben, in der Höhe (Uchcha) verweilend (Asana i.S.v. Verweilen)
- daṇḍa-vat : wie ein Stock (Danda)
- utthitaḥ : erhoben, aufgerichtet (Utthita)
- khe : in der Luft ("im Luftraum", Kha)
- māyūram : (Stellung) des Pfauen ("die zum Pfau gehörige", Mayura)
- etat : diese (Etad)
- pravadanti : nennt man (pra + vad)
- pīṭham : Körperstellung ("Sitz", Pitha)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 33 : Mayurasana
Versmaß: Malini
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Übersetzung
- Schnell verscheucht sie sämtliche Krankheiten wie Unterleibsgeschwulste, (Anschwellungen des) Bauches usw.
- und besiegt die (Störungen der drei) Doshas - die ehrwürdige Pfauenstellung.
- Sie verwandelt Nahrung, (bestehend in zu) vielen oder abgestandenen Speisen, (gleichsam) vollständig in Asche,
- bringt das Verdauungsfeuer zum Vorschein, und verdaut (sogar das Gift) Kalakuta.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- harati : verscheucht, überwältigt (hṛ)
- sakala-rogān : alle, sämtliche (Sakala) Krankheiten (Roga)
- āśu : schnell, geschwind (Ashu)
- gulmodarādīn : (wie z.B.) Unterleibsgeschwulst, vergrößerte Milz (Gulma, Anschwellung des) Bauches, (Udara) usw., und andere ("angefangen mit", Adi)
- abhibhavati : besiegt, überwältigt (adhi + bhū)
- ca : und (Cha)
- doṣān : (gestörte) Doshas ("Schaden, Fehler, Gebrechen", ein Übermaß an Vata, Pitta oder Kapha)
- āsanam : die Körperstellung (Asana)
- śrī-mayūram : ehrwürdiger (Shri) Pfau (Mayura)
- bahu-kad-aśana-bhuktam : Nahrung ("Gegessenes" Bhukta, bestehend in (zu) vielen (Bahu oder) abgestandenen (oder überlagerte "schlechte") Speisen, Ashana)
- bhasma : (zu) Asche (Bhasman)
- kuryāt : macht, verwandelt (kṛ)
- aśeṣam : vollständig, restlos (Ashesha)
- janayati : bringt hervor, erzeugt (jan)
- jaṭharāgni : das Feuer (Agni) des Magens, des Bauches (Jathara), das Verdauungsfeuer (Jatharagni)
- jārayet : verdaut (jṛ)
- kāla-kūṭam : (das Gift) Kalakuta ("Fallstrick des Todes")
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass "sie macht zu Asche" (Bhasman kuryāt) "sie verdaut" (pācayet) bedeutet, insofern die Verdauung mit einem Verbrennungsprozess verglichen wird: bhasma kuryāt pācayet.
In der traditionellen indischen Lehre des Ayurveda sowie in der tibetischen Medizin steht das "Feuer des Bauches" (Jatharagni) nicht nur für die transformierende Kraft des "Verdauungsfeuers", sondern auch für ein starkes und intaktes Imunsystem.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 88 behandelt.
Kapitel 1 Vers 34 : Shavasana
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Übersetzung
- Das Ruhen auf dem Erdboden, (auf dem Rücken) ausgestreckt wie ein Leichnam - das ist die Leichenstellung.
- Shavasana beseitigt (körperliche) Erschöpfung und bewirkt die Erholung des Geistes.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- uttānam : (auf dem Rücken) ausgestreckt (Uttana)
- śava-vat : wie ein Leichnam (Shava)
- bhūmau : auf der Erde, dem Erdboden (Bhumi)
- śayanam : das Liegen, Ruhen (Shayana)
- tad : das (ist, Tad)
- śava-āsanam : die Leichenstellung (Shavasana)
- śava-āsanam : die Leichenstellung
- śrānti-haram : beseitigt, nimmt fort (Hara) Ermüdung, Erschöpfung (Shranti)
- citta-viśrānti-kārakam : bewirkt, verursacht (Karaka) Erholung, Ruhe (Vishranti) des Geistes (Chitta)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 35 : Vier Sitzhaltungen
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Übersetzung
- 84 Körperstellungen wurden von Shiva gelehrt.
- Davon habe ich vier ausgewählt und bespreche sie als die wesentlichsten (Sitzpositionen).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- catur-aśīti : 84 (Chaturashiti)
- āsanāni : (Körper-)Stellungen (Asana)
- śivena : von Shiva
- kathitāni : wurden gelehrt, erwähnt (Kathita)
- ca : und, aber (Cha)
- tebhyaḥ : von diesen, aus diesen (Tad)
- catuṣkam : vier ("eine Gruppe von vier", Chatushka)
- ādāya : genommen, ausgewählt habend (ā + dā, Adaya)
- sāra-bhūtam : als Hauptsache, als Bestes ("als das, was die Essenz ist", Sarabhuta)
- bravīmi : bespreche, beschreibe (brū)
- aham : ich (Aham)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 36 : Vier Sitzhaltungen
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Übersetzung
- Die besten vier (Sitzhaltungen heißen) so: "Vollkommene" (Siddha), "Lotus" (Padma), "Löwe" (Simha) und "Glückliche" (Bhadra).
- Und unter diesen verweile man (am besten) stets in der bequemen "Sitzhaltung der Vollkommenen" (Siddhasana).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- siddham : (die Sitzhaltung der) Vollkommenen (Siddha)
- padmam : (die Sitzhaltung des) Lotus (Padma)
- tathā : ebenso, desgleichen (Tatha)
- siṁham : (die Sitzhaltung des) Löwen (Simha)
- bhadram : (die Sitzhaltung der) Glücklichen (Bhadra)
- vā : oder (auch, Va)
- iti : so (lauten, heißen Iti)
- catuṣṭayam : die vier ("die Gruppe der vier", Chatushtaya)
- śreṣṭham : besten (Sitzhaltungen, Shreshtha); oder als Adverb: am besten
- tatra : unter diesen (vier, Tatra)
- api : auch, sogar (Api)
- ca : und, aber (Cha)
- sukhe : (welche besonders) angenehm, bequem ist, Sukha)
- tiṣṭhet : man soll verweilen (sthā)
- siddhāsane : in der Sitzhaltung der Vollkommenen, im vollkommenen Sitz (Siddhasana)
- sadā : immer, stets (Sada)
Erläuterungen
Das Wort śreṣṭham kann syntaktisch als Adjektiv auf das Substantiv catuṣṭayam (Nom. Sg. n.) bezogen werden und bedeutet dann: "die besten vier" (Sitzhaltungen). Ebenso lässt sich śreṣṭham als Adverb auf das Verb tiṣṭhet beziehen: "am besten sitze man". Es ist sogar möglich, dass der Autor beide Bedeutungen im Blick hatte, und śreṣṭham in der jeweiligen Bedeutung sowohl auf den ersten wie auch auf den zweiten Halbvers bezogen werden soll.
Der Lokativ siddhāsane im vierten Pada zeigt an, dass auch die anderen im ersten Halbvers gebrauchten Bezeichnungen der Sitzhaltungen im Sinne von Padmasana, Simhasana und Bhadrasana zu verstehen sind.
Kapitel 1 Vers 37 : Siddhasana
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Man lege die (linke) Ferse fest an die Stelle des Dammes,
- und den (anderen) Fuß über das Glied. Das Kinn drücke man ganz fest auf die Brust.
- Unbeweglich, mit gezügelten Sinnen, schaue man unverwandten Blickes zwischen beide Brauen.
- Diese (Sitzhaltung), die das Öffnen der Tür zur Befreiung bewirkt, wird Siddhasana genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yoni-sthānakam : den Ort, die Stelle (Sthanaka) des Dammes, Beckenbodens ("des Ursprungs", Yoni)
- aṅghri-mūla-ghaṭitam : an die Ferse ("Fuß-Wurzel, Ursprung des Fußes", Anghrimula) angelegt, verbunden (Ghatita)
- kṛtvā : habend ("gemacht habend", kṛ)
- dṛḍham : fest (Dridha)
- vinyaset : man lege (vi + ni + as)
- meṇḍhre : oberhalb des Gliedes, über das Glied (Mendhra)
- pādam : Fuß (Pada)
- atha : und, nun, dann (Atha)
- ekam : einen (Eka)
- eva : wahrlich, nur (Eva)
- hṛdaye : auf der Brust ("der Herzgegend", Hridaya)
- kṛtvā : machend ("gemacht habend", Kritva von Wurzel kṛ)
- hanum : das Kinn (Hanu)
- su-sthiram : ganz fest, stabil (Susthira)
- sthāṇuḥ : aufrecht, unbeweglich (Sthanu)
- saṁyamitendriyaḥ : mit gesammelten, gezügelten ("bezwungenen" Samyamita) Sinnen (Indriya)
- acala-dṛśā : unverwandt, unbeweglich (Achala) Blick ("Auge", Drish)
- paśyet : man schaue (paś)
- bhruvoḥ : beide Brauen (Bhru)
- antaram : zwischen (Antara)
- hi : weil (Hi)
- etat : diese (Sitzhaltung, Etad)
- mokṣa-kapāṭa-bheda-janakam : das Aufbrechen, Öffnen (Bheda) der Tür (Kapata) zur Befreiung (Moksha) bewirkt, verursacht (Janaka)
- siddhāsanam : Sitzhaltung der Vollkommenen, vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana)
- procyate : sie wird genannt (pra + vac)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt die Bedeutung von Yoni, was hier "Damm" bedeutet, wie folgt: – "der Bereich (Pradesha) zwischen (Madhyama) Anus (Guda) und Geschlechtsorgan (Upastha), das (Tad) ist die Stelle (Sthana) des Dammes (Yoni)": gudopasthayor madhyama-pradeśaḥ yoni-sthanaṃ tat.
Der Kommentator fügt hinzu, dass im ersten Pada die Ferse (Anghrimula) des linken (Vama) Fußes (Charana) gemeint ist: aṅghrir vāmaś caraṇaḥ. Folglich liegt der rechte (Dakshina) Fuß (Pada) über dem Glied (Mendhra): dakṣiṇaṃ pādam ....
Kapitel 1 Vers 38 : Siddhasana
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Übersetzung
- Man lege den linken Knöchel über das Glied, und darüber
- den anderen Knöchel ebenso. Das ist Siddhasana.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- meṇḍhrāt : vom Glied (Mendhra)
- upari : über, oberhalb (Upari)
- vinyasya : (an)legend, platzierend (vi + ni + as)
- savyam : den linken (Savya)
- gulpham : Knöchel (Gulpha)
- tathā : ebenso, in gleicher Weise (Tatha)
- upari : darüber, über (diesen)
- gulphāntaram : den anderen (Antara) Knöchel
- ca : und (Cha)
- nikṣipya : legend ("gelegt habend", ni + kṣip)
- siddhāsanam : die Sitzhaltung der Vollkommenen, vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana)
- idam : (auch) dies (Idam)
- bhavet : ist, sei, soll sein (bhū)
Erläuterungen
Diese Variation von Siddhasana ist auch als Guptasana bekannt, da die beiden übereinandergelegten Knöchel das Geschlechtsteil verborgen (Gupta) halten (vgl. auch die Anmerkung zu Vers 1.39).
Kapitel 1 Vers 39 : Siddhasana
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Übersetzung
- Diese (Sitzposition) nennen (einige) Siddhasana, andere kennen sie als Vajrasana.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- etat : diese (Sitzposition, Etad)
- siddhāsanam : Sitzhaltung der Vollkommenen, vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana)
- prāhuḥ : nennt man ("sie nennen", pra + ah)
- anye : andere (Anya)
- vajrāsanam : (als) die Diamant-Sitzhaltung (Vajrasana)
- viduḥ : kennen (vid)
- muktāsanam : die (das Glied) nicht verbergende ("freigebende") Sitzhaltung (Muktasana)
- vadanti : nennen (vad)
- eke : einige (Eka)
- prāhuḥ : nennen
- guptāsanam : die (das Glied) verbergende Sitzhaltung (Guptasana)
- pare : (wieder) andere (Para)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda beschreibt die folgenden vier Varianten:
- 1. Siddhasana : die linke Ferse (Parshni) liegt am Damm (Yoni), die rechte Ferse über dem Glied (Mendhra)
- 2. Vajrasana : die rechte Ferse liegt am Damm, die linke Ferse über dem Glied
- 3. Muktasana : beide Fersen liegen übereinandergelegt am Damm, das Glied bleibt frei (Mukta)
- 4. Guptasana : beide Fersen liegen übereinandergelegt über dem Glied, dieses wird so verborgen bzw. "geschützt" (Gupta)
Kapitel 1 Vers 40 : Siddhasana
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Übersetzung
- Wie unter den Yama (genannten Regeln) maßvolles Essen, wie unter den Niyama (genannten Regeln) die Gewaltlosigkeit -
- so kennen die Vollkommenen Siddhasana als die allerbeste unter allen Sitzhaltungen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yameṣu : unter den Yama (genannten Regeln)
- iva : wie (Iva)
- mitāhāram : maßvolles Essen (Mitahara)
- ahiṁsā : Gewaltlosigkeit, Nichtschädigen (Ahimsa)
- niyameṣu : unter den Niyama (genannten Regeln)
- iva : wie
- mukhyam : erste, beste, wichtigste, vorzüglichste (Mukhya)
- sarvāsaneṣu : unter allen (Sarva) Sitzhaltungen, Körperstellungen (Asana)
- ekam : als die eine, einzige, alleinige (Eka)
- siddhāḥ : die Vollkommenen (Siddha)
- siddhāsanam : die Sitzhaltung der Vollkommenen, vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana)
- viduḥ : (so) kennen (vid)
Erläuterungen
Im Vers 1.17 wurden sowohl Mitahara (maßvolles Essen) als auch Ahimsa (Gewaltlosigkeit) unter die zehn Yamas gezählt, während im vorliegenden Vers Ahimsa als wichtigster der Niyamas erwähnt wird. Dies deutet darauf hin, dass die Verse 17 und 18 nicht zum ursprünglichen Text gehören, sondern vermutlich aus späteren Kommentaren übernommen worden sind, die offenbar durch das Yogasutra (II, 30) beeinflusst waren. Dort wird Ahimsa als erster und wichtigster der (fünf) Yamas aufgelistet (vgl. auch die Anm. zu Vers 1.17).
Kapitel 1 Vers 41 : Siddhasana
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Übersetzung
- Unter den 84 Körperstellungen soll man gerade die vollkommene (Sitzhaltung, Siddhasana) immer praktizieren,
- (denn sie ist) ein Reinigungsmittel) hinsichtlich von Verunreinigungen der 72 000 (Energie-)Kanäle.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- catur-aśīti-pīṭheṣu : unter den 84 (Chaturashiti) Körperstellungen (Sitzhaltungen, Pitha)
- siddham : die vollkommene (Sitzhaltung, Siddha i.S.v. Siddhasana, vgl. Vers 1.36)
- eva : eben, gerade (Eva)
- sadā : immer, stets (Sada)
- abhyaset : man soll üben, praktizieren (abhi + as)
- dvā-saptati-sahasrāṇām : der 72 000 (Dvasaptatisahasra)
- nāḍīnām : der (Energie-)Kanäle (Nadi)
- mala-śodhanam : (denn sie ist) ein Reinigung(smittel, Shodhana) hinsichtlich von Verunreinigungen, Schmutz (Mala)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 116 behandelt.
Kapitel 1 Vers 42 : Siddhasana
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Übersetzung
- Über eine Dauder von zwölf Jahren hindurch das Selbst kontemplierend und maßvoll essend,
- erlangt ein Yogin aufgrund der regelmäßigen Praxis von Siddhasana Vollkommenheit.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ātma-dhyāyī : (wer über das) Selbst (Atman) meditiert, kontempliert (Dhyayin)
- mitāhārī : (wer) maßvoll isst ("wessen Nahrung maßvoll ist", Mitaharin)
- yāvad-dvā-daśa-vatsaram : über (eine Dauer von, Yavat) zwölf (Dvadasha) Jahren (Vatsara)
- sadā : immer, stets (hier i.S.v. "regelmäßig", Sada)
- siddhāsanābhyāsāt : durch das Üben, Praktizieren (Abhyasa) der vollkommenen Sitzhaltung (Siddhasana)
- yogī : (solch) ein Yogin
- niṣpattim : Vollkommenheit, den höchsten Zustand (Nishpatti)
- āpnuyāt : erreicht, sollte erreichen (āp)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 43 : Siddhasana
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Übersetzung
- Was (wird) durch die vielen anderen Körperstellungen (gewonnen), wenn Siddhasana gemeistert ist?
- Wenn der Prana (genannte Körper-)Wind in der vollständigen Atemverhaltung (Kevala Kumbhaka) achtsam angehalten wird,
- entsteht ohne Anstrengung, ganz von selbst, der (Bewusstseins-)Zustand jenseits des Geistes (Unmani).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kim : was (wird gewonnen, Kim)
- anyaiḥ : andere (Anya)
- bahubhiḥ : durch viele (Bahu)
- pīṭhaiḥ : Körperstellungen ("Sitzhaltungen", Pitha)
- siddhe : gemeistert, vervollkommnet (Siddha)
- siddhāsane : (wenn die) vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana)
- sati : ist ("seiend", Sat)
- prāṇānile : (wenn) der Prana (genannte) (Körper-)Wind, Atem (Anila)
- sāvadhāne : aufmerksam, achtsam ("mit Aufmerksamkeit", Savadhana)
- baddhe : festgehalten, gehemmt, gestoppt (ist, Baddha)
- kevala-kumbhake : in der vollständigen (Kevala) Atemverhaltung (Kumbhaka)
- utpadyate : (dann) entsteht (ud + pad)
- nirāyāsāt : ohne Anstrengung, ohne Ermüdung (Nirayasa)
- svayam : von selbst (Svayam)
- eva : sogar, wahrlich (Eva)
- unmanī : jenseits des Geistes (Unmani)
- kalā : der Zustand ("Kunstfertigkeit, Sechzehntel", Kala)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 64 behandelt.
Kapitel 1 Vers 44 : Siddhasana
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Übersetzung
- Desgleichen, wenn allein Siddhasana stabil eingenommen wird,
- entstehen, ohne Anstrengung, ganz von selbst, die drei Verschlüsse (Bandha).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tathā : ebenso, desgleichen, und (Tatha)
- ekasmin : allein (Eka)
- eva : wahrlich, ganz (Eva)
- dṛḍhe : fest, stabil, dauerhaft (Dridha)
- baddhe : eingenommen ("gebunden", Baddha)
- siddhāsane : (wenn) die vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana)
- sati : ist ("seiend", Sat)
- bandha-trayam : die drei ("Dreiheit Traya der") Verschlüsse (Bandha)
- anāyāsāt : ohne Anstrengung, ohne Ermüdung (Anayasa)
- svayam : von selbst (Svayam)
- eva : wahrlich, ganz
- upajāyate : (dann) entsteht (upa + jan)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda zählt die drei Verschlüsse (Bandhatraya) auf: Mula Bandha, Uddiyana Bandha und Jalandhara Bandha.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 80 behandelt.
Kapitel 1 Vers 45 : Siddhasana
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Übersetzung
- Keine Körperstellung ist Siddhasana vergleichbar, keine Atemverhaltung ist Kevala (Kumbhaka) vergleichbar.
- Keine Mudra gleicht Khecari, keine Meditation ist (der Konzentration auf den inneren) Klang vergleichbar.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- na : keine ("nicht ist eine", Na)
- āsanam : Körperstellung, Sitzhaltung (Asana)
- siddha-sadṛśam : (ist) der vollkommenen Sitzhaltung (Siddhasana) vergleichbar (Sadrisha)
- na : keine
- kumbhaḥ : Atemverhaltung ("Topf", Kumbha)
- kevalopamaḥ : (ist) vergleichbar (Upama) der vollständigen (Kevala)
- na : keine
- khe-carī-samā : gleicht (Sama) Khecari ("die im Luftraum wandelnde")
- mudrā : Mudra ("Siegel, Verschluss")
- na : keine
- nāda-sadṛśaḥ : (ist) vergleichbar (Sadrisha) (der Konzentration auf den inneren) Klang, Ton (Nada)
- layaḥ : Auflösung (des Geistes, Denkens), Ruhe, Ruhigstellung (Laya)
Erläuterungen
Das letzte Versviertel (na nāda-sadṛśo layaḥ) ist analog den parallelen Konstruktionen in den übrigen Versvierteln zu verstehen. Der Kommentator Brahmananda formuliert es so: "Es gibt (asti) keine (na) Auflösung (Laya, d.h. keine diese Auflösung bewirkende Ursache Hetu), die (der Konzentration auf den unangeschlagenen) Ton (Nada) vergleichbar (Sadrisha) ist" (nāda-sadṛśo layo laya-hetur nāsti).
In diesem Vers gibt der Autor Svatmarama eine Vorschau auf das "Beste" und aus seiner Sicht Nützlichste, das jeweils in den vier mit Asana, Pranayama, Mudra und Samadhi überschriebenen Kapiteln der HYP gelehrt wird.
Kapitel 1 Vers 46 : Padmasana
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Den rechten Fuß auf den linken Oberschenkel legend, und ebenso den linken (Fuß)
- auf den rechten Oberschenkel, (danach) beide großen Zehen hinterrücks mit beiden Händen (über Kreuz) fest ergreifend,
- das Kinn an die Brust legend, schaue man auf die Nasenspitze.
- Dies wird Lotussitz genannt, der den sich zügelnden (Yogis) die Vertreibung von Krankheiten verschafft.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vāmorūpari : auf (Upari) den linken (Vama) Oberschenkel (Uru)
- dakṣiṇam : den rechten (Dakshina)
- ca : und (Cha)
- caraṇam : Fuß (Charana)
- saṁsthāpya : legend ("gelegt habend", sam + sthā)
- vāmam : den linken (Fuß)
- tathā : und, ebenso (Tatha)
- dakṣorūpari : auf (Upari) den rechten (Daksha) Oberschenkel (Uru)
- paścimena : auf die hintere (hinter dem Rücken, Pashchima)
- vidhinā : Art und Weise (Vidhi)
- dhṛtvā : haltend, ergreifend ("ergriffen habend", dhṛ)
- karābhyām : mit beiden Händen (über Kreuz, Kara)
- dṛḍham : fest (Dridha)
- aṅguṣṭhau : beide großen Zehen (Angushtha)
- hṛdaye : an die Brust (die "Herzgegend", Hridaya)
- nidhāya : legend ("gelegt habend", ni + dhā)
- cibukam : das Kinn (Chibuka)
- nāsāgram : auf die Nasenspitze (Nasagra)
- ālokayet : man schaue (ā + lok)
- etat : das, diese (Sitzhaltung, Etad)
- vyādhi-vināśa-kāri : bewirkt, verschafft (Karin) die Vertreibung, Zerstörung (Vinasha) von Krankheiten (Vyadhi)
- yaminām : den (sich selbst) zügelnden, beherrschenden (Yogis, Yamin)
- padmāsanam : Lotussitz (Padmasana)
- procyate : wird genannt (pra + vac)
Erläuterungen
Diese Variante von Padmasana, bei der man mit hinter dem Rücken überkreuzten Armen die großen Zehen fasst, wird auch Baddha Padmasana genannt.
Kapitel 1 Vers 47 : Padmasana
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Übersetzung
- Beide Füße (mit den Fußsohlen) nach oben schauend auf dem (gegenüberliegenden) Oberschenkel sorgfältig zu liegen bringend,
- desgleichen beide Hände (mit den Handflächen) nach oben geöffnet auf die Mitte der Oberschenkel legend, dann beide Augen ...
- (Fortsetzung in Vers 48)
Wort-für-Wort-Übersetzung
- uttānau : (mit den Fußsohlen) nach oben schauend (Uttana)
- caraṇau : beide Füße (Charana)
- kṛtvā : bringend, veranlassend ("gemacht habend", kṛ)
- ūru-saṁsthau : (auf dem gegenüberliegenden) Oberschenkel (Uru) zu liegen ("befindlich", Samstha)
- prayatnataḥ : sorgfältig, nach Kräften (Prayatna)
- ūru-madhye : auf die Mitte (Madhya) der Oberschenkel (Uru)
- tathā : und, ebenso, desgleichen (Tatha)
- uttānau : (mit den Handflächen) nach oben geöffnet
- pāṇī : beide Hände (Pani)
- kṛtvā : legend ("gemacht habend")
- tataḥ : dann, danach (Tad)
- dṛśau : beide Augen (Drish, Fortsetzung Vers 48)
Erläuterungen
Die Verse 47 und 48 gehören inhaltlich und syntaktisch zusammen. Vers 48 setzt den im letzten Versviertel von Vers 47 mit tato dṛśau begonnenen Satz fort. Danach (tato) werden die Augen (dṛśau, Vers 47) auf die Nasenspitze (nāsāgre, Vers 48) gerichtet.
Die hier beschriebene Variante von Padmasana wurde laut dem Kommentator Brahmananda von Matsyendra Natha gelehrt (Abhimata): matsyendra-nāthābhimataṃ padmāsanam.
Kapitel 1 Vers 48 : Padmasana
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Übersetzung
- (Fortsetzung aus Vers 47)
- (... danach) richte man (beide Augen) auf die Nasenspitze, drücke mit der Zunge an den Ansatz der (oberen) Schneidezähne,
- (lege) das Kinn an die Brust, und lenke den Lebensatem ("Wind") langsam aufwärts.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nāsāgre : auf die Nasenspitze (Nasagra)
- vinyaset : man richte (beide Augen, vi + ni + as)
- rāja-danta-mūle : an den Ursprung, den Ansatz ("die Wurzel", Mula) der (oberen) Schneidezähne ("Königs-Zähne", Rajadanta)
- tu : aber, jedoch (Tu)
- jihvayā : mit der Zunge (Jihva)
- uttambhya : drückend ("gedrückt habend", ud + stambh)
- cibukam : das Kinn (Chibuka)
- vakṣasi : an die Brust (Vakshas)
- utthāpya : (aufwärts) lenkend ("heraufholend, austreibend, anregend", ud + sthā)
- pavanam : den Atem, (die Lebensenergie) Prana, ("Wind", Pavana)
- śanaiḥ : langsam (Shanais)
Erläuterungen
Vers 48 setzt den im letzten Pada von Vers 47 mit dṛśau "beide Augen" begonnenen Satz fort.
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es sich hierbei um den Zungenverschluss (Jihva Bandha) handelt, dessen korrekte Ausführung nur aus dem Munde (Mukha) des Lehrers (Guru) zu erfahren (Avagantavya) ist: guru-mukhād avagantavyo’yaṃ jihvā-bandhaḥ.
Brahmananda ergänzt, dass das Aufwärtslenken des "Windes", also des Prana, mithilfe von Mula Bandha geschieht, welches ebenfalls nur vom Lehrer übermittelt wird: "damit (anena) wird auf Mula Bandha verwiesen (Prokta, anena mūla-bandhaḥ proktaḥ).
Kapitel 1 Vers 49 : Padmasana
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Übersetzung
- Das wird Lotussitz genannt. Er vertreibt alle Krankheiten,
- ist durch gewöhnliche Leute schwer zu erlangen, (aber) von einem Weisen wird er auf Erden erlangt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- idam : das, diese (Sitzposition, Idam)
- padmāsanam : Lotussitz (Padmasana)
- proktam : wird genannt (Prokta)
- sarva-vyādhi-vināśanam : (er) vertreibt ("vertreibend", Vinashana) alle (Sarva) Krankheiten (Vyadhi)
- dur-labham : (er ist) schwer zu erlangen, zu erreichen (Durlabha)
- yena kena api : durch welchen (gewöhnlichen Menschen) auch immer (Yad Ka Api)
- dhīmatā : (nur) von einem Weisen, Verständigen (Dhimat)
- labhyate : (er) wird erlangt (labh)
- bhuvi : auf Erden (Bhu)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 81 behandelt.
Kapitel 1 Vers 50 : Padmasana
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Ein Mensch, der den Lotussitz stabil eingenommen hat, beide Hände ineinander gelegt,
- das Kinn fest auf die Brust gelegt, und im Geist jenes (Brahman) kontempliert,
- immer wieder den nach unten fließenden Lebenshauch (Apana) aufwärts lenkt, und den eingeatmeten,
- nach oben fließenden Lebenhauch (Prana) abwärts lenkt, erlangt durch die Macht der göttlichen Energie (Shakti) unvergleichliche Einsicht.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kṛtvā : legend ("machend", kṛ)
- sampuṭitau : (in Form einer halbkugelförmigen Schale) ineinander ("zusammengefügt", Samputita)
- karau : beide Hände (Kara)
- dṛḍhataram : sehr fest, stabil (Dridha)
- baddhvā : eingenommen habend ("gebunden, aufgebaut habend", bandh)
- tu : aber, jedoch, wiederum (Tu)
- padmāsanam : den Lotussitz (Padmasana)
- gāḍham : fest, kräftig (drückend, Gadha)
- vakṣasi : auf die Brust (Vakshas)
- sannidhāya : legend (sam + ni + dhā)
- cibukam : das Kinn (Chibuka)
- dhyāyan : nachsinnend, meditierend, kontempliert (dhyai)
- ca : und (Cha)
- tat : (über) jenes (Brahman, Tad)
- cetasi : im Geist (Chetas)
- vāraṁ vāram : immer wieder, wiederholt (Vara)
- apānam : die nach unten fließende Lebensenergie (Apana bedeutet auf den Atmungsprozess bezogen auch das Ausatmen)
- ūrdhvam : aufwärts (Urdhva)
- anilam : Atem, Lebenshauch ("Wind", Anila)
- protsārayan : lenkend („wegtreibend“, pra + ud + sṛ)
- pūritam : (nach der Einatmung den) eingeatmenten ("gefüllten", Purita)
- nyañcan : nach unten lenkend ("niederbiegend", ni + ac)
- prāṇam : die nach oben fließende Lebensenergie (Prana bedeutet auf den Atmungsprozess bezogen auch das Einatmen)
- upaiti : erlangt, erreicht (upa + i)
- bodham : Erkenntnis, Einsicht, Wachheit, Erwachen (Bodha)
- atulam : unvergleichliche (Atula)
- śakti-prabhāvāt : durch die Macht, Wirkung (Prabhava) der (göttlichen) Energie (Shakti)
- naraḥ : ein Mensch (Nara)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich "jenes" (Tad), worüber man meditieren soll, entweder auf die Form (Rupa) der jeweiligen eigenen (Sva–Sva) Gottheit (Ishtadevata) oder (vā) das Brahman bezieht: tat sva-sveṣṭa-devatā-rūpaṃ brahma vā.
Kapitel 1 Vers 51 : Padmasana
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Übersetzung
- Ein Yogin aber, der sich im Lotussitz befindet, und den durch den (feinstofflichen Energie-)Kanal eingeatmeten
- Lebenshauch anhält, der ist befreit - hierüber (besteht) kein Zweifel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- padmāsane : im Lotussitz (Padmasana)
- sthitaḥ : (der) sich befindet, sitzt (Sthita)
- yogī : ein Yogin
- nāḍī-dvāreṇa : vermittels, durch ("durch das Tor", Dvara des feinstofflichen Energie-)Kanals (Nadi)
- pūritam : den eingeatmeten ("gefüllten", Purita)
- mārutam : Atem ("Wind, Luft", Maruta)
- dhārayet : (an)hält, zurückhält (dhṛ)
- yaḥ : welcher, der (Yad)
- tu : aber (Tu)
- saḥ : dieser, der (Tad)
- muktaḥ : (ist) befreit, erlöst (Mukta)
- na : nicht (besteht, Na)
- atra : hier(über, Atra)
- saṁśayaḥ : ein Zweifel (Samshaya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erkärt, dass mit nāḍī-dvāreṇa ("durch den Kanal") hier der "Weg" (Marga) der Sushumna gemeint ist, über den der "Wind" (Maruta) zum Kopf bzw. Scheitel (Murdhan) geleitet wird (nītvā): mārutaṃ … suṣumnā-mārgeṇa mūrdhānaṃ nītvā.
Kapitel 1 Vers 52 : Simhasana
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Übersetzung
- Man lege beide Knöchel unterhalb des Hodensacks zu beiden Seiten des Dammes -
- den linken Knöchel auf die rechte und den rechten Knöchel auf die linke (Seite).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gulphau : beide Knöchel (Gulpha)
- ca : und, aber (Cha)
- vṛṣaṇasya : des Hodensacks (Vrishana)
- adhaḥ : unterhalb (Adhas)
- sīvanyāḥ : des Dammes (Perineums, Sivani)
- pārśvayoḥ : zu beiden Seiten (Parshva)
- kṣipet : man lege (kṣip)
- dakṣiṇe : auf die rechte (Seite, Dakshina)
- savya-gulpham : den linken (Savya) Knöchel (Gulpha)
- tu : aber (Tu)
- dakṣa-gulpham : den rechten (Daksha) Knöchel
- tu : jedoch
- savyake : auf die linke (Seite, Savyaka)
Erläuterungen
Die Verse 52 und 53 gehören inhaltlich zusammen. Die Knöchel bzw. Unterschenkel liegen somit über kreuz, und man sitz auf den Fersen.
Kapitel 1 Vers 53 : Simhasana
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Übersetzung
- Beide Hände auf beide Knie stützend und die Finger spreizend,
- schaue man mit (weit) geöffnetem Mund vollkommen konzentriert auf die Nasenspitze.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- hastau : beide Hände (Hasta)
- tu : aber, jedoch (Tu)
- jānvoḥ : auf beide Knie (Janu)
- saṁsthāpya : legend, stützend ("gestützt habend", sam + sthā)
- svāṅgulīḥ : seine ("die eigenen", Sva) Finger (Anguli)
- samprasārya : spreizend, ausstreckend ("ausgestreckt habend", sam + pra + sṛ)
- ca : und (Cha)
- vyātta-vaktraḥ : den Mund (Vaktra) geöffnet (Vyatta)
- nirīkṣeta : man schaue (nir + īkṣ)
- nāsāgram : auf die Nasenspitze (Nasagra)
- su-samāhitaḥ : völlig, vollkommen ("schön", Su) konzentriert (Samahita)
Erläuterungen
Vers 53 setzt Vers 52 fort. Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass bei Simhasana aus dem geöffneten Mund (Mukha) die "züngelnde Zunge" (lalaj-jihva) herausgestreckt (samprasārita) wird: samprasārita-lalaj-jihva-mukhaḥ.
Kapitel 1 Vers 54 : Simhasana
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Übersetzung
- Das ist die Löwenstellung - von den Besten der Yogins geschätzt.
- Als hervorragende Sitzhaltung bewirkt sie die Verbindung der drei Verschlüsse (Bandha).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- siṁhāsanam : die Löwenstellung (Simhasana)
- bhavet : ist ("sei", bhū)
- etat : das, diese (Stellung, Etad)
- pūjitam : geehrt, geschätzt (Pujita)
- yogi-puṅgavaiḥ : von den Besten ("Stieren", Pungava) der Yogins
- bandha-tritaya-sandhānam : die Vereinigung, Verbindung (Sandhana) der drei ("Dreiheit", Tritaya) Verschlüsse (Bandha)
- kurute : sie bewirkt (kṛ)
- ca : und (Cha)
- āsanottamam : (als) hervorragende ("beste", Uttama) der Sitzhaltungen, Körperstellungen (Asana)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Sandhana ("Vereinigung, Verbindung") hier im Sinne von Sannidhana ("Anwesenheit, Dasein") zu verstehen ist: sandhānaṁ sannidhānaṁ kurute. Somit bewirkt die so ausgeführte Praxis von Simhasana zugleich das Setzen der drei Bandhas (vgl. Vers 44 zu Siddhasana).
Kapitel 1 Vers 55 : Bhadrasana
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Übersetzung
- Man platziere beide Knöchel unterhalb des Hodensacks zu beiden Seiten des Dammes,
- den linken Knöchel auf die linke, und den rechten Knöchel auf die rechte (Seite).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gulphau : beide Knöchel (Gulpha)
- ca : und, aber (Cha)
- vṛṣaṇasya : des Hodensacks (Vrishana)
- adhaḥ : unterhalb (Adhas)
- sīvanyāḥ : des Dammes (Perineums, Sivani)
- pārśvayoḥ : zu beiden Seiten (Parshva)
- kṣipet : man lege (kṣip)
- savya-gulpham : den linken (Savya) Knöchel
- tathā : und, ebenso (Tatha)
- savye : an, auf die linke (Seite)
- dakṣa-gulpham : den rechten (Daksha) Knöchel
- tu : jedoch (Tu)
- dakṣiṇe : an, auf die rechte (Seite, Dakshina)
Erläuterungen
Somit liegen beide Unterschenkel über kreuz.
Kapitel 1 Vers 56 : Bhadrasana
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Übersetzung
- Und indem man die beiden an den Seiten (des Dammes befindlichen) Füße fest mit beiden Händen ergriffen hält, völlig bewegungslos (sitzend),
- ergibt sich die glücksverheißende Stellung (Bhadrasana), das sämtliche Krankheiten vertreibt.
- Die vollkommenen (Siddha) Yogins nennen dies bekanntlich die Sitzhaltung des Goraksha (Gorakshasana).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pārśva-pādau : die beiden (an den) Seiten (Parshva, des Dammes befindlichen) Füße (Pada)
- ca : und (Cha)
- pāṇibhyām : mit beiden Händen (Pani)
- dṛḍham : fest (Dridha)
- baddhvā : verbindend, einschließend, umschließend ("umschlossen habend", bandh)
- su-niścalam : völlig bewegungslos, ganz unbeweglich (Sunishchala)
- bhadrāsanam : die glücksverheißende Stellung (Bhadrasana)
- bhavet : ist ("sei", bhū)
- etat : das, diese (Stellung, Etad)
- sarva-vyādhi-vināśanam : (sie) vertreibt (Vinashana) alle, sämtliche (Sarva) Krankheiten (Vyadhi)
- gorakṣāsanam : die Sitzhaltung des Goraksha ("Kuhhirtenstellung", Gorakshasana)
- iti : so (Iti)
- āhuḥ : nennen (ah)
- idam : sie ("das", Idam)
- vai : wahrlich, bekanntlich (Vai)
- siddha-yoginaḥ : die vollkommenen (Siddha) Yogins
Erläuterungen
Dieser Vers vervollständigt die Anweisungen für Bhadrasana aus dem vorangegangenen Vers 1.55.
Kapitel 1 Vers 57 : Zeitpunkt der Reinigung der Nadis
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Übersetzung
- Wenn in dieser Weise bei den Körperstellungen und Verschlüssen ein hervorragender Yogi frei von Erschöpfung ist,
- soll er die Reinigung der (feinstofflichen Energie-)Kanäle praktizieren (in Form) von Reinigungspraktiken wie Mudras usw.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- evam : (wenn) in dieser Weise (Evam)
- āsana-bandheṣu : bei den Körperstellungen ("Sitzpositionen", Asana) und Verschlüssen (Bandha)
- yogīndraḥ : ein hervorragender ("Fürst", Indra) unter den Yogins
- vigata-śramaḥ : frei ("verschwunden, gewichen", Vigata) von Ermüdung, Erschöpfung, Anstrengung (Shrama) ist
- abhyaset : er soll üben, praktizieren (abhi + as)
- nāḍikā-śuddhim : die Reinigung (Shuddhi) der (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
- mudrādi-pavana-kriyām : die Handlung (Kriya) des Blasens, Atmens, Reinigens (Pavana) der Mudras ("Siegel") usw. ("zum Anfang habend", Adi)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda versteht hier allerdings Bandha nicht als "Verschluss", sondern als die verschiedenen Arten (Prakara) von Asanas, die ebenfalls als Bandha bzw. Bandhana bezeichnet werden: āsana-bandheṣu bandhana-prakāreṣu.
Kapitel 1 Vers 58 : Übungsabfolge im Hatha Yoga
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Übersetzung
- Körperstellung, Atemverhaltung und verschiedene Mudra genannte Haltungen,
- dann das Richten der Aufmerksamkeit auf den (inneren) Ton - (so lautet) die Abfolge der Übungen im Hatha (Yoga).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- āsanam : Körperstellung (Asana)
- kumbhakam : Atemverhaltung (Kumbhaka)
- citram : verschieden(e Arten von, Chitra)
- mudrākhyam : Mudra ("Siegel") : genannt, mit Namen (Akhya)
- karaṇam : Haltung(en), Stellung(en, Karana)
- tathā : und, ebenso, desgleichen (Tatha)
- atha : dann, ferner (Atha)
- nādānusandhānam : das Richten der Aufmerksamkeit, Konzentration (Anusandhana) (auf den inneren, "unangeschlagenen") Klang, Ton (Nada)
- abhyāsānukramaḥ : (so lautet die) Reihenfolge, Abfolge (Anukrama) der Übungen, Praxis (Abhyasa)
- haṭhe : im Hatha(-Yoga)
Erläuterungen
Die Atemverhaltung (Kumbhaka) wird hier als zentrale Praxis des Pranayama aufgeführt, vgl. auch Verse 1.43 und 45.
Kapitel 1 Vers 59 : Voraussetzungen für eine erfolgreiche Praxis
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Übersetzung
- Einer, der Enthaltsamkeit pflegt, maßvoll isst, Entsagung übt, dessen Hauptzweck der Yoga ist,
- wird nach einem Jahr ein Vollkommener (Siddha) - hierüber besteht kein Zweifel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- brahma-cārī : einer, der Enthaltsamkeit pflegt ("im Brahman wandelt", Brahmacharin)
- mitāhārī : der maßvoll isst ("wessen Nahrung maßvoll ist", Mitaharin)
- tyāgī : der Entsagung, Verzicht übt, freigebig ist (Tyagin)
- yoga-parāyaṇaḥ : dessen höchstes Ziel, Hauptzweck (Parayana) der Yoga ist
- abdāt : (einem) Jahr (Abda)
- ūrdhvam : nach (Urdhva)
- bhavet : er wird, ist (bhū)
- siddhaḥ : ein Vollkommener (Siddha)
- na : nicht (Na)
- atra : hierüber (Atra)
- kāryā : ist angebracht ("ist zu tun", Karya)
- vicāraṇā : ein Zweifeln ("Bedenken", Vicharana)
Erläuterungen
Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda gibt die folgenden beiden Bedeutungen von Tyagin an: ein "Entsagender" (tyāgī) ist einer, der freigebig ist – "dessen Gewohnheit (Shila) das Geben (Dana) ist" – oder (vā) einer, der (die Anhaftung an alle) Sinnesobjekte (Vishaya) aufgegeben hat (tyāgī dāna-śīlo viṣaya-parityāgī vā).
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 73 behandelt.
Kapitel 1 Vers 60 : Definition maßvoller Ernährung
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Übersetzung
- (Wenn) schön milde und süße Nahrung, wobei ein Viertel (des Magens) leer bleibt,
- zur Freude von Shiva gegessen wird - das wird maßvolle Ernährung genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- su-snigdha-madhurāhāraḥ : schön mild, weich, feucht (Susnigdha, im Ayurveda bedeutet Snigdha ölig, fetthaltig) (und) süß (Madhura) Nahrung (Ahara)
- caturthāṁśa-vivarjitaḥ : (wobei) der vierte (Chaturtha) Teil (Amsha) (des Magens) frei, leer (bleibt, Vivarjita)
- bhujyate : (wenn) gegessen wird, (bhuj)
- śiva-samprītyai : zur Freude (von), für die Befriedigung (von), aus Liebe (zu, Sampriti) Shiva
- mitāhāraḥ : maßvolle Ernährung ("Nahrung", Mitahara)
- saḥ : das, dies (Tad)
- ucyate : wird genannt (vac)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda zitiert in diesem Zusammenhang einen Vers, der besagt, dass zwei Teile (des Magens) mit fester Nahrung (Anna) gefüllt werden sollen, ein Teil mit Wasser (Toya), und der vierte Teil soll für die Luft bzw. die "Bewegungen des Windes" (Vayu) frei bleiben.
Kapitel 1 Vers 61 : Unzuträgliche Nahrungsmittel
Versmaß: Vasantatilaka
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Übersetzung
- Bitteres, Saures, Scharfes, Salziges, Erhitzendes, Chebulische Myrobalane, (grünes) Gemüse,
- saurer Gersten-, Reis- oder Weizenschleim, Öl bzw. Sesamöl, Sesamkörner, (brauner) Senf (oder Senföl), alkoholische Getränke, Fisch,
- Fleisch von Ziegen usw., Sauermilch, mit Wasser gemischte Buttermilch, Pferdebohnen, Chinesische Jujube, Brustbeere,
- Ölkuchen, Asant bzw. Asafoetida, Knoblauch usw. bezeichnet man als unzuträglich.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kaṭvāmla-tīkṣṇa-lavaṇoṣṇa-harīta-śāka-sauvīra-taila-tila-sarṣapa-madya-matsyān : bitter, scharf, beißend, (Katu) sauer (Amla) stechend, brennend, intensiv, scharf (Tikshna) salzig (Lavana) heiß, erhitzend (Ushna), Chebulische Myrobalane (Terminalia chebula Harita, grünes, schwer verdauliches) Gemüse, Kraut (Shaka) saurer Gersten-, Reis- oder Weizenschleim (Sauvira) Öl, Sesamöl (Taila) Sesam, Sesamkörner (Tila) (brauner) Senf (Sarshapa oder Senföl), alkoholische, berauschende Getränke (Madya) Fisch (Matsya)
- ājādi-māṁsa-dadhi-takra-kulattha-kola-piṇyāka-hiṅgu-laśunādyam: Fleisch (Mamsa) von Ziegen (Aja) usw., und anderen ("zum Anfang habend", Adi) molkehaltige, dicke Sauermilch, geronnene Milch (Dadhi) Buttermilch mit Wasser gemischt (im Verhältnis 1 : 1 oder 3 : 1, Takra) Pferdebohnen (Kulattha) Chinesische Jujube, Brustbeere (Ziziphus zizyphus, (Kola, Badara), Ölkuchen (die Reste ausgepresster ölhaltiger Früchte oder Körner wie Sesam usw., Pinyaka) Asant (Ferula assa-foetida, Hingu) sowie das aus dieser Pflanze gewonnene Gewürz Asafoetida, Knoblauch (Lashuna) all das ("dieses zum Anfang habend", Adya)
- apathyam : (als) nicht zuträglich, nicht förderlich, nicht heilsam, (Apathya)
- āhuḥ : sie nennen, bezeichnen (ah)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda liest zwar harīta-śāka (mit langem ī), versteht aber harita-śāka (mit kurzem i) im Sinne von "grünes Gemüse", was er mit pattra-śāka ("Blatt-Gemüse", Pattrashaka) erklärt. Das Versmaß (Vasantatilaka) dieses Verses lässt allerdings nur eine lange Silbe an dieser Stelle zu, was für die Richtigkeit der Lesung harīta-śāka (mit langem ī) spricht. Somit sind harīta und śāka als zwei getrennte Worte aufzufassen, wobei harīta für Haritaka bzw. Haritaki (Chebulische Myrobalane) steht. Shaka bedeutet "Gemüse, Kraut". Auch die Bedeutung harita-śāka "Meerettichbaum" (Shigru) scheidet aufgrund der hier nicht erlaubten Kürze des i aus.
Kapitel 1 Vers 62 : Unzuträgliche Nahrungsmittel
Versmaß: Arya
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Übersetzung
- Aufgewärmte und trockene Speisen soll man für einen solchen (intensiv praktizierenden Yogin) als ungeeignet erkennen.
- (Ebenso) ist allzu salzige, saure, abgestandene Speise und ein Übermaß an (grünem) Gemüse zu vermeiden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bhojanam : Speise, Nahrung, Essen (Bhojana)
- ahitam : (als) ungeeignet, schädlich (Ahita)
- vidyāt : man muss kennen (vid)
- punaḥ : wieder (Punar)
- asya : für einen solchen (Yogin, Idam)
- uṣṇī-kṛtam : die aufgewärmt ("warm gemacht") wurde (Ushna-Krita)
- rūkṣam : trocken ("rauh" Ruksha im Gegensatz zu Snigdha "glatt, feucht")
- ati-lavaṇam : allzu (Ati) salzig (Lavana)
- amla-yuktam : verbunden mit (Yukta) Säure, der sauren Geschmacksrichtung (Amla)
- kad-aśana-śākotkaṭam : ein Übermaß (an, Utkata) abgestandenen (oder überlagerten "schlechten", Kad) Speisen (Ashana) und (unterschiedlichen) Gemüsen (Shaka)
- varjyam : ist zu vermeiden (Varjya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "trockener Speise" solche gemeint ist, der es an Ghee (Ghrita) usw. mangelt (Hina): rūkṣaṁ ghṛtādi-hīnam.
Kapitel 1 Vers 63 : Am Anfang der Praxis zu Meidendes
तथा हि गोरक्षवचनम् -
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tathā hi gorakṣa-vacanam -
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Übersetzung
- Am Anfang (der Übungspraxis) meide man das Aufsuchen von Feuer, Frauen und (langen) Wegen.
Denn so (lautet) ein Ausspruch Gorakshas:
- Man meide die Nähe schlechter Menschen, das Aufsuchen von Feuer, Frauen und (langen) Wegen,
- das Baden am frühen Morgen, Fasten u.ä. sowie Handlungen, die dem Körper Schmerzen verursachen,
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vahni-strī-pathi-sevānām : das (gewohnheitsmäßige) Aufsuchen (von, Seva) Feuer (Vahni), Frauen (Stri), Wegen (in Form von langen Fußmärschen oder Pilgerfahrten, Pathi)
- ādau : zuerst, am Anfang (der Übungspraxis, Adi - gemeint ist ein "Anfänger")
- varjanam : das Vermeiden (Varjana)
- ācaret : er soll befolgen, üben (ā + car)
- tathā : ebenso, genau so (Tatha)
- hi : denn (Hi)
- gorakṣa-vacanam : (lautet der) Ausspruch (Vachana) von Goraksha
- varjayet : man vermeide (vṛj)
- durjana-prāntam : die Nähe (Pranta) von schlechten Menschen (Durjana)
- vahni-strī-pathi-sevanam : das (gewohnheitsmäßige) Aufsuchen (von, Sevana) Feuer (Vahni) Frauen (Stri) Wegen (in Form von langen Fußmärschen oder Pilgerfahrten, Pathi)
- prātaḥ-snānopavāsādi : das Baden (Snana) am frühen Morgen (Pratar) Fasten (Upavasa) usw., und ähnliches ("zum Anfang habend", Adi)
- kāya-kleśa-vidhim : Handlungen, Verrichtungen (Vidhi, mit daraus resultierenden) Schmerzen, Beschwerden (Klesha) des Körpers (Kaya)
- tathā : und, ebenso, desgleichen (Tatha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass die hier aufgeführten Handlungen (das Sitzen am Feuer bei Kälte, Geschlechtsverkehr und Pilgerfahrten) nur am Anfang (Adi) der Übungspraxis (Abhyasa) gänzlich zu meiden sind (tāsām varjanam). Wenn die Übungspraxis bereits fortgeschritten bzw. "erfolgreich" (Siddha) ist, sind diese Dinge wieder – "manchmal" (kadā-cit), also bei passender Gelegenheit und im richtigen Maße – erlaubt: tāsām varjanam ādāv abhyāsa-kāle siddhe 'bhyāse tu kadā-cit.
Zu vermeidende Handlungen (Kriya), die dem Körper Schmerzen verursachen, sind laut Brahmananda etwa das Ausführen sehr vieler (Bahu) Sonnengrüße (Suryanamaskara) oder das Tragen (Udvahana) vieler Lasten (Bhara): kriyāṃ bahu-sūrya-namaskārādi-rūpāṃ bahu-bhārodvahanādi-rūpāṃ ca.
Kapitel 1 Vers 64 : Zuträgliche Nahrungsmittel
Versmaß: Vasantatilaka
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Übersetzung
- Weizen, Reis, Gerste, Reis- oder Getreidesorten, die innerhalb von sechzig Tagen reifen, reine Speisen,
- Milch, geklärte Butter (Ghee), brauner Kandiszucker, frische Butter, weißer Kandiszucker, Honig,
- getrockneter Ingwer, die Frucht der Gurkenart Trichosanthes dioica und ähnlicher (Kürbisgewächse), die fünf Kräuter,
- Mungbohnen und ähnliche (Hülsenfrüchte) und Regenwasser sind zuträglich für einen ausgezeichneten Yogi.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- godhūma-śāli-yava-ṣāṣṭika-śobhanānnam : Weizen (Godhuma), Reis (Shali), Gerste (Yava), (Reis- oder Getreidesorten, die innerhalb von) sechzig (Tagen reifen, Shashtika) vorzügliche, reinigende, reine (Shobhana) Speise, Nahrung, Reis(sorten, Anna)
- kṣīrājya-khaṇḍa-navanīta-sitā-madhūni : Milch (Kshira), geklärte Butter, (Ghee, Ajya), grobkörniger Zucker, (brauner) Kandiszucker (Khanda), frische Butter (Navanita), weißer Kandiszucker (Sita) und Honig (Madhu)
- śuṇṭhī-paṭolaka-phalādika-pañca-śākam : (getrockneter) Ingwer, (Shringavera) die Frucht (Phala) der Gurkenart Trichosanthes dioica (Patolaka) usw., und ähnliches ("zum Anfang habend", Adika), die fünf (Pancha) Kräuter, Küchenkräuter (Shaka, s. Anm.)
- mudgādi : Mungbohnen (Mudga) usw., und ähnliche (Hülsenfrüchte, Adi)
- divyam : himmliches (vom Himmel fallendes, Divya)
- udakam : Wasser, Regenwasser, Udaka)
- ca : und (Cha)
- yamīndra-pathyam : (all das ist) zuträglich, heilsam (Pathya) für einen ausgezeichneten ("Fürsten", Indra) unter den sich zügelnden (Yogins, Yamin)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "vorzüglichen" (Shobhana) Speisen (Anna) "reine" bzw. "reinigende" (Pavitra) Nahrungsmittel gemeint sind: śobhanam annaṁ pavitrānnam.
Des weiteren zitiert er einen Vers, in dem fünf Kräuter (śāka-pañcaka) erwähnt werden, die "gut für die Augen" (cākṣuṣya) sind: Jivanti, Vastu (Vastuka), mūlyākṣī, Meghanada und Punarnava.
Kapitel 1 Vers 65 : Zuträgliche Nahrungsmittel
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Übersetzung
- Nahrhaftes, Süßes, mit Ghee Angereichertes, Kuhmilchprodukte, die Körpergewebe Nährendes,
- die Sinne Erfreuendes sollte ein Yogi als geeignete Nahrung verzehren.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- puṣṭam : nährend, reichhaltig (Pushta)
- su-madhura : schön (Su) süß (Madhura)
- snigdham : feucht, fettig, ölig (der Austrocknung entgegenwirkend, Snigdha)
- gavyam : Kuhmilch(produkte, Gavya)
- dhātu-prapoṣaṇam : die Körpergewebe (Dhatu) nährend (Praposhana)
- manobhilaṣitam : vom Geist, Herzen, von den Sinnen (Manas) begehrt, gewünscht (Abhilashita)
- yogyam : passende, geeignete (Yogya)
- yogī : ein Yogin
- bhojanam : Nahrung (Bhojana)
- ācaret : sollte verzehren ("verwenden", ā + car)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "Fettiges" (Snigdha) solche Nahrungsmittel gemeint sind, denen Ghee (Ghrita) beigemengt ist: snigdhaṃ sa-ghṛtam.
Der Sandhi im Kompositum mano-bhilaṣitam ergibt sich aus manas + abhilaṣitam, daraus mano'bhilaṣitam mit Wegfall von Avagraha (') für ausgefallenes a-.
Kapitel 1 Vers 66 : Bedeutung der Übungspraxis
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Übersetzung
- Ob jung, erwachsen oder sehr alt, ob krank oder schwach -
- durch Übung erreicht ein unermüdlich (Praktizierender) Erfolg in allen Yoga(techniken).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yuvā : jung (Yuvan)
- vṛddhaḥ : erwachsen, alt (Vriddha)
- ati-vṛddhaḥ : sehr (Ati) alt
- vā : oder (Va)
- vyādhitaḥ : krank (Vyadhita)
- dur-balaḥ : schwach (Durbala)
- api : aber, auch, sogar (Api)
- vā : oder
- abhyāsāt : durch Übung, regelmäßige Praxis (Abhyasa)
- siddhim : Erfolg, Vervollkommnung (Siddhi)
- āpnoti : (man) erreicht (āp)
- sarva-yogeṣu : in allen (Sarva) Yoga(techniken), Gliedern des Yoga
- a-tandritaḥ : ein unermüdlich, unverdrossen (Praktizierender, Atandrita)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass man aufgrund der Übungspraxis (Abhyasa) Erfolg (Siddhi) in Form (Rupa) der Frucht (Phala) des Samadhi erlangt (āpnoti): abhyāsāt … siddhiṃ samādhi-tat-phala-rūpām āpnoti. Ein Synonym für Samadhi ist der Begriff Rajayoga ("königlicher Yoga"), vgl. die Anm. zu Vers 70 sowie die Verse 3-4 des 4. Kapitels, wo weitere Bezeichnungen für den "höchsten Zustand" aufgeführt werden.
Brahmananda versteht unter Yoga hier die einzelnen Glieder (Anga) des (Hatha-)Yoga: sarveṣu yogeṣu yogāṅgeṣu (vgl. Vers 1.58).
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 110 behandelt.
Kapitel 1 Vers 67 : Bedeutung der Übungspraxis
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Übersetzung
- Dem Praktizierenden wird Erfolg zuteil - wie sollte dem Untätigen (Erfolg zuteil werden)?
- Durch bloßes Rezitieren der Lehrtexte entsteht kein Erfolg im Yoga.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kriyā-yuktasya : dem, der aktiv ("verbunden" ist, Yukta mit der Yoga-)Praxis ("Tätigkeit", Kriya)
- siddhiḥ : Erfolg, Vollkommenheit (Siddhi)
- syāt : wird zuteil ("sei", as)
- a-kriyasya : dem Untätigen (Erfolg zuteil werden, Akriya)
- katham : wie (Katham)
- bhavet : sollte (bhū)
- na : nicht (na)
- śāstra-pāṭha-mātreṇa : durch bloßes (Matra) Lesen, Rezitieren (Patha) der Lehrtexte, (Yoga-)Schriften (Shastra)
- yoga-siddhiḥ : Erfolg, Vollkommenheit (Siddhi) im Yoga
- prajāyate : entsteht, wird erzeugt (pra + jan)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 33 behandelt.
Kapitel 1 Vers 68 : Bedeutung der Übungspraxis
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Übersetzung
- Weder das Tragen von (bestimmter) Kleidung ist die Ursache des Erfolgs, noch das Reden darüber.
- Allein die Praxis ist die Ursache des Erfolgs - das ist die Wahrheit, kein Zweifel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- na : nicht (Na)
- veṣa-dhāraṇam : das Tragen (Dharana) von (bestimmter) Kleidung (Vesha)
- siddheḥ : des Erfolgs, der Vollkommenheit (Siddhi)
- kāraṇam : (ist) die Ursache (Karana)
- na : nicht
- ca : und, auch (Cha)
- tat-kathā : Rede, Gespräch, Unterhaltung (Katha) darüber (Tad)
- kriyā : Handlung, Tätigkeit, die (Yoga-)Praxis (Kriya)
- eva : nur, einzig (Eva)
- kāraṇam : (ist) die Ursache
- siddheḥ : des Erfolgs, der Vollkommenheit
- satyam : die Wahrheit (Satya)
- etat : das (ist, Etad)
- na : nicht (besteht hierüber)
- saṁśayaḥ : ein Zweifel (Samshaya)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 69 : Frucht der Übungspraxis
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Übersetzung
- Die Körperstellungen, die verschiedenen Atemverhaltungen, und die wunderbaren Mudras
- haben in der Hatha (Yoga-)Praxis am Ende allesamt den Raja Yoga (genannten höchsten Bewusstseinszustand) als Frucht.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pīṭhāni : Körperstellungen ("Sitz", Pitha)
- kumbhakāḥ : Atemverhaltungen (Kumbhaka)
- citrāḥ : die verschiedenen (Chitra)
- divyāni : himmliche, göttliche, wunderbare, magische (Divya)
- karaṇāni : Mudras ("Mittel", Karana)
- ca : und (Cha)
- sarvāṇi : alle, sämtliche (Sarva)
- api : auch (Api)
- haṭhābhyāse : in der Praxis (Abhyasa) des Hatha(-Yoga)
- rāja-yoga-phalāvadhi : haben als Ziel ("Grenze", Avadhi) die Frucht (Phala in Form) des königlichen Yoga (Raja Yoga)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der (Zustand des) Rajayoga selbst (eva) die Frucht (Phala) des Hatha Yoga ist: rāja-yoga eva phalam. Zu einer Definition des Begriffes rāja-yoga vgl. die Anm. zu Kap. 4 Vers 103.
Kapitel 2 Vers 1 : Pranayama
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Übersetzung
- Wenn nun die Sitzhaltung stabil ist, der Yogi sich selbst (geistig und körperlich) beherrscht, und eine zuträglich und maßvolle Ernährung (einhält),
- möge er gemäß der von (seinem) Meister gelehrten Methode die (verschiedenen) Atemzügelungen praktizieren.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- atha : nun (Atha)
- āsane : (wenn) die Körperstellung, Sitzhaltung (Asana)
- dṛḍhe : fest, gefestigt, stabil (ist, Dridha)
- yogī : ein Yogin
- vaśī : der sich selbst (geistig und körperlich) beherrscht (Vashin)
- hita-mitāśanaḥ : dessen Nahrung (Ashana) zuträglich, heilsam, gut (Hita) und maßvoll ist (Mita)
- gurūpadiṣṭa-mārgeṇa : gemäß der Methode ("des Weges", Marga) die von seinem Lehrer, Meister (Guru) gelehrt wurde (Upadishta)
- prāṇāyāmān : die (verschiedenen) Atemzügelungen (Pranayama, hier Plural)
- samabhyaset : soll üben, praktizieren (sam + abhi + as)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 27 behandelt.
Kapitel 2 Vers 2 : Zweck der Atemverhaltung
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Übersetzung
- Wenn der Atem unstet ist, ist der Geist unstet. Wenn der Atem still steht, steht der Geist still.
- (Dann) erreicht der Yogi Bewegungslosigkeit. Deshalb soll man den Atem anhalten.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- cale : unstet, beweglich (Chala)
- vāte : (ist der) Atem, Prana ("Wind", Vata)
- calam : unstet, beweglich
- cittam : (ist auch der) Geist (Chitta)
- niścale : (der Atem) unbeweglich (Nishchala)
- niścalam : (auch der Geist) unbeweglich
- bhavet : ist, wird (bhū)
- yogī : ein Yogin
- sthāṇutvam : Bewegungslosigkeit (das "Pfosten-Sein", Sthanutva)
- āpnoti : erreicht (āp)
- tataḥ : daher, deshalb (Tatas)
- vāyum : den Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- nirodhayet : man soll anhalten ("einsperren", ni + rudh)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 32 behandelt.
Kapitel 2 Vers 3 : Zweck der Atemverhaltung
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Übersetzung
- Solange der (Lebens-)Atem sich im Körper befindet, wird das Leben genannt.
- Das Verschwinden dieses (Lebensatems wird) Tod (genannt). Deshalb soll man den Atem anhalten.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yāvat : solange wie (Yavat)
- vāyuḥ : der (Lebens-)Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- sthitaḥ : sich befindet (Sthita)
- dehe : im Körper (Deha)
- tāvat : solange (Tavat)
- jīvanam : Leben (Jivana)
- ucyate : es wird genannt (vac)
- maraṇam : Sterben, Tod (Marana)
- tasya : dieses (Lebensatems, Tad)
- niṣkrāntiḥ : das Hinausgehen, Weichen, Verschwinden (Nishkranti)
- tataḥ : daher, deshalb (Tatas)
- vāyum : den Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- nirodhayet : man soll anhalten ("einsperren", ni + rudh)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda definiert das "Leben" (Jivana) als die Verbindung (Samyoga) von Körper (Deha) und Lebensatem (Prana): deha-prāṇa-saṃyogasya. Das Hinausgehen (Nishkranti) von Prana aus dem Körper, also die Trennung (Viyoga) dieser beiden, wird "Sterben" (Marana) genannt (ucyate): tasya prāṇasya niṣkrāntir dehād viyogo maraṇam ucyate.
Kapitel 2 Vers 4 : Zweck der Reinigung der Nadis
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Übersetzung
- Wenn die (feinstofflichen) Energiekanäle mit Verunreinigungen angefüllt sind, geht der (Lebens-)Atem gewiss nicht durch den mittleren (Kanal).
- Wie sollte (dann) der Zustand jenseits des Geistes (möglich) sein? Wie sollte (dann) das Erreichen des (höchsten) Zwecks (der Yogapraxis möglich) sein?
Wort-für-Wort-Übersetzung
- malākulāsu : mit Verunreinigungen (Mala) angefüllt sind (Akula)
- nāḍīṣu : (wenn die feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
- mārutaḥ : der (Lebens-)Atem, [[Prana ("Wind", Maruta)
- na : nicht (Na)
- eva : gewiss (Eva)
- madhya-gaḥ : geht durch den mittleren (Kanal, Madhyaga)
- katham : wie (Katham)
- syāt : sollte (dann möglich) sein (as)
- unmanī-bhāvaḥ : der Zustand jenseits des Geistes (Unmanibhava)
- kārya-siddhiḥ : der Erfolg, das Gelingen, Erreichen (Siddhi) der Absicht, des Zwecks (Karya)
- katham : wie
- bhavet : sollte (dann möglich) sein (bhū)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Prana "durch die Mitte geht" (Madhyaga), wenn er durch den Sushumna genannten Kanal ("Weg", Marga) fließt (vāhī): prāṇo madhya-gaḥ suṣumnā-mārga-vāhī.
Der letzte Zweck ([[Karya) des Hatha Yoga besteht laut Brahmananda "in Form" (Rupa) der absoluten Freiheit (Kaivalya), dessen Erfolg (Siddhi) besteht in deren Vervollkommnung (Nishpatti): kāryasya kaivalya-rūpasya siddhir niṣpattiḥ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 115 behandelt.
Kapitel 2 Vers 5 : Zweck der Reinigung der Nadis
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Übersetzung
- Wenn die Gesamtheit der verunreinigten (feinstofflichen) Energiekanäle gereinigt ist,
- erst dann wird der Yogi fähig, die Lebensenergie zu lenken (d.h. Pranayama zu praktizieren).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śuddhim : Reinheit, Reinigung (Shuddhi)
- eti : erreicht ("geht", i)
- yadā : wenn (Yada)
- sarvam : die ganze, vollständige (Sarva)
- nāḍī-cakram : Menge, Gesamtheit ("Kreis", Chakra) der (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
- malākulam : die mit Verunreinigungen (Mala) angefüllt (Akula) ist
- tadā : dann (Tada)
- eva : erst, nur (Eva)
- jāyate : wird (jan)
- yogī : der Yogin
- prāṇa-saṅgrahaṇe : zum Ansammeln, Beisichhalten, Lenken (Sangrahana) der Lebensenergie, des Prana
- kṣamaḥ : befähigt, geeignet (Kshama)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Chakra ("Kreis") hier die Gesamtheit (Samuha) der Nadis meint: nāḍīnāṃ cakraṃ samūhaḥ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 86 behandelt.
Kapitel 2 Vers 6 : Zweck der Reinigung der Nadis
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Übersetzung
- Daher soll man die Atemzügelung stets mit einem reinen Geist praktizieren,
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇāyāmam : Atemzügelung (Pranayama)
- tataḥ : daher, deshalb (Tatas)
- kuryāt : man soll praktizieren (kṛ)
- nityam : stets (Nitya)
- sāttvikayā : mit reinem, klarem ("von der Qualität Sattva beherrschtem", Sattvika)
- dhiyā : Geist, Denken, Sinn (Dhi)
- yathā : damit, sodass (Yatha)
- suṣumṇā-nāḍī-sthā : die sich in (dem Energie-)Kanal (Nadi) Sushumna befinden (Stha)
- malāḥ : die Verunreinigungen (Mala)
- śuddhim : in die Reinheit (Shuddhi)
- prayānti : kommen, verschwinden (pra + yā)
- ca : und (Cha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda definiert einen "sattvischen Geist" (sāttvikayā dhiyā) als einen, der den Charakter (Shila) des Lichts (Prakasha) und der ungetrübten Reinheit (Prasada) besitzt: sāttvikayā prakāśa-prasāda-śīlayā dhiyā.
Kapitel 2 Vers 7 : Wechselatmung
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Übersetzung
- Der Yogi, der den Lotussitz eingenommen hat, soll die Lebensenergie durch den Mond(kanal) einatmen.
- Nachdem er nach Vermögen (den Atem) angehalten hat, soll er durch den Sonne(nkanal) wieder ausatmen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- baddha-padmāsanaḥ : der den Lotussitz (Padmasana) eingenommen ("gebunden, Baddha) hat
- yogī : der Yogin
- prāṇam : den Atem, die Lebensenergie Prana
- candreṇa : durch den Mond(kanal, das linke Nasenloch, Chandra)
- pūrayet : soll einatmen ("füllen", pṝ)
- dhārayitvā : nachdem er (den Atem) angehalten hat (dhṛ)
- yathā-śakti : nach Vermögen ("wie es in seiner Macht steht", Yathashakti)
- bhūyaḥ : wieder (Bhuyas)
- sūryeṇa : durch den Sonne(nkanal, das rechte Nasenloch, Surya)
- recayet : soll ausatmen (ric)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda analysiert das adjektivische Kompositum (Bahuvrihi) baddha-padmāsanaḥ mit baddhaṁ padmāsanaṁ yena, d.h. "von dem (yena) der Lotussitz ([[Padmasana) eingenommen wurde (Baddha)". Es handelt sich hierbei nicht um den sogenannten "gebundenen Lotussitz" (Baddha Padmasana), in dem die hinter dem Rücken gekreuzten Arme bzw. Hände die großen Zehen festhalten.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 30 behandelt.
Kapitel 2 Vers 8 : Wechselatmung
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Übersetzung
- Und indem er die Lebensenergie durch den Sonne(nkanal) einatmet, fülle er langsam den Bauch.
- Nachdem er vorschriftsgemäß die Atemverhaltung ausgeführt hat, soll er durch den Mond(kanal) wieder ausatmen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇam : den Atem, die Lebensenergie Prana
- sūryeṇa : durch den Sonne(nkanal, das rechte Nasenloch, Surya)
- ca : und (Cha)
- ākṛṣya : einatmend, einziehend ("eingezogen habend", ā + kṛṣ)
- pūrayet : er soll anfüllen (pṝ)
- udaram : den Bauch (Udara)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais)
- vidhi-vat : vorschriftsgemäß, der Anweisung entsprechend (Vidhivat)
- kumbhakam : die Atemverhaltung (Kumbhaka)
- kṛtvā : nachdem er ausgeführt hat (kṛ)
- punaḥ : wieder (Punar)
- candreṇa : durch den Mond(kanal, das linke Nasenloch, Chandra)
- recayet : er soll ausatmen (ric)
Erläuterungen
Das Absolutivum ākṛṣya, wörtlich "eingezogen habend", wird hier dem Kontext gemäß im Sinne der Gleichzeitigkeit "einziehend" verstanden.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 40 behandelt.
Kapitel 2 Vers 9 : Wechselatmung
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Übersetzung
- Durch welches (Nasenloch) er ausatmet soll er (wieder) einatmen, (den Atem) solange wie möglich anhalten,
- und danach durch das andere (Nasenloch) ganz langsam - nicht ruckartig - ausatmen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yena : durch welches (Nasenloch, Yad)
- tyajet : er (den Atem) entlässt (tyaj)
- tena : durch das(selbe, Tad)
- pītvā : eingeatmet habend (den Atem "eingesaugt habend", pā)
- dhārayet : halte er (den Atem) an (dhṛ)
- ati-rodhataḥ : solange wie möglich ("bis zum äußersten Grad des Anhaltens", Ati + Rodha + Suffix tas)
- recayet : er soll ausatmen (ric)
- ca : und (Cha)
- tataḥ : danach (Tatas)
- anyena : durch das andere (Nasenloch, Anya)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais)
- eva : nur, ganz (Eva)
- na : nicht (Na)
- vegataḥ : ruckartig (Vega + Suffix tas)
Erläuterungen
Die drei Optative tyajet, dhārayet und recayet stehen in diesem Satz zusammen mit dem Absolutivum pītvā in der logischen zeitlichen Abfolge dieser Atemtechnik: Ausatmen (tyajet) - Einatmen (pītvā) - Halten (dhārayet) - Ausatmen (recayet).
Kapitel 2 Vers 10 : Wechselatmung
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Wenn man den Atem durch das linke Nasenloch (Ida) einatmet, atme man den (zunächst) angehaltenen (Atem) durch das andere Nasenloch wieder aus.
- Nachdem man den Atem durch das rechte Nasenloch (Pingala) eingeatmet hat, entlasse man ihn dann, nachdem man ihn angehalten hat, durch den linken (Kanal).
- Sämtliche (feinstofflichen Energie-)Kanäle der auf diese Art (und Weise) durch den Sonnen- und Mond(kanal) regelmäßig praktizierenden, sich zügelnden (Yogis)
- sind nach drei Monaten rein.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇam : den Atem, die Lebensenergie Prana
- cet : wenn (Ched)
- iḍayā : durch Ida (den Mondkanal, das linke Nasenloch)
- pibet : man einatmet (den Atem "einsaugt", pā)
- niyamitam : den (bei gefüllter Lunge) angehaltenen (Atem, ni + yam)
- bhūyaḥ : wieder (Bhuyas)
- anyayā : durch den anderen (Kanal, das andere Nasenloch, Anya)
- recayet : man soll ausatmen (ric)
- pītvā : nachdem man eingeatmet hat ("eingesaugt" hat, pā)
- piṅgalayā : durch Pingala (den Sonnenkanal, das rechte Nasenloch)
- samīraṇam : den Atem ("Wind", Samirana)
- atho : nun, dann (Atha + U)
- baddhvā : nachdem man angehalten hat (bandh)
- tyajet : man entlasse (ihn, tyaj)
- vāmayā : durch den linken (Kanal, das linke Nasenloch, Vama)
- sūryā-candramasoḥ : durch den Sonnen- (Surya) und Mond(kanal, Chandramas)
- anena : auf diese (Idam)
- vidhinā : Art (und Weise, Vidhi)
- abhyāsam : (diese) Übung(spraxis, Abhyasa)
- sadā : stets, immer (Sada)
- tanvatām : ausführenden ("ausbreitenden", tan)
- śuddhāḥ : rein (Shuddha)
- nāḍi-gaṇāḥ : die Scharen (Gana) der feinstofflichen Energie-)Kanäle, Nadis
- bhavanti : werden, sind (bhū)
- yaminām : der sich zügelnden (Yogins, Yamin)
- māsa-trayāt : drei ("einer Dreiheit von", Traya) Monaten (Masa)
- ūrdhvataḥ : nach (Urdhva)
Erläuterungen
Das Dvandva-Kompositum sūryā-candramasoḥ steht im Genitiv Dual Maskulinum. In solch einem Devatadvandva genannten Kompositum, in dem zwei Namen von Gottheiten (Devata) komponiert werden, wird das auslautende kurze a des Vorderglieds zu langem ā: sūrya wird zu sūryā-.
Kapitel 2 Vers 11 : Steigerung der Atemverhaltungen
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Übersetzung
- Morgens, mittags, abends und zur Mitternacht - die Atemverhaltungen
- soll man vier mal praktizieren, allmählich bis auf 80 (pro Sitzung steigernd).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prātaḥ : morgens (Pratar)
- madhyan-dine : am Mittag (Madhyandina)
- sāyam : abends (Sayam)
- ardha-rātre : zur Mitternacht (Ardharatra)
- ca : und (Cha)
- kumbhakān : Atemverhaltungen (Kumbhaka)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (steigernd, Shanais)
- aśīti-paryantam : bis auf (Paryanta) 80 (Kumbhakas pro Sitzung, Ashiti)
- catur-vāram : vier (Chatur) mal (Vara)
- samabhyaset : man soll üben, praktizieren (sam + abhi + as)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es sich jeweils um die Morgen- bzw. Abenddämmerung (Sandhya) handelt, also die Zeit vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang.
Kapitel 2 Vers 12 : Drei Stufen der Intensität
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Übersetzung
- Im niedrigsten (Stadium) entsteht Schweiß, im mittleren entsteht Zittern.
- Im höchsten (Stadium) erreicht man den (höchsten) Ort - daher soll man den Atem anhalten.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kanīyasi : im niedrigsten ("geringsten" Stadium, Kaniyas)
- bhavet : es entsteht (bhū)
- svedaḥ : Schweiß (Sveda)
- kampaḥ : Zittern (Kampa)
- bhavati : es entsteht (bhū)
- madhyame : im mittleren (Stadium, Madhyama)
- uttame : im höchsten (Stadium, Uttama)
- sthānam : den (höchsten) Ort (Sthana, das Brahmarandhra)
- āpnoti : man erreicht (āp)
- tataḥ : daher, deshalb (Tatas)
- vāyum : den Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- nibandhayet : man soll anhalten (ni + bandh)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass man im höchsten (Uttama) Stadium der in den Strophen 7 bis 10 beschriebenen Form des Pranayama das Brahmarandhra, den "Öffnung Brahmas" genannten Ort (Sthana), erreicht (āpnoti): uttame prāṇāyāme sthānam brahma-randhram āpnoti. Eine weitere Bedeutung von sthānam ist "vollkommene Ruhe", der "Stillstand" des Geistes.
Kapitel 2 Vers 13 : Schweiß
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Übersetzung
- Mit dem durch die Anstrengung entstandenen Schweiß soll man den Körper einreiben.
- Dadurch entsteht Festigkeit und Leichtigkeit des Körpers.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jalena : mit dem Schweiß ("Wasser", Jala)
- śrama-jātena : der durch die Anstrengung (Shrama) entstanden ist (Jata)
- gātra-mardanam : das Einreiben (Mardana) des Körpers (Gatra)
- ācaret : man soll durchführen (ā + car)
- dṛḍhatā : Festigkeit, Kräftigkeit (Dridhata)
- laghutā : Leichtigkeit (Laghuta)
- ca : und (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- tena : dadurch (Tad)
- gātrasya : des Körpers (Gatra)
- jāyate : entsteht (jan)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 14 : Ernährung im Anfängerstadium
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Übersetzung
- In der Anfangszeit des Praktizierens wird mit Milch und geklärter Butter (zubereitete) Nahrung empfohlen.
- Danach, wenn die Übungspraxis sich gefestigt hat, ist das Festhalten an derartigen Beschränkungen nicht (mehr erforderlich).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- abhyāsa-kāle : Zeit (Kala) des Praktizierens (Abhyasa)
- prathame : in der ersten, anfänglichen (Prathama)
- śastam : wird empfohlen (Shasta)
- kṣīrājya-bhojanam : Nahrung (Bhojana, insbesondere Reis vermischt) mit Milch (Kshira) und) geklärter Butter (Ghee, Ajya)
- tataḥ : dann, danach (Tatas)
- abhyāse : (wenn) die Übungspraxis (Abhyasa)
- dṛḍhī-bhūte : sich gefestigt hat (Dridhi-Bhuta)
- na : nicht (ist erforderlich, Na)
- tādṛṅ-niyama-grahaḥ : das Festhalten (Graha) an einer solchen, derartigen (Tadrish) Beschränkung (Niyama)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 15 : Gefahren der Pranayamapraxis
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Übersetzung
- Wie ein Löwe, ein Elefant oder ein Tiger ganz allmählich gehorsam wird,
- genau so behandelt wird der Atem (gehorsam), anderenfalls tötet er den Praktizierenden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yathā : wie (Yatha)
- siṁhaḥ : ein Löwe (Simha)
- gajaḥ : ein Elefant (Gaja)
- vyāghraḥ : ein Tiger (Vyaghra)
- bhavet : wird (bhū)
- vaśyaḥ : gehorsam, folgsam (Vashya)
- śanaiḥ śanaiḥ : ganz langsam, ganz allmählich (Shanais)
- tathā : so (Tatha)
- eva : genau (Eva)
- sevitaḥ : behandelt (Sevita)
- vāyuḥ : der Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- anyathā : anderenfalls (Anyatha)
- hanti : er tötet (han)
- sādhakam : den Praktizierenden (Sadhaka)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 16 : Angemessene und unangemessene Pranayamapraxis
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Übersetzung
- Durch angemessene Atemzügelung kommt die Vernichtung jeglicher Krankheit zustande.
- Durch die Anwendung unangemessener Übungspraktiken entstehen sämtliche Krankheiten.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇāyāmena : Atemzügelung (Pranayama)
- yuktena : durch angemessene, richtige (Yukta)
- sarva-roga-kṣayaḥ : die Vernichtung (Kshaya) jeglicher (Sarva) Krankheit (Roga)
- bhavet : kommt zustande, wird sein (bhū)
- ayuktābhyāsa-yogena : durch die Anwendung (Yoga) unangemessener (Ayukta) Übung(spraktiken, Abhyasa)
- sarva-roga-samudgamaḥ : das Entstehen, Erscheinen (Samudgama) sämtlicher (Sarva) Krankheiten (Roga)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 17 : Krankheiten aufgrund unangemessener Pranayamapraxis
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Übersetzung
- Schluckauf, Asthma und Husten sowie Kopf-, Ohren-und Augenschmerzen -
- die verschiedentlichsten Krankheiten entstehen aufgrund einer Übererregung des (Körper-)windes.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- hikkā : Schluckauf (Hikka)
- śvāsaḥ : Asthma (Shvasa)
- ca : und (Cha)
- kāsaḥ : Husten (Kasa)
- ca : und
- śiraḥ-karṇākṣi-vedanāḥ : Kopf- (Shiras), Ohren- (Karna) und Augen- (Akshi) Schmerzen (Vedana)
- bhavanti : entstehen (bhū)
- vividhāḥ : die verschiedentlichsten (Vividha)
- rogāḥ : Krankheiten (Roga)
- pavanasya : des Atems ("Windes", Pavana, aus ayurvedischer Sicht ist der Dosha Vata gemeint)
- prakopataḥ : aufgrund einer Reizung, Übererregung (Prakopa + Suffix tas)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 18 : Achtsames Üben
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Übersetzung
- Ganz aufmerksam entlasse man den Atem, und ganz aufmerksam atme man ein.
- Ganz aufmerksam halte man (den Atem) an - auf diese Weise kann man Erfolg erreichen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yuktaṃ yuktam : ganz aufmerksam, angemessen, richtig (Yukta)
- tyajet : man entlasse (tyaj)
- vāyum : den Atem ("Wind", Vayu)
- yuktaṃ yuktam : ganz aufmerksam, angemessen, richtig
- ca : und (Cha)
- pūrayet : man atme ein ("fülle", pṝ)
- yuktaṃ yuktam : ganz aufmerksam, angemessen, richtig
- ca : und
- badhnīyāt : man halte an ("binde fest", bandh)
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- siddhim : Vollkommenheit, Erfolg (Siddhi)
- avāpnuyāt : man kann erreichen (āp)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass das "Atem anhalten" (kumbh) auch mit dem Setzen von Jalandhara Bandha und den anderen Bandhas verbunden (Yukta) ist: jālandhara-bandhādi-yuktaṃ badhnīyāt kumbhayet.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 111 behandelt.
Kapitel 2 Vers 19 : Äußere Zeichen erfolgreicher Pranayamapraxis
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Übersetzung
- Wenn aber die Reinheit der (feinstofflichen Energie-)Kanäle besteht, so gibt es äußerliche Anzeichen:
- dann entsteht gewiss Schlankheit und Schönheit des Körpers.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yadā : wenn (Yada)
- tu : aber (Tu)
- nāḍī-śuddhiḥ : die Reinheit (Shuddhi) der (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
- syāt : besteht, vorhanden ist (as)
- tathā : so, in diesem Maße (Tatha)
- cihnāni : Anzeichen, Zeichen (Chihna)
- bāhyataḥ : äußerliche ("von außen", Bahyatas)
- kāyasya : des Körpers (Kaya)
- kṛśatā : Schlankheit (Krishata)
- kāntiḥ : Anmut, Schönheit, Glanz (Kanti)
- tadā : dann (Tada)
- jāyate : entsteht (jan)
- niścitam : gewiss, sicher (Nishchita)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 20 : Nutzen der Reinigung der Nadis
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Übersetzung
- Das Anhalten des Atems nach Belieben, das Entfachen des (Verdauungs-)Feuers,
- das Offenbarwerden des (inneren) Klanges sowie Gesundheit entstehen aufgrund der Reinigung der (feinstofflichen Energie-)Kanäle.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yatheṣṭam : nach Belieben ("wie gewünscht", Yatheshta)
- dhāraṇam : das Anhalten (Dharana)
- vāyoḥ : des Atems, von Prana ("Windes", Vayu)
- analasya : des (Verdauungs-)Feuers (Anala)
- pradīpanam : das Auflodern, Entfachen (Pradipana)
- nādābhivyaktiḥ : das Offenbarwerden, Erscheinen (Abhivyakti) des (inneren, "unangeschlagenen") Klanges (Nada)
- ārogyam : Gesundheit ("Nichtkrankheit", Arogya)
- jāyate : entsteht (jan)
- nāḍi-śodhanāt : aufgrund der Reinigung (Shodhana) der (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 21 : Sechs Reinigungshandlungen
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Übersetzung
- Jemand mit einem Überschuss an Fett und Schleim sollte vor (der Pranayama-Praxis) die sechs (Reinigungs-)Handlungen durchführen.
- (Jeder) andere jedoch sollte diese aufgrund der (bereits bestehenden) Ausgeglichenheit der Doshas nicht durchführen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- meda-śleṣmādhikaḥ : jemand mit einem Überschuss (Adhika) an Fett (Meda) und Schleim (Shleshman bzw. dem Kapha genannten Dosha)
- pūrvam : vorher, vor (der Pranayama-Praxis, Purva)
- ṣaṭ-karmāṇi : die sechs (Shash Reinigungs-)Handlungen (Karman)
- samācaret : sollte durchführen (sam + ā + car)
- anyaḥ : ein anderer (Anya)
- tu : aber, jedoch (Tu)
- na : nicht (Na)
- ācaret : sollte durchführen (ā + car)
- tāni : diese (Tad)
- doṣāṇām : der (drei) Humore (Dosha)
- sama-bhāvataḥ : aufgrund der (bereits bestehenden) Ausgeglichenheit (Samabhava + Suffix tas)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert das Wort pūrvam "vorher" in dem Sinne, dass hier "vor (Prak) der Praxis (Abhyasa) des Pranayama" gemeint ist: prāṇāyāmābhyāsāt prāk.
Kapitel 2 Vers 22 : Sechs Reinigungshandlungen
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Übersetzung
- Dhauti, Vasti, ebenso Neti, Trataka sowie Nauli(ka) und
- Kapalabhati - diese nennt man die sechs (Reinigungs-)Handlungen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dhautiḥ : Dhauti ("Quelle, Bach")
- vastiḥ : Vasti ("Klistierblase")
- tathā : und, ebenso, desgleichen (Tatha)
- netiḥ : Neti (das "Hindurchführen")
- trāṭakam : Trataka (unverwandtes Schauen)
- naulikam : Naulika bzw. Nauli (Kreisen der Bauchmuskulatur)
- tathā : und, ebenso, desgleichen
- kapāla-bhātiḥ : Kapalabhati ("das Leuchten des Schädels")
- ca : und (Cha)
- etāni : diese (Etad)
- ṣaṭ-karmāṇi : die sechs (Shash Reinigungs-)Handlungen (Karman)
- pracakṣate : man nennt (pra + cakṣ)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 23 : Sechs Reinigungshandlungen
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Übersetzung
- Diese Sechsergruppe von (Reinigungs-)Handlungen, die das Reinigen des Körpers bewirkt, ist geheim zu halten.
- Sie verleiht wunderbare Eigenschaften und wird von den Vortrefflichsten der Yogis verehrt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- karma-ṣaṭkam : die Sechsergruppe (Shatka) von (Reinigungs-)Handlungen (Karman)
- idam : diese (Idam)
- gopyam : ist zu hüten, zu verbergen, geheim zu halten (Gopya)
- ghaṭa-śodhana-kārakam : die das Reinigen (Shodhana) des Körpers ("Topfes, Kruges", Ghata) bewirkt, verursacht (Karaka)
- vicitra-guṇa-sandhāyi : die verschiedenartige, wunderbare (Vichitra) Eigenschaften (Guna) verleiht, in sich vereinigt (Sandhayin)
- pūjyate : wird verehrt (pūj)
- yogi-puṅgavaiḥ : von den Vortrefflichsten ("Stieren", Pungava) der Yogis (Yogin)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 24 : Dhauti
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Übersetzung
- Einen vier Finger breiten, fünfzehn Ellen langen
- befeuchteten Stoff(streifen) verschlucke man langsam nach der von seinem Meister gelehrten Methode,
- und ziehe ihn wieder heraus - das wird Dhauti-Anwendung genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- catur-aṅgula-vistāram : vier (Chatur) Finger (Angula) breit ("die Breite habend von", Vistara)
- hasta-pañca-daśāyatam : fünfzehn (à 46 cm ergibt eine Länge von 6,90 m, Panchadasha) Ellen ("Hand" inklusive Unterarm, 1 Hasta ~ 46 cm) lang (Ayata)
- gurūpadiṣṭa-mārgeṇa : nach der Methode ("Weg", Marga) die vom (eigenen) Lehrer, Meister (Guru) gelehrt wurde (Upadishta)
- siktam : einen befeuchteten (Sikta)
- vastram : Stoff(streifen, Vastra)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais)
- graset : man verschlucke (gras)
- punaḥ : wieder (Punar)
- pratyāharet : man ziehe heraus (prati + ā + hṛ)
- ca : und (Cha)
- etat : diesen (Etad)
- uditam : wird genannt (Udita)
- dhauti-karma : Dhauti-Anwendung, (Reinigungs-)Handlung (Karman)
- tat : das, diese (Tad)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 25 : Heilwirkungen von Dhauti
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Übersetzung
- Husten, Asthma, Milz(krankheiten) und Aussatz und 20 (weitere) Kapha-Störungen
- verschwinden gewiss durch die Wirkung der Dhauti-Anwendung - (hierüber besteht) kein Zweifel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kāsa-śvāsa-plīha-kuṣṭham : Husten (Kasa), Asthma (Shvasa) Milz(vergrößerung), Milz(krankheiten, Plihan) und Aussatz, Lepra (Kushtha)
- kapha-rogāḥ : Krankheiten (Roga, bedingt durch gestörtes bzw. übermäßiges) Kapha
- ca : und (Cha)
- viṁśatiḥ : zwanzig (Vimshati)
- dhauti-karma-prabhāveṇa : durch die Wirkung (Prabhava) der Dhauti-Anwendung, (Reinigungs-)Handlung (Karman)
- prayānti : vergehen, verschwinden (pra + yā)
- eva : gewiss (Eva)
- na : nicht (besteht hierüber, Na)
- saṁśayaḥ : ein Zweifel (Samshaya)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 26 : Vasti
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Übersetzung
- In Hockstellung sich bis zum Nabel im Wasser befindend und ein Röhrchen in den Anus eingeführt habend,
- führe man das Kontrahieren des Beckenbodens aus - dieses Spülen ist die Vasti-Anwendung.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nābhi-daghna-jale : im Wasser (Jala) reichend bis an (Daghna) den Nabel (Nabhi)
- pāyau : in den Anus (Payu)
- nyasta-nālotkaṭāsanaḥ : ein Röhrchen (Nala) eingeführt habend (Nyasta) und in Utkatasana bzw. Utkutakasana, der Hockstellung (befindlich)
- ādhārākuñcanam : das Kontrahieren, Zusammenziehen (Akunchana) des (Becken-)Bodens (Adhara)
- kuryāt : man führe aus (kṛ)
- kṣālanam : Spülen, Waschen (Kshalana)
- vasti-karma : (ist) die Vasti-Anwendung, (Reinigungs-)Handlung (Karman)
- tat : dieses (Tad)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert, dass man das im Inneren (Antar) befindliche (Pravishta) Wasser (Jala) erst wieder ausscheiden soll (tyajet), nachdem es durch die Anwendung (Karman) von Nauli hin- und herbewegt wurde (cālayitvā): antaḥ praviṣṭaṃ jalaṃ nauli-karmaṇā cālayitvā tyajet.
Kapitel 2 Vers 27 : Heilwirkungen von Vasti
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Übersetzung
- Unterleibsgeschwulste, Milzkrankheiten und auch Anschwellungen des Bauches (sowie)
- alle Krankheiten, die ihren Ursprung in (gestörtem) Vata, Pitta oder Kapha haben, verschwinden durch die Wirkung der Vasti-Anwendung.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gulma-plīhodaram : krankhafte Anschwellungen im Unterleib, Unterleibsgeschwulste (Gulma), Milz(vergrößerung), Milz(krankheiten, Plihan)
und (Wasser-)Bauch, (Anschwellungen des) Bauches (Udara)
- ca : und (Cha)
- api : auch, sogar (Api)
- vāta-pitta-kaphodbhavāḥ : (Krankheiten mit) Ursprung (Udbhava in gestörtem) Vata ("Wind), Pitta ("Galle") und Kapha ("Schleim")
- vasti-karma-prabhāveṇa : durch die Wirkung (Prabhava) der Vasti-Anwendung, (Reinigungs-)Handlung (Karman)
- kṣīyante : verschwinden (kṣi)
- sakalāmayāḥ : alle, sämtliche (Sakala) Krankheiten (Amaya)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 28 : Heilwirkungen von Vasti
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
- Reinheit der Körpergewebe, der Sinnesorgane und des Denkorgans,
- Anmut und das Auflodern des (Verdauungs-)Feuers verleiht sie,
- und senkt eine (unerwünschte) Zunahme sämtlicher Doshas
- wenn die Wasser-Vasti-Anwendung (regelmäßig) praktiziert wird.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dhātvindriyāntaḥ-karaṇa-prasādam : Klarheit, Reinheit, Ungetrübtheit (Prasada) der Körpergewebe ("Element, Bestandteil", Dhatu), der Sinnesorgane (Indriya) und des inneren Organs (Antahkarana)
- dadyāt : verleiht (dā)
- ca : und (Cha)
- kāntim : Anmut, Schönheit, Glanz (Kanti)
- dahana-pradīptim : das Auflodern, Entfachen (Pradipti) des Verdauungs-)Feuers (Dahana)
- aśeṣa-doṣopacayam : eine (unerwünschte) Zunahme, Vermehrung (Upachaya) sämtlicher (Ashesha) Humore (Dosha)
- nihanyāt : senkt ("sollte niederschlagen", ni + han)
- abhyasyamānam : (wenn sie regelmäßig) ausgeführt, praktiziert wird ("praktiziert werdend", abhi + as)
- jala-vasti-karma : die Vasti-Anwendung, (Reinigungs-)Handlung (Karman) (unter Verwendung von) Wasser (Jala)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 29 : Neti
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Übersetzung
- Man führe einen sehr weichen Faden, eine Spanne (lang), in den Nasengang ein
- und aus dem Mund wieder heraus - dies wird von den Vollkommenen Neti genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sūtram : einen Faden (Sutra)
- vitasti-su-snigdham : eine Spanne (lang, ca. 23 cm, Vitasti) und sehr weich, ganz glatt (Susnigdha)
- nāsā-nāle : in den Gang ("die Röhre", Nala) der Nase (Nasa)
- praveśayet : man führe ein (pra + viś)
- mukhāt : aus dem Mund (Mukha)
- nirgamayet : man führe (wieder) heraus (nir + gam)
- ca : und (Cha)
- eṣā : dies ("diese", Etad)
- netiḥ : Neti
- siddhaiḥ : von den Vollkommenen (Siddha)
- nigadyate : wird genannt (ni + gad)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 35 behandelt.
Kapitel 2 Vers 30 : Heilwirkungen von Neti
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Übersetzung
- Sie reinigt gewiss den Schädel, und verleiht himmliche Sicht.
- Geschwind vertreibt Neti eine Menge von Krankheiten, die oberhalb Schlüsselbeine entstanden sind.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kapāla-śodhinī : reinigt (Shodhana) den Schädel (Kapala)
- ca : und, auch (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- divya-dṛṣṭi-pradāyinī : verleiht (Pradayin) himmliche, göttliche (Divya) Sicht (Drishti)
- jatrūrdhva-jāta-rogaugham : Menge ("Flut", Ogha) der Krankheiten (Roga) die oberhalb (Urdhva) Schlüsselbeine (Jatru) entstanden sind (Jata)
- netiḥ : Neti
- āśu : geschwind, schnell (Ashu)
- nihanti : vertreibt (ni + han)
- ca : und
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt "himmliche bzw. göttliche Sicht" (divya-dṛṣṭi) als ein Sehen (Drishti), das feinstoffliche (Sukshma, also für gewöhnlich unsichtbare) Dinge (Padartha), erfasst (grāhiṇīṃ): sūkṣma-padārtha-grāhiṇīṃ dṛṣṭiṃ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 29 behandelt.
Kapitel 2 Vers 31 : Trataka
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Übersetzung
- Man schaue mit bewegungslosem Blick konzentriert auf ein kleines Objekt,
- bis zum Erscheinen von Tränen - dies wird von den Lehrern Trataka genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nirīkṣet : man schaue (nir + īkṣ)
- niścala-dṛśā : mit bewegungslosem, starrem (Nishchala) Blick (Drish)
- sūkṣma-lakṣyam : auf ein kleines (Sukshma) Objekt ("Ziel", Lakshya)
- samāhitaḥ : konzentriert (Samahita)
- aśru-sampāta-paryantam : bis (Paryanta) zum Erscheinen ("Fallen", Sampata) von Tränen (Ashru)
- ācāryaiḥ : von den Lehrern (Acharya)
- trāṭakam : Trataka
- smṛtam : wird genannt ("erinnert als", Smrita)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 32 : Heilwirkungen von Trataka
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Übersetzung
- (Es bedeutet) Befreiung von Augenkrankheiten, (und ist wie) ein (schützendes) Tor gegen Mattigkeit usw.
- Trataka sollte sorgsam gehütet werden - wie ein Goldkästchen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mocanam : (bedeutet) Befreiung (Mochana)
- netra-rogāṇām : von Krankheiten (Roga) der Augen (Netra)
- tandrādīṇām : gegen ("für") Mattigkeit, Erschlaffung, Abspannung, Trägheit (Tandra) usw. ("zum Anfang habend", Adi)
- kapāṭakam : (und ist wie ein) Tor (Kapataka)
- yatnataḥ : sorgfältig, sorgsam (Yatna + Suffix -tas)
- trāṭakam : Trataka
- gopyam : sollte gehütet, verborgen werden (Gopya)
- yathā : wie (Yatha)
- hāṭaka-peṭakam : ein Kästchen (Petaka) für Gold (Hataka)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert kapāṭakam "Tor" so, dass Trataka wie ein Tor (Kapata-Vat) Mattigkeit usw. ausschließt (Antardhayaka): kapāṭa-vad antardhāyakam.
Kapitel 2 Vers 33 : Nauli
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Übersetzung
- Mit der Geschwindigkeit eines munteren Wasserstrudels lasse man den Bauch nach links und nach rechts
- kreisen, mit vorgebeugten Schultern. Dies wird von den Vollkommenen Nauli genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- amandāvarta-vegena : mit der Geschwindigkeit (Vega) eines munteren ("nicht trägen", Amanda) Wasserstrudels (Avarta)
- tundam : den Bauch, Nabel (Tunda)
- savyāpasavyataḥ : nach links (Savya) und nach rechts (Apasavya + Suffix -tas)
- natāṁsaḥ : (einer, dessen) Schultern (Amsa) vorgebeugt sind (Nata)
- bhrāmayet : drehe, rotiere (bhram)
- eṣā : das ("diese", Etad)
- nauliḥ : Nauli
- siddhaiḥ : von den Vollkommenen (Siddha)
- praśasyate : wird genannt ("gepriesen als", pra + śas)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 34 : Heilwirkungen von Nauli
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
- Sie bewirkt das Auflodern eines trägen (Verdauungs-)Feuers, eine (gute) Verdauung und anderes mehr,
- verleiht jederzeit Glückseligkeit,
- und verscheucht (Störungen) aller (drei) Doshas sowie Krankheiten.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mandāgni-sandīpana-pācanādi-sandhāyikā : verleiht, bewirkt (Sandhayika) das Entfachen, Auflodern (Sandipana) eines trägen (Manda) (Verdauungs-)Feuers (Agni), eine (gute) Verdauung ("das Kochen", Pachana) usw., und anderes mehr (Adi)
- ānanda-karī : bewirkt Glückseligkeit (Ananda-Kara)
- sadā : immer, stets (Sada)
- eva : gewiss (Eva)
- aśeṣa-doṣāmaya-śoṣaṇī : verscheucht, vernichtet ("trocknet aus", Shoshana) aller (drei, "sämtlicher", Ashesha Störungen) der Humore (Dosha) und Krankheiten (Amaya)
- ca : und (Cha)
- haṭha-kriyā-mauliḥ : (ist) die Krone (Mauli) der (genannten Reinigungs-)Handlungen (Kriya) des Hatha(-Yoga)
- iyam : diese (Iyam)
- ca : und
- nauliḥ : Nauli
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 35 : Kapalabhati
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Übersetzung
- Wie bei einem Blasebalg eines Schmiedes wird die Ausatmung und die Einatmung schnell ausgeführt.
- (Dies) wird Kapalabhati genannt und trocknet (übermäßigen) Kapha-Dosha aus.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bhastrā-vat : wie (bei einem) Blasebalg (Bhastra)
- loha-kārasya : eines Schmiedes ("Eisen-Machers", Lohakara)
- reca-pūrau : die Ausatmung (Recha) und die Einatmung (Pura)
- sa-sambhramau : (werden) schnell ("mit Eile" ausgeführt, Sa-Sambhrama)
- kapāla-bhātiḥ : Scheinen, Leuchten (Bhati des) Schädels (Kapala)
- vikhyātā : wird genannt, ist bekannt als (Vikhyata)
- kapha-doṣa-viśoṣaṇī : verscheucht, vernichtet, heilt ("trocknet aus", Vishoshana Störungen des) Humors (Dosha) Kapha ("Schleim")
Erläuterungen
Die äußerst knappen Anweisungen dieses Verses bezüglich der Ausführung von Kapalabhati werden auch vom Kommentator Brahmananda nicht weiter ausgeführt.
Kapitel 2 Vers 36 : Pranayama
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Übersetzung
- Jemand, der durch die sechs (Reinigungs-)Handlungen von Dickleibigkeit, (Störungen des) Humors Kapha, Unreinigkeiten usw. befreit ist,
- möge dann die Atemzügelung praktizieren. Er erreicht mühelos das Ziel (des Hatha-Yoga).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ṣaṭ-karma-nirgata-sthaulya-kapha-doṣa-malādikaḥ : einer, der durch die sechs (Shash) (Reinigungs-)Handlungen (Karman) befreit ist ("von dem gewichen sind", Nirgata) von Dickleibigkeit (Sthaulya, von Störungen des) Humors (Dosha) Kapha ("Schleim"), von Unreinigkeiten, Schlacken, Abfallprodukten (Mala) und anderem, usw. ("zum Anfang habend", Adi)
- prāṇāyāmam : die Atemzügelung (Pranayama)
- tataḥ : dann, danach (Tatas)
- kuryāt : möge ausführen, praktizieren (kṛ)
- anāyāsena : mit Leichtigkeit ("ohne Mühe, ohne Schwierigkeit", Anayasa)
- sidhyati : ist erfolgreich, erreicht das Ziel (des Hatha-Yoga, sidh)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 37 : Andere Lehrmeinung
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Übersetzung
- "Allein durch die (Praktiken der) Atemzügelung verschwinden sämtliche Unreinheiten" - so (denkend)
- schätzen andere Lehrer keine andere (Reinigungs-)Handlung (als Pranayama).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇāyāmaiḥ : durch die (Praktiken der) Atemzügelung (Pranayama)
- eva : nur, allein, ausschließlich (Eva)
- sarve : alle, sämtliche (Sarva)
- praśuṣyanti : verschwinden ("trocknen aus", pra + śuṣ)
- malāḥ : Unreinheiten (Mala, Störungen der) Doshas
- iti : so, in dieser Weise (denkend, Iti)
- ācāryāṇām : Lehrern (Acharya)
- tu : jedoch (Tu)
- keṣāñ-cit : von einigen, gewissen (Ka Chid)
- anyat : eine andere (Anya)
- karma : (Reinigungs-)Handlung (als Pranayama, Karman)
- na : nicht (Na)
- saṁmatam : wird geschätzt, geachtet (Sammata)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 38 : Gajakarani
Versmaß: Pushpitagra
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Übersetzung
- Dinge, die sich im Magen befinden, werden erbrochen,
- indem man den Apana (genannten Lebens-)Wind in die Speiseröhre heraufzieht.
- (Diese Handlung,) die die Gesamtheit der (feinstofflichen Energie-)Kanäle durch systematische Übung kontrollierbar macht,
- wird von den Hatha(-Yoga)kundigen Gajakarani genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- udara-gata-padārtham : den Inhalt, die Dinge (Padartha) die sich befinden ("gelangt sind", Gata) im Magen ("Bauch", Udara)
- udvamanti : (die Yogis) erbrechen (ud + vam)
- pavanam : den (Lebens-)Wind (Pavana)
- apānam : (namens) Apana
- udīrya : nachdem sie heraufgezogen ("angehoben") haben (ud + īr)
- kaṇṭha-nāle : in die Speiseröhre ("Kehl-Röhre", Kanthanala)
- krama-paricaya-vaśya-nāḍi-cakrā : (infolge derer wird) kontrollierbar, beherrschbar (Vashya) die Gesamtheit ("der Kreis", Chakra aller feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi) durch schrittweise, systematische (Krama) Übung, Praxis, Wiederholung (Parichaya)
- gaja-karaṇī : Elefanten-Handlung, Elefanten-Praktik (Gajakarani)
- iti : so (Iti)
- nigadyate : wird (diese Praxis) genannt (ni + gad)
- haṭha-jñaiḥ : von den Hatha(-Yoga-)kundigen (Jna)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert hierzu, dass es sich beim Mageninhalt um gegessene (Bhukta) und getrunkene (Pita) Dinge (Padartha) wie Speisen (Anna) und Wasser (Jala) usw. (Adi) handelt: bhukta-pītānna-jalādis taṃ padārtham.
Brahmananda erläutert ebenfalls, dass hierdurch nicht die Nadis und die Chakras beherrschbar (Vashya) werden, sondern dass hier nāḍi-cakrā als Teil des Kompositums im dritten Pada "die Gesamtheit (Chakra) der Nadis" bedeutet: vaśyaṃ ... nāḍīṇāṃ (Gen.Pl.) cakram (Nom.Sg.).
Kapitel 2 Vers 39 : Pranayama
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Übersetzung
- Sogar die Götter gaben sich ganz der Atempraxis hin,
- aus Furcht vor dem Tod: daher soll man die Atempraxis üben.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- brahmādayaḥ : mit dem Schöpfergott) Brahma beginnend (Adi)
- api : sogar (Api)
- tri-daśāḥ : die Götter ("die Dreißig, drei-mal-zehn", Tridasha)
- pavanābhyāsa-tat-parāḥ : ganz hingegeben, eifrig bemüht (Tatpara) der Praxis, Übung (Abhyasa) des (Lebens-)Windes (Prana, Pavana)
- abhūvan : waren, wurden (bhū)
- antaka-bhayāt : aus Furcht (Bhaya) vor dem Tod (Antaka)
- tasmāt : daher, deshalb (Tad)
- pavanam : (in der Zügelung, Beherrschung des Lebens-)Windes (Pavana)
- abhyaset : man übe sich (abhi + as)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 40 : Pranayama
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Übersetzung
- Solange der Atem im Körper gehalten wird, solange der Geist ruhig ist,
- solange der Blick in der Mitte beider Brauen (ruht) - wo ist da die Furcht vor dem Tod?
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yāvat : solange (Yavat)
- baddhaḥ : angehalten ("festgebunden") ist (Baddha)
- marut : der Atem, Prana ("Wind", Marut)
- dehe : im Körper (Deha)
- yāvat : solange
- cittam : der Geist (Chitta)
- nirākulam : ruhig, klar ("nicht verwirrt") ist (Nirakula)
- yāvat : solange
- dṛṣṭiḥ : der Blick (ruht, Drishti)
- bhruvoḥ : beiden Augenbrauen (Bhru)
- madhye : zwischen ("in der Mitte", Madhya)
- tāvat : während dieser Zeit ("genau solange", Tavat)
- kāla-bhayam : Furcht (Bhaya) vor dem Tod ("Zeit", Kala)
- kutaḥ : woher (sollte kommen, Kutas)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt Nirakula ("nicht verwirrt") mit "nicht zerstreut, nicht (a-) unaufmerksam" (Vikshipta), "konzentriert" (Samahita): nirākulam avikṣiptaṃ samāhitam.
Kapitel 2 Vers 41 : Pranayama
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Übersetzung
- Wenn die Gesamtheit der feinstofflichen Energiekanäle vorschriftsgemäß durch die (Methoden der) Atemzügelung gereinigt ist,
- tritt der Atem, nachdem er die Öffnung der Sushumna durchstoßen hat, mühelos in diese ein.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vidhi-vat : vorschriftsgemäß, gemäß der Anweisungen (Vidhivat)
- prāṇa-saṁyāmaiḥ : durch die Zügelungen, Kontrolle (Samyama, Instr. Pl.) des Lebensatems, der Lebensenergie (Prana)
- nāḍī-cakre : (wenn) die Gesamtheit ("der Kreis", Chakra) der (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
- viśodhite : gereinigt ist (Vishodhita)
- suṣumṇā-vadanam : die Öffnung (den "Mund", Vadana) der Sushumna
- bhittvā : nachdem er durchbrochen, durchstoßen hat (bhid)
- sukhāt : leicht, mühelos (Sukha)
- viśati : tritt (in sie) ein (viś)
- mārutaḥ : der Atem, Prana ("Wind", Maruta)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit prāṇa-saṁyāmaiḥ (Zügelung des Lebensatems) Pranayama gemeint ist, verbunden (Yukta) mit der vorschriftsgemäßen Ausführung (Vidhi) der Körperstellungen (Asana) sowie von Jalandhara Bandha und der übrigen (Adi) Bandhas: prāṇa-saṁyāmair āsana-jālandhara-bandhādi-vidhi-yukta-prāṇāyāmaiḥ.
Kapitel 2 Vers 42 : Manonmani
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Übersetzung
- Wenn der Atem in der Mitte (der Sushumna) fließt, entsteht die Unbeweglichkeit des Geistes.
- Diese äußerste Unbeweglichkeit des Geistes ist der Manonmani (genannte) Zustand.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mārute : (wenn) der Atem, Prana ("Wind", Maruta)
- madhya-sañcāre : in der Mitte (der Sushumna, Madhya) fließt ("beim Hindurchgang", Sanchara)
- manaḥ-sthairyam : festes Gerichtetsein, Unbeweglichkeit (Sthairya) des Geistes (Manas)
- prajāyate : entsteht (pra + jan)
- yaḥ : was ("welcher", Yad)
- manaḥ-su-sthirī-bhāvaḥ : ein äußerst (Su) beständiger Zustand, Unbeweglichkeit (Sthiribhava) des Geistes (Manas ist)
- sā : das ("dieser", Tad)
- eva : gewiss (Eva)
- avasthā : (ist) der Zustand (Avastha)
- manonmanī : des Geistes jenseits des Geistes (Manonmani)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt den Begriff Sthairya als das (ununterbrochene) Dahinströmen (Pravaha) der geistigen Aktivität (Vritti) in der Form (Akara) des Meditationsobjektes (Dhyeya): sthairyaṃ dhyeyākāra-vṛtti-pravāhaḥ.
Kapitel 2 Vers 43 : Manonmani durch Kumbhaka
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Übersetzung
- Für das Erreichen dieses (Manonmani genannten Zustandes) praktizieren diejenigen, die die (geeigneten) Methoden kennen, unterschiedliche Atemverhaltungen.
- Durch das Praktizieren der verschiedenen Atemverhaltungen kann man wundersame Fähigkeiten erreichen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tat-siddhaye : für das Erreichen, Vervollkommnen (Siddhi) dieses (Manonmani bzw. Unmani genannten Zustandes, Tad)
- vidhāna-jñāḥ : (diejenigen, die) die Regeln, Methoden (Vidhana) kennen (Jna)
- citrān : verschiedene, unterschiedliche (Chitra)
- kurvanti : praktizieren (kṛ)
- kumbhakān : Atemverhaltungen (Kumbhaka)
- vicitra-kumbhakābhyāsāt : durch das Praktizieren, Üben (Abhyasa) der verschiedenen (Vichitra) Atemverhaltungen
- vicitrām : wundersame (Vichitra)
- siddhim : Macht, (übernatürliche) Fähigkeiten (Siddhi)
- āpnuyāt : kann man erreichen (āp)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 44 : Die acht Kumbhakas
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Übersetzung
- Suryabhedana, Ujjayi, Sitkari und Shitali,
- Bhastrika, Bhramari, Murchha, Plavini - so (lauten) die acht Atemverhaltungen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sūrya-bhedanam : Suryabhedana (auch Surya Bheda, "Durchstoßen des Sonnen-Kanals" Surya–Bhedana)
- ujjāyī : Ujjayi
- sīt-kārī : Sitkari
- śītalī : Shitali
- tathā : und (Tatha)
- bhastrikā : Bhastrika
- bhrāmarī : Bhramari
- mūrcchā : Murchha
- plāvinī : Plavini
- iti : so (lauten, Iti)
- aṣṭa : die acht (Ashta)
- kumbhakāḥ : Atemverhaltungen (Kumbhaka)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 45 : Ausführung der drei Bandhas
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Übersetzung
- Am Ende der Einatmung ist der Jalandhara Bandha genannte Verschluss auszuführen.
- Am Ende der Atemverhaltung, zu Beginn der Ausatmung, ist wiederum Uddiyana Bandha auszuführen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pūrakānte : am Ende (Anta) der Einatmung (Puraka)
- tu : aber, jedoch (Tu)
- kartavyaḥ : ist auszuführen (Kartavya)
- bandhaḥ : der Verschluss (Bandha)
- jālandharābhidhaḥ : Jalandhara (das "Halten des Netzes") namens ("mit Namen", Abhidha)
- kumbhakānte : am Ende (Anta) der Atemverhaltung (Kumbhaka)
- recakādau : am Anfang (Adi) der Ausatmung (Rechaka)
- kartavyaḥ : ist auszuführen (Kartavya)
- tu : aber, jedoch
- uḍḍiyānakaḥ : Uddiyanaka bzw. Uddiyana (Bandha, das "Auffliegen")
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 51 behandelt.
Kapitel 2 Vers 46 : Ausführung der drei Bandhas
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Übersetzung
- Durch das unverzügliche Zusammenziehen des Beckenbodens (mit Mula Bandha), nachdem das Zusammenziehen der Kehle (mit Jalandhara Bandha) ausgeführt wurde,
- (in Verbindung) mit dem (anschließenden) Einziehen des Bauches (durch Uddiyana Bandha), tritt die Lebensenergie in Brahmanadi (d.h. Sushumna) ein.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- adhastāt : des Beckenbodens (des Bereiches "unten", "von unten her", Adhastat)
- kuñcanena : durch das Zusammenziehen (Kunchana)
- āśu : schnell, unverzüglich, sogleich (Ashu)
- kaṇṭha-saṅkocane : nachdem das Zusammenziehen (Sankochana) der Kehle (Kantha)
- kṛte : ausgeführt wurde ("wurde", Krita)
- madhye : in der Leibesmitte (Madhya)
- paścima-tānena : (zusammen) mit dem Einziehen ("Ausdehnen", Tana) nach hinten (Pashchima)
- syāt : sollte (as)
- prāṇaḥ : der (Lebens-)Atem, die Lebensenergie Prana
- brahma-nāḍi-gaḥ : (durch) Brahmanadi (Brahmas Energiekanal, Sushumna) fließen ("gehen", Ga)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda gibt wichtige Hinweise zum Verständnis dieses Verses. So bezieht sich madhye "in der (Leibes)mitte" auf den Bereich (Pradesha) des Nabels (Nabhi): nābhi-pradeśe. Das Kompositum paścima-tānena bedeutet das "nach hinten (Prishthatas) Einziehen (Akarshana)": pṛṣṭhatas ... ākarṣaṇam. Mit brahma-nāḍi-gaḥ ist das "in Sushumna-Nadi Gelangen (Gamin)" gemeint:suṣumṇnā-nāḍi-gāmī.
Brahmananda betont, das alle drei (Tri) Bandhas aus dem Munde (Mukha) des Lehrers (Guru) zu erfahren sind (Jnatavya): trayo 'pi bandhā guru-mukhāj jñātavyāḥ.
Insbesondere eine falsche Ausführung von Mula Bandha könne zu verschiedenen (Nana) gesundheitlichen Störungen bzw. Krankheiten (Roga) führen (Utpadaka): nānā-rogotpādakaḥ. Hierzu zählen Schwindsucht bzw. Tuberkulose (Dhatukshaya), Verstopfung (Vishtambha) und ein träges Verdauungsfeuer (Agnimandya).
Kapitel 2 Vers 47 : Wirkung der drei Bandhas
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Übersetzung
- Er soll Apana (durch Mula Bandha) nach oben ziehen, und Prana von der Kehle aus (durch Jalandhara Bandha) abwärts lenken.
- So ist der Yogi vom Alter befreit und wird wie ein Sechzehnjähriger.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- apānam : Apana
- ūrdhvam : (durch Mula Bandha) aufwärts, nach oben (Urdhva)
- utthāpya : ziehend ("hinaufdrängend", ud + sthā)
- prāṇam : Prana
- kaṇṭhāt : von der Kehle aus (Kantha)
- adhaḥ : (durch Jalandhara Bandha) abwärts, nach unten (Adhas)
- nayet : möge leiten, lenken (nī)
- yogī : der Yogin
- jarā-vimuktaḥ : vom Alter (Jara) befreit (Vimukta)
- san : seiend (Sat)
- ṣoḍaśābda-vayā : (wie einer, dessen) Alter (Vayas) das eines Sechzehnjährigen (ist, Shodasha–Abda)
- bhavet : wird (bhū)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 48 : Surya Bhedana
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Übersetzung
- Nachdem der Yogi auf einer bequemen Sitzunterlage seine Sitzhaltung eingenommen hat,
- soll er die außerhalb (des Körpers) befindliche Luft durch den rechten Nasengang langsam einatmen, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- āsane : Sitz(unterlage, Asana)
- sukha-de : auf einer bequemen, "Bequemlichkeit gebenden (Sukhada)"
- yogī : der Yogin
- baddhvā : nachdem er eingenommen hat (Baddha)
- ca : und, aber (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- āsanam : eine (geeignete) Sitz(haltung, Asana)
- tataḥ : dann (Tatas)
- dakṣa-nāḍyā : durch den rechten (Daksha) Nasengang ("Energie-Kanal", Nadi)
- samākṛṣya : einziehend ("ansichziehend", sam + ā + kṛṣ)
- bahiḥ-stham : die außerhalb (Bahis) befindliche (sthā)
- pavanam : Luft ("Wind", Pavana)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais, Fortsetzung folgt in Vers 49)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 49 : Surya Bhedana
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Übersetzung
- Er soll (den Atem) bis zum Äußersten anhalten, so dass er bis zu den Haar(spitzen) und Nagelspitzen (der Zehen zu spüren ist).
- Danach soll er durch den linken Nasengang langsam ausatmen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ā keśāt : bis zu (ā) den Haaren (Kesha)
- ā nakhāgrāt : bis zu den Spitzen (Agra) der (Fuß-)Nägel (Nakha)
- ca : und (Cha)
- nirodhāvadhi : bis zur Grenze (Avadhi) der Beherrschung (Nirodha)
- kumbhayet : er halte (den Atem, kumbh)
- tataḥ : dann, danach (Tatas)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais)
- savya-nāḍyā : durch den linken (Savya) Nasengang ("Energie-Kanal", Nadi)
- recayet : er entlasse ("entleere", ric)
- pavanam : (den) Atem ("Wind", Pavana)
- śanaiḥ : langsam, allmählich
Erläuterungen
Der von Brahmananda kommentierte Text liest im dritten und vierten Pada jeweils śanaiḥ "langsam", was sich auf ein und dasselbe Verb recayet "er entlasse" bezieht. Andere Handschriften lesen im vierten Pada su-dhīḥ "der Weise", womit diese Dopplung vermieden ist. Zu den Varianten in verschiedenen Handschriften vgl. die englischsprachige Online-Ausgabe der HYP unter hathapradipika.online.
Kapitel 2 Vers 50 : Surya Bhedana
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Übersetzung
- Surya Bhedana, dieses vorzügliche Reinigung(smittel) des Schädels, das Störungen von Vata vertreibt und Störungen vertreibt, die durch Würmer hervorgerufen werden,
- soll immer wieder zu praktiziert werden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kapāla-śodhanam : (dieses) Reiniguns(smittel, Shodhana) des Schädels (Kapala)
- vāta-doṣa-ghnam : das Störungen (Dosha) von Vata ("Wind") vertreibt (Ghna)
- kṛmi-doṣa-hṛt : (und auch solche) Störungen (Dosha) vertreibt (hṛ) die durch Würmer (Krimi hervorgerufen werden)
- punaḥ punaḥ : wieder (und) wieder, immer wieder (Punar)
- idam : dieses (Idam)
- kāryam : soll durchgeführt werden, ist zu praktizieren (Karya)
- sūrya-bhedanam : Surya Bhedana "Durchstoßen des Sonnen-Kanals"
- uttamam : vorzügliche (Uttama)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 51 : Ujjayi
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Übersetzung
- Mit geschlossenem Mund soll man den Atem geräuschvoll durch beide Nasenlöcher langsam einziehen,
- so dass er von der Kehle bis zum Herzen fühlbar ist, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mukham : den Mund (Mukha)
- saṁyamya : geschlossen habend (Samyama)
- nāḍībhyām : durch beide Nasenlöcher ("Energie-Kanäle", Nadi)
- ākṛṣya : einziehend (ā + kṛṣ)
- pavanam : den Atem ("Wind", Pavana)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais)
- yathā : so dass (Yatha)
- lagati : (der Atem) fühlbar ist ("berührt, sich anschmiegt", lag)
- kaṇṭhāt : von der Kehle (Kantha abwärts)
- tu : aber (Tu)
- hṛdayāvadhi : bis ("bis zur Grenze", Avadhi) zum Herzen (Hridaya)
- sa-svanam : geräuschvoll ("mit Geräusch", Sasvana; Fortsetzung folgt in Vers 52)
Erläuterungen
Brahmananda beginnt seinen Sanskritkommentar mit den Worten ujjāyinam āha "Er (d.h. Svatmarama) lehrt (nun) Ujjayin". Aus der Form ujjāyin-am (Akk.Sg.m.) ergibt sich, dass Brahmananda hier den Wortstamm ujjāy-in ansetzt (vgl. yog-in, sannyās-in usw.). Da die Form des Nominativs Singular im Maskulinum auf -ī endet (vgl. yogī, sannyāsī usw.), liegt eine Verwechslung mit einem Femininum auf -ī (ujjāyī Nom.Sg.f., vgl. devī) nahe. Vgl. auch die Anm. zu Vers 2.53.
Kapitel 2 Vers 52 : Ujjayi
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Übersetzung
- ... er halte wie zuvor (beschrieben) den Atem an, und entlasse ihn durch Ida.
- (Ujjayi) beseitigt durch Schleim hervorgerufene Störungen in der Kehle und vermehrt das (Verdauungs-)Feuer im Körper.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pūrva-vat : wie zuvor (beschrieben, Purvavat)
- kumbhayet : er halte (den Atem) an (kumbh)
- prāṇam : den (Lebens-)Atem Prana
- recayet : er entlasse ("entleere", ric)
- iḍayā : durch Ida (den im linken Nasenloch endenden "Mondkanal")
- tathā : und (Tatha)
- śleṣma-doṣa-haram : beseitigt Störungen (Doshahara hervorgerufen durch) Schleim (Shleshman bzw. Kapha)
- kaṇṭhe : in der Kehle (Kantha)
- dehānala-vivardhanam : (und) vermehrt (Vivardhana) das (Verdauungs-)Feuer (Anala) im Körper (Deha)
Erläuterungen
"Wie zuvor" (pūrva-vat) verweist hier auf die Ausführung von Kumbhaka, wie sie im ersten Halbvers von Vers 2.49 beschrieben wird: "Er soll (den Atem) bis zum Äußersten anhalten, so dass er bis zu den Haar(spitzen) und Nagelspitzen (der Zehen zu spüren ist)" - ā keśād ā nakhāgrāc ca nirodhāvadhi kumbhayet.
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass mit "durch Schleim (Shleshman) hervorgerufene Störungen (Dosha) in der Kehle" Husten (Kasa) usw. (Adi) gemeint ist: śleṣmadoṣāḥ kāsādayaḥ.
Kapitel 2 Vers 53 : Ujjayi
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Übersetzung
- Sie beseitigt Störungen, die sich in den Energie-Kanälen bis hin zu den Körpergeweben befinden, sowie Bauchwassersucht.
- Diese Ujjayi genannte (Atempraxis mit) Atemverhaltung soll (auch) im Gehen und im Stehen praktiziert werden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nāḍī-jalodarā-dhātu-gata-doṣa-vināśanam : es beseitigt, vertreibt (Vinashana) Störungen (Dosha) die sich in den Energie-Kanälen, Gefäßen, Adern (Nadi) bis hin zu (ā) den Körpergeweben (Dhatu) befinden (Gata) sowie Wassersucht bzw. Bauchwassersucht ("Wasser-Bauch", Jalodara)
- gacchatā : gehend (gam)
- tiṣṭhatā : (oder auch) stehend (sthā)
- kāryam : soll ausgeführt werden, ist zu praktizieren (Karya)
- ujjāyy-ākhyam : (diese) Ujjayi (bzw. Ujjayin) genannte (Akhya)
- tu : aber (Tu)
- kumbhakam : Atemverhaltung (Kumbhaka)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda beginnt seinen Kommentar zu diesem Vers mit den Worten ujjāyi-guṇān āha "Er (d.h. Svatmarama) lehrt (nun) die Vorzüge (Guna) von Ujjayin". Im Kompositum ujjāyi-guṇān entfällt das -n des Suffixes -in, und die Form lautet ujjāyi-. Gleiches gilt für das Kompositum ujjāyy-ākhyam (Sandhi von ujjāyi + ākhyam) im vierten Pada dieses Verses.
Brahmananda ergänzt, dass Ujjayi im Gehen bzw. Stehen ohne (Rahita) Bandhas praktiziert werden soll (Kartavya): gacchatā tiṣṭhatā tu bandha-rahitaḥ kartavyaḥ. Diese Aussage schließt sicherlich die Praxis von Ujjayi im Sitzen nicht aus.
Die verschiedenen Handschriften der HYP haben eine Vielzahl von Varianten zum ersten Halbvers dieses Shloka. Brahmanandas Lesung nāḍī-jalodarā-dhātu-gata-doṣa-vināśanam legt ein Kompositum jalodara- nahe, was soviel wie "Bauchwassersucht" bedeutet. Der Kommentator selbst nimmt allerdings beide Wörter einzeln, und nicht als Kompositum. Er erklärt Jala als "getrunkenes (Pita) Wasser (Udaka)", und Udara mit "Bauch" (Tunda): jalaṃ pītam udakam udaraṃ tundam.
Eine weitere beachtenswerte Lesart ist nāḍī-jālodare dhātu-gata-doṣa-vināśanam "Sie beseitigt Störungen in den Körpergeweben innerhalb ("im Inneren", Udara) des Netzwerkes (jāla, Jala) der Energie-Kanäle".
Kapitel 2 Vers 54 : Sitkari
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Übersetzung
- Man mache (beim Einatmen) in den Mund den Laut "sit". Die Ausatmung (erfolgt) ausschließlich durch die Nase.
- Auf diese Weise wird man durch die Methode der Wiederholung zu einem zweiten Liebesgott.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sīt-kām : (den Laut) "sīt" (Sitka)
- kuryāt : man mache (kṛ)
- tathā : und, so (Tatha)
- vaktre : (beim Einatmen) in den Mund ("im Mund", Vaktra)
- ghrāṇena : durch die Nase (Ghrana)
- eva : nur, allein, ausschließlich (Eva)
- vijṛmbhikām : die Ausatmung (Vijrimbhika)
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- abhyāsa-yogena : durch die Anwendung, das Mittel, die Methode (Yoga) der Übung, Wiederholung (Abhyasa)
- kāma-devaḥ : Liebesgott (Kamadeva)
- dvitīyakaḥ : (man wird) ein zweiter (Dvitiyaka)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt den Prozess der Einatmung genauer. Man soll mit zwischen die Lippen (Oshtha) gelegter (Samlagna) Zunge (Jihva) in Begleitung (Purvaka) des Tones "sit" (Sitkara) durch den Mund (Mukha) einatmen (Puraka kṛ): oṣṭhayor antare saṃlagnayā jihvayā sīt-kāra-pūrvakaṃ mukhena pūrakaṃ kuryāt.
Andere Handschriften der HYP lesen anstelle des wenig aussagekräftigen tathā "und, so" sadā "immer, stets, jedes mal".
Brahmananda ergänzt, dass in diesem Vers die Atemverhaltung (Kumbhaka) mitzuverstehen ist (Avagantavya), obwohl sie nicht ausdrücklich genannt wird (anukto’pi), insofern Sitkari zu den (Ausführungsformen von) Kumbhaka gehört (kumbhakatvāt): kumbhakas tv anukto’pi sīt-kāryāḥ kumbhakatvād evāvagantavyaḥ, vgl. auch die Anmerkung zu Vers 2.52.
Kapitel 2 Vers 55 : Sitkari
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Übersetzung
- (Ein solcher Yogi) steht im Kreise der Yoginis in Ehren und ist der Vollbringer von Schöpfung und (deren) Auflösung.
- (Für ihn) entsteht weder Hunger noch Durst, weder Schlaf noch Trägheit.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yoginī-cakra-sammānyaḥ : er steht in Ehren (Sammana) im Kreise (Chakra) der Yoginis (mächtige, zauberkundige weibliche Yogis)
- sṛṣṭi-saṁhāra-kārakaḥ : er ist der Vollführer, Erschaffer (Karaka) von Schöpfung, Aussendung (Srishti) und Auflösung, Zerstörung, Zurückziehung (des Geschaffenen, Samhara)
- na : nicht, weder (Na)
- kṣudhā : Hunger (Kshudha)
- na : nicht, noch
- tṛṣā : Durst (Trisha)
- nidrā : Schlaf, Schläfrigkeit (Nidra)
- na : nicht, noch
- eva : gewiss (Eva)
- ālasyam : Trägheit, Schlaffheit, Energiemangel (Alasya)
- prajāyate : (für ihn) entsteht (pra + jan)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt den Begriff Alasya "Trägheit" als "Abwesenheit (Abhava) von Tätigkeit (Pravritti) aufgrund der Schwere (Gaurava) von Körper (Kaya) und Geist (Chitta): ālasyaṃ kāya-citta-gauravāt pravṛtty-abhāvaḥ.
Brahmananda fügt hinzu, das auch in diesem Vers die Aussage aus dem vorangehenden Vers 2.54 evam abhyāsa-yogena "auf diese Weise (Evam) durch die Methode (Yoga) der Wiederholung (Abhyasa) weiter Gültigkeit hat, d.h. die geschilderten Ergebnisse von Sitkari treten nur bei entsprechend kontinuierlicher Übungspraxis (Abhyasa) ein.
Kapitel 2 Vers 56 : Sitkari
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Übersetzung
- Es entsteht Stärke des Körpers, und (der Yogi) wird frei von allen (Arten von) Gebrechen.
- Mit dieser Methode wird er wahrlich zu einem Fürsten unter den Yogis auf dem Erdenkreis.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bhavet : es entsteht (bhū)
- sattvam : Festigkeit, Stärke (Sattva)
- ca : und (Cha)
- dehasya : des Körpers (Deha)
- sarvopadrava-varjitaḥ : (er wird) frei (Varjita) von allen (Sarva) Übeln, Gebrechen, Widrigkeiten (Upadrava)
- anena : mit dieser (Ayam)
- vidhinā : Methode (Vidhi)
- satyam : wahrlich (Satya)
- yogīndraḥ : (er wird) ein Fürst (Indra) unter den Yogins
- bhūmi-maṇḍale : auf dem Erdenkreis (Bhumi–Mandala)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass das Wort Sattva hier im Zusammenhang mit dem Körper (Deha) "Stärke" (Bala) bedeutet: dehasya ... sattvaṃ balam. Dies ist insofern stimmig, da Sattva aus ayurvedischer Sicht eine geistige Qualität (Guna) darstellt, und zuweilen sogar den Geist (Manas) selbst bezeichnet. Hier steht es jedoch ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Körper.
Andere Handschriften der HYP lesen im ersten Pada anstelle von sattvaṁ ca dehasya "und Stärke des Körpers" svacchanda-dehaś ca "und sein Körper (gehorcht) seinem eigenen Willen (Svachchhanda)".
Kapitel 2 Vers 57 : Shitali
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Übersetzung
- Nachdem (der Yogi) den Atem durch die (längs nach oben eingerollte) Zunge eingezogen hat, (erfolgt) das Ausführen der Atemverhaltung, so wie weiter oben (beschrieben).
- (Danach) entlasse der verständige (Yogi) den Atem langsam durch beide Nasenlöcher.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jihvayā : über die Zunge, durch die (längs eingerollte) Zunge (Jihva)
- vāyum : den Atem ("Wind", Vayu)
- ākṛṣya : einziehend (ā + kṛṣ)
- pūrva-vat : wie zuvor (beschrieben, Purvavat)
- kumbha-sādhanam : (dann folgt) die Praxis, das Ausführen (Sadhana) der Atemverhaltung (Kumbha)
- śanakaiḥ : langsam, allmählich (Shanakais)
- ghrāṇa-randhrābhyām : durch die beiden Löcher (Randhra) der Nase (Ghrana)
- recayet : entlasse ("entleere", ric)
- pavanam : den Atem ("Wind", Pavana)
- su-dhīḥ : der verständige (Yogin, Sudhi)
Erläuterungen
"Wie zuvor" (pūrva-vat) verweist hier auf die Ausführung von Kumbhaka, wie sie im ersten Halbvers von Vers 2.49 beschrieben wird: "Er soll (den Atem) bis zum Äußersten anhalten, so dass er bis zu den Haar(spitzen) und Nagelspitzen (der Zehen zu spüren ist)" - ā keśād ā nakhāgrāc ca nirodhāvadhi kumbhayet.
Der Kommentator Brahmananda beschreibt den Vorgang der Einatmung genauer. Man soll durch die außerhalb (Bahis) der Lippen (Oshtha) herausgestreckte (Nirgata, längs nach oben eingerollte) Zunge (Jihva), vergleichbar (Sadrisha) dem unteren (Adhara Teil) des Schnabels (Chanchu) eines Vogels (Vihangama), langsam (Shanais) die Luft (Vayu) einatmen (Puraka kṛ): jihvayā oṣṭhayor bahir nirgatayā vihaṅgamādhara-cañcu-sadṛśayā vāyum ākṛṣya śanaiḥ pūrakaṃ kṛtvā.
Kapitel 2 Vers 58 : Shitali
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Übersetzung
- Unterleibsgeschwulste, Milz(vergrößerung) und andere Krankheiten, Fieber, (ein Übermaß an) Pitta, Hunger und Durst
- (sowie solche Störungen, die durch) Gifte hervorgerufen werden, vernichtet die Shitali genannte (Atempraxis mit) Atemverhaltung gewiss.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gulma-plīhādikān : (wie) krankhafte Anschwellung im Unterleib, Unterleibsgeschwulst (Gulma), Milz(vergrößerung, Plihan) und andere, usw., ("zum Anfang habend", Adika)
- rogān : Krankheiten (Roga)
- jvaram : Fieber (Jvara)
- pittam : (ein Übermaß an) Pitta ("Galle")
- kṣudhām : Hunger (Kshudha)
- tṛṣām : Durst (Trisha)
- viṣāṇi : Gifte (Visha)
- śītalī : Shitali
- nāma : namens (Nama)
- kumbhikā : Atemverhaltung (Kumbhika)
- iyam : diese (Iyam)
- nihanti : vernichtet ("schlägt nieder", ni + han)
- hi : gewiss (Hi)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert, dass mit viṣāṇi "Gifte" solche Krankheiten bzw. Störungen (Vikara) gemeint sind, die durch das Gift (Visha) von Schlangen (Sarpa) usw. (Adi) hervorgerufen (Janita) werden: viṣāṇi sarpādi-viṣa-janita-vikārān.
Kapitel 2 Vers 59 : Bhastrika
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Übersetzung
- Wenn die beiden sauberen, (nach oben gekehrten) Fußsohlen auf die beiden (gegenüberliegenden) Oberschenkel gelegt worden sind,
- (dann) ist das der Lotussitz, der das Vernichten allen Übels bewirkt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ūrvoḥ : die beiden (gegenüberliegenden) Oberschenkel (Uru)
- upari : auf (Upari)
- saṁsthāpya : wenn gelegt wurden ("gelegt habend", sam + sthā)
- śubhe : sauberen, reinen ("schönen", Shubha)
- pāda-tale : (nach oben gekehrten) Fußsohlen (Padatala)
- ubhe : die beiden (Ubha)
- padmāsanam : der Lotussitz (Padmasana)
- bhavet : ist ("soll sein", bhū)
- etat : dies (Etad)
- sarva-pāpa-praṇāśanam : (er bewirkt) das Vernichten (Pranashana) allen (Sarva) Übels (Papa)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der Ausführung (Anushthana) von Bhastrika (Bhastra-Kumbhaka) das Einnehmen von Padmasana vorausgeht (Purvaka), und daher am Anfang (Adi) Padmasana erwähnt (ah) wird : bhastrā-kumbhakasya padmāsana-pūrvakam evānuṣṭhānāt tad-ādau padmāsanam āha.
Laut Brahmananda steht hier das Adjektiv śubhe im Sinne von "rein" (Shuddha): śubhe śuddhe.
Sandhi: Zwischen den beiden Dual-Formen pāda-tale ubhe "die beiden Fußsohlen" ist das Aufeinanderstoßen der beiden unveränderten Vokale e und u korrekt, da durch diese Besonderheit der Dual sichtbar gemacht wird. Anderenfalls würde der Vokal e vor u zu a.
Kapitel 2 Vers 60 : Bhastrika
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Übersetzung
- Nachdem der verständige (Yogi), dessen Hals und Bauch gerade (aufgerichtet sind), auf die rechte Weise Padmasana eingenommen hat,
- verschließe er den Mund und entlasse die Atemluft kraftvoll durch die Nase ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- samyak : auf die rechte Weise (Samyak)
- padmāsanam : den Lotussitz (Padmasana)
- baddhvā : einnehmend ("gebunden habend", bandh)
- sama-grīvodaraḥ : dessen Hals (Griva) und Bauch (Udara) gerade (ist, Sama)
- su-dhīḥ : der verständige (Yogin, Sudhi)
- mukham : den Mund (Mukha)
- saṁyamya : verschließend (Samyama)
- yatnena : eifrig, kraftvoll ("mit Anstrengung", Yatna)
- prāṇam : den Atem, die Atemluft (Prana)
- ghrāṇena : durch die Nase (Ghrana)
- recayet : entlasse ("entleere" ric, Fortsetzung folgt in Vers 61)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit samyak ... baddhvā "auf die rechte Weise (Padmasana) einnehmend" hier "stabil" (Sthira) gemeint ist: samyak sthiraṁ baddhvā.
Kapitel 2 Vers 61 : Bhastrika
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Übersetzung
- ... sodass (in der Ausatmung der Atem) im Herzen und in der Kehle bis hin zum Schädel mit einem Geräusch fühlbar ist.
- Und (dann) atme man die Luft wieder energisch bis in den Herz-Lotus ein.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yathā : (Fortsetzung von Vers 60:) sodass (in der Ausatmung, Yatha)
- lagati : (der Atem) fühlbar ist ("berührt, sich anschmiegt", lag)
- hṛt-kaṇṭhe : im Herzen (Hrid) und in der Kehle (Kantha)
- kapālāvadhi : bis hin ("bis zur Grenze", Avadhi) zum Schädel (Kapala)
- sa-svanam : geräuschvoll ("mit Geräusch", Sasvana)
- vegena : heftig, schnell, energisch (Vega)
- pūrayet : er atme ein (pṝ)
- ca : und (Cha)
- api : auch (wieder, Api)
- hṛt-padmāvadhi : bis in den Herz-Lotus (Hritpadma)
- mārutam : die Luft ("Wind", Maruta)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda macht deutlich, dass der Autor im ersten Halbvers von 2.61 die Art und Weise (Prakara) der Ausatmung (Rechaka) lehrt (ah): recaka-prakāram āha.
Das Kompositum hṛt-kaṇṭhe ist ein Dvandva-Kompositum, dessen beide Glieder mit "und" (Cha) aufzulösen sind. Es hat das grammatische Geschlecht des Neutrums (Nom.Sg. hṛt-kaṇṭham), welches hier nicht im Dual, sondern im Lokativ Singular (tasmin hṛt-kaṇṭhe "in Herz-und-Kehle") gebraucht wird: hṛc ca kaṇṭhaś ca hṛt-kaṇṭhaṃ tasmin hṛt-kaṇṭhe.
Kapitel 2 Vers 62 : Bhastrika
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Übersetzung
- Auf diese Weise atme man wieder aus, und atme ein, immer wieder.
- Genau so wie ein Blasebalg von einem Schmied schnell bewegt wird.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- punaḥ : wieder (Punar)
- virecayet : man atme aus (vi + ric)
- tad-vat : so, auf diese Weise (Tadvat)
- pūrayet : man atme ein (pṝ)
- ca : und (Cha)
- punaḥ punaḥ : wieder (und) wieder, immer wieder (Punar)
- yathā : so wie (Yatha)
- eva : genau (Eva)
- loha-kāreṇa : vom Schmied ("Eisen-Macher", Lohakara)
- bhastrā : der Blasebalg (Bhastra)
- vegena : heftig, schnell, energisch (Vega)
- cālyate : bewegt wird (cal)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 63 : Bhastrika
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Übersetzung
- In genau dieser Weise bewege man mit Geschicklichkeit die im eigenen Körper befindliche Atemluft.
- Wenn (dadurch) im Körper Erschöpfung entsteht, dann atme man durch den Sonnen(kanal) ein, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tathā : so, auf diese Weise (Tatha)
- eva : genau (Eva)
- sva-śarīra-stham : die im eigenen (Sva) Körper (Sharira) befindliche (Stha)
- cālayet : er bewege (cal)
- pavanam : Atemluft, Prana ("Wind", Pavana)
- dhiyā : mit (seinem) Geist, mit Geschicklichkeit ("Kenntnis, Kunst", Dhi)
- yadā : wenn (Yada)
- śramaḥ : Ermüdung, Erschöpfung (Shrama)
- bhavet : sein sollte (bhū)
- dehe : im Körper (Deha)
- tadā : dann (Tada)
- sūryeṇa : durch das rechte Nasenloch ("die Sonne", Surya)
- pūrayet : er atme ein (pṝ, Fortsetzung folgt in Vers 64)
Erläuterungen
In der HYP stehen Worte, die "Wind" (Pavana, Anila, Vayu u.a.) bedeuten, in der Bedeutung von Atemmluft bzw. der darin enthaltenen Lebensenergie Prana, vgl. Brahmanandas Kommentar: pavanaṃ prāṇam.
Das Wort dhiyā "mit dem Geist, mit Kunst(fertigkeit)", wird von Brahmananda mit buddhyā (Buddhi) erklärt, was hier soviel wie "absichtlich, planvoll" bedeuten könnte: pavanaṃ prāṇaṃ dhiyā buddhyā cālayet.
Kapitel 2 Vers 64 : Bhastrika
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Übersetzung
- ... sodass der Bauch in dieser Weise rasch mit Atemluft gefüllt wird.
- (Dann) halte man die Nase ohne Mittel- und Zeigefinger fest zu.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yathā : (Fortsetzung von Vers 63:) sodass (Yatha)
- udaram : der Bauch (Udara)
- bhavet : sei, werde (bhū)
- pūrṇam : gefüllt (Purna)
- anilena : mit Luft ("Wind", Anila)
- tathā : so, auf diese Weise (atme man durch das rechte Nasenloch ein, Tatha)
- laghu : rasch (Laghu)
- dhārayet : man verschließe ("halte" dann, dhṛ)
- nāsikām : die Nase (Nasika)
- madhyā-tarjanībhyām : Mittelfinger (Madhya) und Zeigefinger (Tarjani)
- vinā : ohne (Vina)
- dṛḍham : fest (Dridha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda paraphrasiert den Ausdruck madhyā-tarjanībhyāṁ vinā "ohne Mittel- und Zeigefinger" wie folgt: "mit dem Daumen (Angushtha) das rechte (Dakshina) Nasenloch (Nasa-Puta) verschließend (ni + rudh) und mit Ringfinger (Anamika) und kleinem Finger (Kanishthika) das linke (Vama) Nasenloch verschließend ergreife (gṛh) man fest (Dridha) die Nase (Nasika) - " aṅguṣṭhena dakṣiṇa-nāsā-puṭaṃ nirudhyānāmikā-kaniṣṭhikābhyāṃ vāma-nāsā-puṭaṃ nirudhya nāsikāṃ dṛḍhaṃ gṛhṇīyāt.
Kapitel 2 Vers 65 : Bhastrika
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Übersetzung
- Nachdem man der Anweisung entsprechend die Atemverhaltung ausgeführt hat, entleere man die Atemluft durch Ida.
- Dies beseitigt (übermäßiges) Vata, Pitta und Shleshman und vermehrt das (Verdauungs-)Feuer im Körper.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vidhi-vat : vorschriftsgemäß, der Anweisung entsprechend ("wie die Vorschrift ist", Vidhivat)
- kumbhakam : die Atemverhaltung (Kumbhaka)
- kṛtvā : nachdem er ausgeführt hat (kṛ)
- recayet : er atme aus (ric)
- iḍayā : durch Ida (den im linken Nasenloch endenden "Mondkanal")
- anilam : die Luft ("Wind", Anila)
- vāta-pitta-śleṣma-haram : beseitigt (Hara übermäßiges) Vata ("Wind") und (übermäßiges) Pitta ("Galle") und (übermäßigen) Schleim (Shleshman, d.h. Kapha)
- śarīrāgni-vivardhanam : (und führt zur) Zunahme (Vivardhana) des (Verdauungs-)Feuers (Agni) im Körper (Sharira)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 66 : Bhastrika
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Übersetzung
- (Diese Praxis) erweckt schnell die Schlangenkraft Kundali, reinigt, verleiht ein Glücksgefühl (und ist) gut (für die Gesundheit).
- Sie beseitigt Hindernisse wie Kapha usw., die sich am Eingang des Brahmanadi (genannten Energiekanals) befinden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kuṇḍalī-bodhakam : (diese Praxis) erweckt (Bodhaka) die Schlangenkraft ("die Geringelte", Kundali bzw. Kundalini)
- kṣipram : schnell (Kshipra)
- pavanam : reinigt (Pavana)
- sukha-dam : verleiht ein Glücksgefühl (Sukhada)
- hitam : (ist) wohltuend, gesund (für alle drei Doshas, Hita)
- brahma-nāḍī-mukhe : am Eingang ("Mund", Mukha) des Brahmanadi (genannten Energiekanal, Sushumna)
- saṁstha-kaphādy-argala-nāśanam : beseitigt (Nashana) Hindernisse (Argala wie) Kapha ("Schleim") usw. (Adi) die sich befinden (Samstha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Bhastrika für alle (Sarva) Menschen bzw. Konstitutionstypen) gut (Hita) ist, weil sie (ein Übermaß) aller drei (Tri) Doshas beseitigt bzw. "raubt" (hara-tvāt): tri-doṣa-haratvāt sarveṣāṃ hitaṃ.
Brahmananda merkt an, dass hier im Sinne von Sushumna das Wort Brahmanadi steht, weil dieser Kanal (Nadi) zum Absoluten (Brahman) hinführt (Prapaka): brahma-nāḍī suṣumnā brahma-prāpaka-tvāt.
Kapitel 2 Vers 67 : Bhastrika
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Übersetzung
- Diese Atemverhaltung namens Bhastra, die das Durchbohren der drei in einer Linie liegenden, im (feinstofflichen) Körper entstandenen Knoten bewirkt,
- ist auf jeden Fall auszuführen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- samyag-gātra-samudbhūta-granthi-traya-vibhedakam : (es bewirkt das) Aufbrechen, Durchbohren (Vibhedaka) der drei ("Dreiheit", Traya) Knoten (Granthi) die in einer Linie liegend (Samyak) im Körper (Gatra) entstanden sind (Samudbhuta)
- viśeṣeṇa : vornehmlich, besonders, d.h. auf jeden Fall (Vishesha)
- eva : gewiss, ganz (Eva)
- kartavyam : ist (daher) zu praktizieren (Kartavya)
- bhastrā : Blasebalg (Bhastra bzw. Bhastrika)
- ākhyam : namens ("mit Namen", Akhya)
- kumbhakam : Atemverhaltung (Kumbhaka)
- tu : aber (Tu)
- idam : diese (Idam)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt samyak (Samyak) als Dridhibhuta "fest geworden, verfestigt": samyag dṛḍhī-bhūtam. Es ergäbe auch Sinn, "in einer Linie liegend" zu verstehen.
Brahmananda ergänzt, dass "im Körper" (Gatra) sich hier auf die in der Körpermitte (Gatra–Madhya) befindliche Sushumna bezieht: gātre gātra-madhye suṣumnāyām.
Brahmananda zählt die "drei Knoten" (Granthi-Traya) auf, sie erscheinen in Form (Rupa) von Brahma Granthi, Vishnu Granthi und Rudra Granthi: granthi-trayaṃ bahma-granthi-viṣṇu-granthi-rudra-granthi-rūpam.
Kapitel 2 Vers 68 : Bhramari
Versmaß: Shalini
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Übersetzung
- (Man vollführe) schnell und geräuschvoll die Einatmung (verbunden mit dem) Klang einer männlichen schwarzen Biene.
- (Man vollführe nach der Atemverhaltung) die Ausatmung ganz langsam (verbunden mit dem) Klang einer weiblichen schwarzen Biene.
- Auf diese Weise entsteht durch die Methode der Wiederholung
- im Geiste der besten der Yogis ein unbeschreibliches Spiel von Glückseligkeit.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vegāt : schnell (Vega)
- ghoṣam : geräuschvoll (Ghosha)
- pūrakam : (man vollführe) die Einatmung (Puraka)
- bhṛṅga-nādam : (verbunden mit dem) Klang einer männlichen schwarzen Biene (Bhringa)
- bhṛṅgī-nādam : (verbunden mit dem) Klang einer weiblichen schwarzen Biene (Bhringi)
- recakam : (man vollführe nach der Atemverhaltung) die Ausatmung (Rechaka)
- manda-mandam : ganz langsam (Manda)
- yogīndrāṇām : der besten ("Fürsten", Indra) der Yogins
- evam : so, auf diese Weise (Eva)
- abhyāsa-yogāt : durch die Methode (Yoga) dieser Übung, der Wiederholung (Abhyasa)
- citte : im Geiste (Chitta)
- jātā : entsteht ("ist entstanden", Jata)
- kā-cit : ein unbeschreibliches ("gewisses", Ka Chid)
- ānanda-līlā : Spiel (Lila) von Glückseligkeit (Ananda)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt kācid ānanda-līlā als "ein unbeschreibliches (Anirvachya) Spiel (Lila) in Glückseligkeit (Ananda)": anirvācyā ānande līlā.
Kapitel 2 Vers 69 : Murchha
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Übersetzung
- Nachdem man am Ende der Einatmung ganz fest Jalandhara (Bandha) gesetzt hat,
- atme man langsam aus. Diese (Atemverhaltung) heißt Murchhana, (führt zur) Ohnmacht des Geistes und verleiht Glücksempfinden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pūrakānte : am Ende (Anta) der Einatmung (Puraka)
- gāḍhataram : ganz fest (Gadha-tara)
- baddhvā : setzend, gesetzt habend ("gebunden habend", bandh)
- jālandharam : Jalandhara (Bandha)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais)
- recayet : man atme aus (ric)
- mūrcchanākhyā : (hat den) Namen (Akhya) Murchhana
- iyam : diese (Atemverhaltung Kumbhika, Iyam)
- mano-mūrcchā : (sie führt zur) Ohnmacht ("Gerinnen, Erstarren" Murchha) des (nach außen gerichteten) Geistes (Manas)
- sukha-pradā : sie verleiht (Prada) Glück(sempfinden), Freude (Sukha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Iyam "diese" auf Kumbhika (Nom.Sg.f.) verweist: iyaṃ kumbhikā mūrcchanākhyā.
Der Begriff mano-mūrcchā drücke aus, dass der Geist (Manas) erstarrt (murchh): mano mūrcchayati iti mano-mūrcchā.
Damit (Etad) werde die Frucht (Phala) von Murchhana beschrieben (Ukta), die durch die (geistige) Schau (Darshana) des Körpers (Vigraha) gekennzeichnet (Purvaka) ist : etena mūrcchanāyā vigraha-darśana-pūrvakaṃ phalam uktam.
Kapitel 2 Vers 70 : Plavini
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Übersetzung
- (Ein Yogin, dessen) Bauch mit ins Innere (des Körpers) geleiteter vorzüglicher Luft vollständig gefüllt ist,
- treibt mühelos auch auf tiefem Wasser wie ein Lotusblatt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- antaḥ-pravartitodāra-mārutāpūritodaraḥ : (ein Yogin, dessen) Bauch (Udara) mit ins Innere (des Körpers, Antar) geleiteter ("gesendeter", Pravartita) vorzüglicher, ausgezeichneter (Udara) Luft ("Wind", Maruta) vollständig gefüllt ist (Purita)
- payasi : Wasser (Payas)
- agādhe : auf tiefem ("nicht seichtem", Agadha)
- api : sogar, auch (Api)
- sukhāt : mühelos, leicht (Sukha)
- plavate : er schwimmt, treibt, schwebt (plu)
- padma-pattra-vat : wie (Vat) ein Lotusblatt (Padmapattra)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 71 : Definition von Pranayama und Kumbhaka
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Übersetzung
- Die Atemzügelung wird in drei Teilen gelehrt: Ausatmung, Einatmung und Atemverhaltung.
- Und die Atemverhaltung wird als von zweierlei Art erachtet: "begleitet" und "unabhängig".
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇāyāmaḥ : die Atemzügelung (Pranayama)
- tridhā : in drei Teilen (Tridha)
- proktaḥ : wird gelehrt (Prokta)
- reca-pūraka-kumbhakaiḥ : (in Form von) Ausatmung (Rechaka-Pranayama, d.h. Atemverhaltung nach erfolgter Ausatmung, Recha), Einatmung (Puraka-Pranayama, d.h. Atemverhaltung nach erfolgter Einatmung, Puraka) und Atemverhaltung (Kumbhaka-Pranayama, d.h. Atemverhaltung ohne vorhergehende Aus- oder Einatmung, Kumbhaka)
- sahitaḥ : begleitet von, verbunden mit (der Aus- bzw. Einatmung, dies entspricht nach Brahmananda Kommentar Rechaka- bzw. Puraka-Pranayama, Sahita)
- kevalaḥ : isoliert, unabhängig (von Aus- bzw. Einatmung, dies entspricht nach Brahmanandas Kommentar Kumbhaka-Pranayama, Kevala)
- ca : und (Cha)
- iti : so, somit (Iti)
- kumbhakaḥ : die Atemverhaltung (Kumbhaka)
- dvividhaḥ : (als) von zweierlei Art (Dvividha)
- mataḥ : wird erachtet ("geschätzt", Mata)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda definiert an dieser Stelle Pranayama (prāṇa + āyāma) als das Anhalten (Ayamana, Nirodhana, Ayama) des Atems (Prana, Vayu), der sich innerhalb (Antar) des Körpers (Sharira) bewegt (Sancharin): prāṇasya śarīrāntaḥ-sañcāri-vāyor āyamanaṃ nirodhanam āyāmaḥ prāṇāyāmaḥ.
Den Erläuterungen Brahmanandas folgend unterteilt man die Atemzügelung (Pranayama) einerseits dreifach (tri-dhā), und zwar in Rechaka-Pranayama, Puraka-Pranayama und Kumbhaka-Pranayama. Eine weitere Art der Einteilung ist die zweifache (dvi-vidha) Unterscheidung von Sahita Kumbhaka und Kevala Kumbhaka. Sahita Kumbhaka bezeichnet nach Brahmananda Rechaka-Pranayama bzw. Puraka-Pranayama, je nachdem, ob der Atemverhaltung eine Aus- oder Einatmung vorausgeht. Kevala Kumbhaka ist wiederum nicht verschieden (Abhinna) von Kumbhaka-Pranayama: kevala-kumbhakaḥ kumbhaka-prāṇāyāmād abhinnaḥ.
Kapitel 2 Vers 72 : Sahita Kumbhaka und Kevala Kumbhaka
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Übersetzung
- Solange bis sich Vervollkommnung in der unabhängigen (Atemverhaltung) einstellt, solange soll man die begleitete (Form der Atemverhaltung) praktizieren.
- Wenn das Anhalten der Luft ohne (vorherige) Ausatmung oder Einatmung mühelos (erfolgt) ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yāvat : solange bis (Yavat)
- kevala-siddhiḥ : Erfolg, Vervollkommnung (Siddhi) in der unabhängigen (Atemverhaltung, Kevala Kumbhaka)
- syāt : sich einstellt ("ist", as)
- sahitam : die begleitete (Form der Atemverhaltung, Sahita Kumbhaka)
- tāvat : solange (Tavat)
- abhyaset : man soll üben, praktizieren (abhi + as)
- recakam : (vorherige) Ausatmung (Rechaka)
- pūrakam : (oder) Einatmung (Puraka)
- muktvā : ohne ("verlassen habend", Mukta)
- sukham : leicht, mühelos (erfolgt, Sukha)
- yat : (wenn) das ("welches", Yad)
- vāyu-dhāraṇam : Anhalten (Dharana) der Luft ("Wind", Vayu, Fortsetzung in Vers 73)
Erläuterungen
Einige Handschriften der HYP stellen diesem Vers noch einen zusätzlichen Halbvers voran, der Sahita Kumbhaka definiert:
- virecyāpūrya yat kuryāt sa vai sahita-kumbhakaḥ |
- Die (Atemverhaltung), die man ausführt, nachdem mach aus- bzw. eingeatmet hat, ist die begleitete (Form der Atemverhaltung).
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass die oben gelehrten acht Arten der Pranayamapraxis, beginnend (Adika) mit Surya Bheda, allesamt in die Kategorie der begleiteten Atemverhaltung (Sahita Kumbhaka) fallen: sahita-kumbhakaṃ sūrya-bhedādikam.
Brahmananda erklärt, dass die unabhängige Atemverhaltung (Kevala Kumbhaka) dann erfolgreich ist (sidh), wenn infolge (Anantara) des Öffnens (Bheda) der Sushumna in deren Innerem (Antar) sechs (Shash) Laute (Shabda) entstehen (bhū): suṣumnā-bhedānantaraṃ yadā suṣumnāntaḥ ṣaṭ-śabdā bhavanti tadā kevala-kumbhakaḥ sidhyati. Dies ist ein Verweis auf die im vierten Kapitel der HYP beschriebene Meditationspraxis auf den "Unangeschlagenen Ton" Anahata Nada (4.80-102).
Kapitel 2 Vers 73 : Kevala Kumbhaka
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Übersetzung
(Fortsetzung aus Vers 72)
- ... eben das ist die unabhängige Atemverhaltung - diese wird Atemzügelung (im engeren Sinne) genannt.
- Wenn die unabhängige Atemverhaltung - frei von und Einatmung und Ausatmung - gemeistert ist, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇāyāmaḥ : Atemzügelung (Pranayama)
- ayam : diese (Ayam)
- iti : so (Iti)
- uktaḥ : wird genannt (Ukta)
- saḥ : sie (Tad)
- vai : wahrlich, bekanntlich, gewiss (Vai)
- kevala-kumbhakaḥ : unabhängige Atemverhaltung (Kevala Kumbhaka)
- kumbhake : Atemverhaltung (Kumbhaka)
- kevale : (wenn) die unabhängige (Kevala)
- siddhe : gemeistert ist (Siddha)
- reca-pūraka-varjite : frei von (Varjita) und Einatmung (Puraka) und Ausatmung (Recha, Fortsetzung in Vers 74)
Erläuterungen
Den Kern der Pranayama-Praxis bildet demnach die Atemverhaltung (Kumbhaka), welche wiederum auf das Meistern der unabhängigen Atemverhaltung (Kevala Kumbhaka) abzielt.
Kapitel 2 Vers 74 : Kevala Kumbhaka
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Übersetzung
(Fortsetzung aus Vers 73)
- ... (dann) gibt es für einen solchen (Yogi) in den drei Welten nichts, was schwer zu erlangen ist.
- Ein (in dieser Weise) Fähiger, durch die unabhängige Atemverhaltung, aufgrund des Anhaltens der Luft nach Belieben ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- na : nicht (Na)
- tasya : für einen solchen (Yogin, Tad)
- dur-labham : (was) schwer zu erlangen (ist, Durlabha)
- kiñ-cit : irgend etwas (Kinchid)
- triṣu : in den drei (Tri)
- lokeṣu : Welten (Loka)
- vidyate : es gibt (vid)
- śaktaḥ : (ein Yogin, der) fähig (ist, Shakta)
- kevala-kumbhena : durch die unabhängige Atemverhaltung (Kevala-Kumbha)
- yatheṣṭam : nach Belieben ("wie gewünscht", Yatheshta)
- vāyu-dhāraṇāt : aufgrund des Anhaltens (Dharana) der Luft ("Wind", Vayu, Fortsetzung in Vers 75)
Erläuterungen
Kapitel 2 Vers 75 : Kevala Kumbhaka
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Übersetzung
(Fortsetzung aus Vers 74)
- ... erlangt sogar den Zustand des königlichen Yoga, hierüber (besteht) kein Zweifel.
- Aufgrund der Atemverhaltung (erfolgt) das Erwachen der Kundali, und aufgrund des Erwachens der Kundali wird
- die Sushumna frei von Hindernissen, und es entsteht Vollkommenheit im Hatha (Yoga).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rāja-yoga-padam : den Zustand ("Ort", Pada) des königlichen Yoga (Rajayoga)
- ca : und, aber (Cha)
- api : auch, sogar (Api)
- labhate : er erlangt, erreicht (labh)
- na : nicht (Na)
- atra : hier(über, Atra)
- saṁśayaḥ : (besteht) ein Zweifel (Samshaya)
- kumbhakāt : aufgrund der Atemverhaltung (Kumbhaka)
- kuṇḍalī-bodhaḥ : (erfolgt) das Erwachen (Bodha) der Kundali (Kundalini)
- kuṇḍalī-bodha-taḥ : aufgrund (Suffix -tas) des Erwachens der Kundali
- bhavet : wird (bhū)
- an-argalā : frei von Hindernissen (Anargala)
- suṣumṇā : die Sushumna
- ca : und
- haṭha-siddhiḥ : Erfolg, Vollkommenheit, Vervollkommnung (Siddhi) im Hatha(-Yoga)
- ca : und
- jāyate : es entsteht (jan)
Erläuterungen
Zu einer Definition des Begriffes Rajayoga in diesem Zusammenhang vgl. die Anm. zu Kap. 4 Vers 103. Zum Stellenwert des Begriffes innerhalb der HYP vergleiche Kapitel 4 Verse 3-4.
Der Kommentator Brahmananda erklärt das Kompositum haṭha-siddhiḥ unter Anspielung auf die Terminologie des Yoga Sutra als Vervollkommnung (Siddhi) der Übungspraxis (Abhyasa) des Hatha, die durch die Abfolge (Parampara) des Rückzugs der Sinne (Pratyahara) usw. (Adi, d.h. gefolgt von Dharana, Dhyana und Samadhi) in Form (Rupa) der vollkommenen Erlösung (Kaivalya) entsteht (jan): haṭhasya haṭhābhyāsasya siddhiḥ pratyāhārādi-paramparayā kaivalya-rūpā siddhir jāyate.
Kapitel 2 Vers 76 :
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Übersetzung
- Der königliche Yoga gelingt nicht ohne den Hatha (Yoga), der Hatha (Yoga) nicht ohne den königlichen Yoga -
- daher soll man beide bis zur Vollendung praktizieren.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- haṭham : den Hatha(-Yoga)
- vinā : ohne (Vina)
- rāja-yogaḥ : der königliche Yoga (Rajayoga)
- rāja-yogam : den königlichen Yoga (Rajayoga)
- vinā : ohne
- haṭhaḥ : der Hatha(-Yoga)
- na : nicht (Na)
- sidhyati : hat Erfolg, gelingt (sidh)
- tataḥ : daher, deshalb (Tatas)
- yugmam : beide ("als Paar", Yugma)
- ā niṣpatteḥ : bis (Präposition ā mit Ablativ) zur Vollendung (des Rajayoga, Nishpatti)
- samabhyaset : man soll üben, praktizieren (sam + ahbi + as)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass hier "Vollendung" (Nishpatti) die Vollkommenheit (Siddhi) im königliche Yoga (Rajayoga) gemeint ist: niṣpattiṃ rāja-yoga-siddhim .
Brahmananda verdeutlicht, dass hier (Atra) unter dem Wort (Shabda) Rajayoga die im vierten Kapitel (Chaturtha–Upadesha) gelehrt werdenden (vakṣyamāṇa) Techniken (Sadhana) zu verstehen sind, die in Form (Rupa) von Unmani, Shambhavi Mudra usw. den ebenfalls als Rajayoga bezeichneten höchsten Zustand (Param Padam) herbeiführen: rāja-yoga-sādhane 'tra rāja-yoga-śabdaḥ … rāja-yoga-sādhanaṃ caturthopadeśe vakṣyamāṇam unmanī-śāmbhavī-mudrādi-rūpam.
Kapitel 2 Vers 77 :
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Übersetzung
- Inmitten des Anhaltens des Atems durch die Atemverhaltung mache man den Geist frei von (allen) Stützen.
- Auf diese Weise erreicht man durch die Methode der Wiederholung den (Bewusstseins-)Zustand des königlichen Yoga.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kumbhaka-prāṇa-rodhānte : inmitten (Anta) des Anhaltens ("Einsperrens", Rodha) des Atems, der Lebensenergie (Prana) durch die Atemverhaltung (Kumbhaka)
- kuryāt : man mache (kṛ)
- cittam : den Geist (Chitta)
- nir-āśrayam : frei von (allen) Objekten ("Stützen", Nirashraya)
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- abhyāsa-yogena : durch die Anwendung, das Mittel, die Methode (Yoga) der Übung, Wiederholung (Abhyasa)
- rāja-yoga-padam : den Zustand (Ort, Pada) des königlichen Yoga (Rajayoga)
- vrajet : man erreicht (vraj)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda macht deutlich, dass der Lokativ ante hier im Sinne von madhye "inmitten" (Madhya) zu verstehen ist: ante madhye. Diese Wortbedeutung ist durchaus im Einklang mit den im Petersburger Wörterbuch verzeichneten Bedeutungen des Lokativs ante.
Diese Interpretation von ante wird indirekt durch die Lesart kumbhita-prāṇa-recānte "am Ende (Anta) der Einatmung (Recha) des Atems (Prana im Kontext) der Atemverhaltung (Kumbhita)" mancher Handschriften der HYP gestützt. In beiden Fällen ist gemeint, dass der Geist (Chitta) in der zentralen Phase der Atemverhaltung, also nach der Einatmung und vor der Ausatmung, von allen "Stützen" (Ashraya) in Form von Vorstellungen, Visualisierungen oder Mantra-Rezitationen frei sein soll.
Kapitel 2 Vers 78 :
Versmaß: Indravamsha
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Übersetzung
- Schlankheit des Körpers, Heiterkeit des Gesichts,
- Vernehmbarkeit des ("unangeschlagenen") Tones, zwei äußerst klare Augen,
- Gesundheit, Meisterschaft über den Samen(fluss), Stimulation des (Verdauungs-)Feuers,
- Reinheit der (feinstofflichen Energie-)Kanäle - (all dies ist) ein Kennzeichen für Vollkommenheit im Hatha-(Yoga).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vapuḥ-kṛśatva : Schlankheit (Krishatva) des Körpers (Vapus)
- vadane : des Gesichts (Vadana)
- prasannatā : Klarheit, Reinheit, Heiterkeit (Prasannata)
- nāda-sphuṭatvam : das Offenbarsein, die Vernehmbarkeit (Sphutatva) des inneren, "unangeschlagenen") Tones (Nada)
- nayane : Augen (Nayana, Nom. Sg. Dual)
- su-nirmale : zwei äußerst (Su) klare, glänzende ("fleckenlose", Nirmala)
- arogatā : Gesundheit ("Nicht-Krankheit", Arogata)
- bindu-jayaḥ : Meisterschaft ("Sieg", Jaya) über den Samen(fluss, "Tropfen", Bindu)
- agni-dīpanam : das Stimulieren ("Entfachen, Auflodernlassen", Dipana) des (Verdauungs-)Feuers (Agni)
- nāḍī-viśuddhiḥ : die Reinigung, Reinheit (Vishuddhi) der (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi)
- haṭha-siddhi-lakṣaṇam : (all dies ist) ein Zeichen, Kennzeichen (Lakshana) für Erfolg, Vervollkommnung (Siddhi) im Hatha(-Yoga)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt bindu-jayaḥ als die Meisterschaft ("Sieg", Jaya) über das Körpergewebe (Dhatu Samen) in Form (Rupa) der Abwesenheit (Abhava) dessen Verlusts (Kshaya): bindor dhātor jayaḥ kṣayābhāva-rūpaḥ.
Kapitel 3 Vers 1 : Kundali (Kundalini)
Die Kundalini gilt wie Durga als eine Manifestation der Großen Göttin, auch Shakti genannt.
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Übersetzung
- So wie der Fürst der Schlangen die Grundlage der Erde samt ihren Bergen und Wäldern ist,
- genau so ist die Kundali gewiss die Grundlage aller Yoga-Praktiken.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sa-śaila-vana-dhātrīṇām : der Erde ("der irdischen Gegenden, der Weltgebiete", Dhatri Pl.) samt (ihren, Sa) Bergen (Shaila) und Wäldern (Vana)
- yathā : wie (Yatha)
- ādhāraḥ : die Grundlage, Basis, Stütze (ist, Adhara)
- ahi-nāyakaḥ : der Anführer, Fürst der Schlangen (Ahinayaka)
- sarveṣām : aller (Sarva)
- yoga-tantrāṇām : Praktiken, Lehren (Tantra) des Yoga
- tathā : genau so (Tatha)
- ādhāraḥ : die Grundlage, Basis, Stütze
- hi : gewiss (Hi)
- kuṇḍalī : (ist) die Kundali (die "geringelte" Schlangenkraft Kundalini)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass mit "Schlangenfürst" (Ahinayaka) die mythische Weltenschlange Shesha gemeint ist: ahi-nāyakaḥ śeṣaḥ. In einem Mythos des Mahabharata wird erzählt, dass Shesha mit seinen vielen Köpfen aus der Unterwelt heraus die Welt stützt und stabilisiert.
Brahmananda versteht im Kompositum yoga-tantrāṇām Tantra als Praktiken bzw. "Mittel" (Upaya) des Yoga: yoga-tantrāṇi yogopāyāḥ.
Er definiert hier im Sinne von Svatmarama die Kundali (Kundalini) als die an der Basis (Adhara liegende, die Grundlage (Ashraya) bildende Kraft (Shakti) aller Yogapraxis: kuṇḍaly ādhāra-śaktir āśrayaḥ. Denn ohne (Vina) die Erweckung (Bodha) der Kundali seien sämtliche (Sarva) Yoga-Praktiken (Yoga-Upaya) nicht von Nutzen (Vaiyarthya): kuṇḍalī-bodhaṃ vinā sarva-yogopāyānāṃ vaiyarthyād iti bhāvaḥ.
Kapitel 3 Vers 2 : Kundali (Kundalini)
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Übersetzung
- Wenn die schlafende Kundali durch die Vermittlung des Meisters erwacht,
- dann werden alle Lotusse und auch die (drei) Knoten durchstoßen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- suptā : die schlafende (Supta)
- guru-prasādena : durch die Gnade, Gunst, Hilfe, Vermittlung (Prasada) des Meisters (Guru)
- yadā : wenn (Yada)
- jāgarti : erwacht (jāgṛ)
- kuṇḍalī : Kundali (die "geringelte" Schlangenkraft Kundalini)
- tadā : dann (Tada)
- sarvāṇi : alle (Sarva)
- padmāni : Chakren ("Lotusse", Padma)
- bhidyante : werden durchstoßen (bhid)
- granthayaḥ : die (drei) Knoten (Granthi)
- api : auch, sogar (Api)
- ca : und (Cha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich "alle Lotusse" (sarvāṇi padmāni) auf die sechs (Shash) Chakren bezieht: sarvāṇi padmāni ṣaṭ cakrāṇi.
Die drei "Knoten" (Granthi) sind Brahma Granthi, Vishnu Granthi und Rudra Granthi.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 44 behandelt.
Kapitel 3 Vers 3 : Kundali (Kundalini)
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Übersetzung
- Dann wird der Pfad der Leere für die Lebensenergie zur Haupstraße,
- dann (wird) der Geist frei von Stützen, dann (ist) ein Hintergehen des Todes ("der Zeit" möglich).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇasya : für die Lebensenergie Prana
- śūnya-padavī : der Pfad der Leere Shunyapadavi (die Sushumna)
- tadā : dann (Tada)
- rāja-pathāyate : wird zur Haupstraße ("Königsweg", rājapathāy)
- tadā : dann
- cittam : (wird) der Geist (Chitta)
- nir-ālambam : objektlos ("ohne Stütze", Niralamba)
- tadā : dann (ist möglich)
- kālasya : des Todes ("der Zeit", Kala)
- vañcanam : das Täuschen ("Hintergehen, Entrinnen", Vanchana)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt den Sinn des Denominativums rāja-pathāyate in der Hinsicht, dass dann (die Sushumna) sich wie (Iva) eine Hauptstraße (Rajapatha) verhält (ā + car), da auf einer solchen das Gehen (Gamana) auf angenehme Weise (Sukha) möglich ist (Sambhava): rāja-patha ivācarati rāja-pathāyate ... sukhena gamana-saṃbhavāt.
Er führt aus, dass dann ein "Geist ohne Stützen" (cittaṃ nir-ālambaṃ), nämlich objektlos ist, da er von den Sinnes- bzw. Meditationsobjekten losgelöst (Nirvishaya) wird (bhū): cittaṃ … nir-ālambaṃ nir-viṣayaṃ bhavati.
Dann entsteht (bhū) das Täuschen (Vanchana) der Zeit (Kala), d.h. das Hintergehen (Pratarana) des Todes (Mrityu): tadā kālasya mṛtyor vañcanaṃ pratāraṇaṃ bhavati.
Kapitel 3 Vers 4 : Sushumna und ihre Synonyme
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Übersetzung
- Verbrennungsplatz, Shambhavi und Mittlerer Weg - das sind Synonyme.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- suṣumṇā : Sushumna
- śūnya-padavī : Shunyapadavi ("Pfad der Leere")
- brahma-randhram : Brahmarandhra ("Öffnung Brahmans")
- mahā-pathaḥ : Mahapatha ("großer Pfad")
- śmaśānam : Shmashana ("Verbrennungsplatz")
- śāmbhavī : Shambhavi "die zu Shambhu (Shiva) Gehörige"
- madhya-mārgaḥ : Madhyamarga ("mittlerer, zentraler Weg")
- ca : und (Cha)
- iti : so (lauten, Iti)
- eka-vācakāḥ : die Synonyme (für Sushumna, die alle "ein und dasselbe ausdrücken", Ekavachaka)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 5 : Mudra
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Übersetzung
- Daher soll man, um die am Eingang der Tür zum Brahman schlafende Göttin zu erwecken,
- mit aller Anstrengung die Praxis der (verschiedenen) Siegel ausführen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tasmāt : daher, deshalb (Tasmat)
- sarva-prayatnena : mit aller (Sarva) Anstrengung, Bemühung (Prayatna)
- prabodhayitum : um zu erwecken (pra + budh)
- īśvarīm : die Göttin, Herrin, Gebieterin (Ishvari)
- brahma-dvāra-mukhe : am Eingang ("Mund", Mukha) der Tür zum Brahman (Brahmadvara)
- suptām : (welche) schläft (Supta)
- mudrābhyāsam : die Praxis, Übung (Abhyasa) der (verschiedenen) Siegel (Mudra)
- samācaret : (man) soll ausführen (sam + ā + car)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit der "schlafenden (Supta) Göttin (Ishvari)" hier die Kundali gemeint ist: suptām īśvarīṃ kuṇḍalīm.
Brahmananda definiert hier das Absolute (Brahman) als durch Sein (Sat), Bewusstsein (Chit) und Glückseligkeit (Ananda) charakterisiert (Lakshana): brahma sac-cid-ānanda-lakṣaṇam.
Die "Tür zum Brahman" (Brahmadvara) ist die Sushumna, das "Mittel (Upaya) zum Erreichen (Prapti)" desselben (tasya): tasya dvāraṃ prāpty-upāyaḥ suṣumnā.
Diesen Eingang (Dvara) hält die Kundalini gewöhnlich mit ihrem Mund (Mukha) verschlossen (pi + dhā): mukhena suṣumnā-dvāraṃ pidhāya.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 43 behandelt.
Kapitel 3 Vers 6 : Die 10 Mudras
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Übersetzung
- Maha Mudra, Maha Bandha, Maha Vedha und Khechari,
- Udyana (Uddiyana Bandha), Mula Bandha, und der Verschluss namens Jalandhara, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mahā-mudrā : Maha Mudra (das "große Siegel")
- mahā-bandhaḥ : Maha Bandha (der "große Verschluss")
- mahā-vedhaḥ : Maha Vedha (der "große Durchbruch")
- ca : und (Cha)
- khecarī : Khechari (Mudra, "die im Luftraum Gehende")
- uḍyānam : Udyana, d.h. Uddiyana (Bandha, das "Auffliegenlassen")
- mūla-bandhaḥ : Mula Bandha ("Wurzel-Verschluss")
- ca : und
- bandhaḥ : der Verschluss (Bandha)
- jālandharābhidhaḥ : namens ("mit der Bezeichnung", Abhidha) Jalandhara (Bandha, das "Halten des Netzes")
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 7 : Die 10 Mudras
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Übersetzung
- ... die Stellung mit der Bezeichnung die "Umgekehrte", Vajroli, Shakti Chalana -
- dies ist bekanntlich die Gruppe der zehn Siegel, (ein Mittel) zur Vernichtung von Alter und Tod.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- karaṇī : die Stellung, Haltung (Karani)
- viparītākhyā : mit der Bezeichnung (Akhya) die "Umgekehrte" (Viparita Karani)
- vajrolī : Vajroli
- śakti-cālanam : Shakti Chalana (das "Inbewegungsetzen der göttlichen Energie")
- idam : dies (Idam)
- hi : gewiss, bekanntlich (Hi)
- mudrā-daśakam : (ist die Gruppe der) zehn (Dasha) Siegel (Mudra)
- jarā-maraṇa-nāśanam : (ein Mittel Nashana zur) Vernichtung von Alter (Jara) und Tod (Marana)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 8 : Die 10 Mudras
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Übersetzung
- (Diese Gruppe der zehn Mudras) wurde vom uranfänglichen Herrn gelehrt. Sie ist göttlich, und sie verleiht die acht übernatürlichen Kräfte.
- Sie wird von allen Vollkommenen geschätzt und ist selbst von den Göttern schwer zu meistern.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ādināthoditam : vom uranfänglichen Herrn (Adinatha, einer Form Shivas) wurde (diese Gruppe der zehn Mudras) gelehrt (Udita)
- divyam : (sie ist) göttlich, himmlich (Divya)
- aṣṭaiśvarya-pradāyakam : (und sie) verleiht (Pradayaka) die) acht (Ashta) übernatürlichen Kräfte ("Herrlichkeiten", Aishvarya)
- vallabham : (sie) wird geschätzt ("ist lieb", Vallabha)
- sarva-siddhānām : von allen (Sarva) Vollkommenen (Siddhas)
- dur-labham : (sie) ist schwer zu meistern ("zu erlangen", Durlabha)
- marutām : von den Göttern ("Windgöttern", Marut)
- api : sogar, selbst (Api)
Erläuterungen
Das Subjekt dieses Satzes (mudrā-daśakaṁ) findet sich in Vers 3.7. Darauf beziehen sich uditaṁ ("wurde gelehrt") und die übrigen Neutra von Vers 3.8.
Der Kommentator Brahmananda erwähnt die folgenden acht übernatürlichen Kräfte (Aishvarya bzw. Siddhi): Animan, Mahiman, Gariman, Laghiman, Prapti, Prakamya, Ishitva, und Vashitva.
Kapitel 3 Vers 9 : Die 10 Mudras
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Übersetzung
- (Diese Gruppe der zehn Mudras) ist sorgsam zu verbergen wie ein Kästchen mit Edelsteinen.
- Es soll (darüber) zu niemandem gesprochen werden, so wie über den Sex mit einer Frau aus guter Familie.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gopanīyam : (diese Gruppe der zehn Mudras) ist geheim zu halten, zu verbergen (Gopaniya)
- prayatnena : sehr sorgsam (Prayatna)
- yathā : (so) wie (Yatha)
- ratna-karaṇḍakam : ein Kästchen (Karandaka) mit Edelsteinen, Perlen (Ratna)
- kasya cit : irgend jemandem (Ka Chid)
- na : nicht (Na)
- eva : gewiss, gar (Eva)
- vaktavyam : es soll (darüber) gesprochen werden (Vaktavya)
- kula-strī-suratam : über den Beischlaf, Sex (Surata) mit einer Frau aus guter Familie (Kulastri)
- yathā : (so) wie
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 10 : Maha Mudra
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Übersetzung
- Indem man mit der linken Ferse das Perineum drückt, und das rechte Bein
- ausgestreckt hat, ergreife man (den rechten Fuß) fest mit beiden Händen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pāda-mūlena : Ferse ("Fuß-Wurzel", Padamula)
- vāmena : mit der linken (Vama)
- yonim : den Damm, das Perineum (Yoni)
- sampīḍya : drückend (sam + pīḍ)
- dakṣiṇam : das rechte (Dakshina)
- prasāritam : ausgestreckt (Prasarita)
- padam : Bein ("Fuß", Pada)
- kṛtvā : haltend ("machend", Krita)
- karābhyām : mit beiden Händen (Kara)
- dhārayet : man halte, ergreife (den rechten Fuß, dhṛ)
- dṛḍham : fest (Dridha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der Begriff Padamula, der wörtlich "Fuß-Wurzel" (Pada-Mula) bedeutet, hier im Sinn von Ferse (Parshni) steht: pādasya mūlaṃ pāda-mūlaṃ pārṣṇis tena pāda-mūlena.
Der Begriff Yoni bedeutet hier den Bereich des Perineums (Yonisthana), d.h. den mittleren Bereich (Madhyabhaga) zwischen Anus (Guda) und Penis (Mendhra): yoniṃ yoni-sthānaṃ guda-meṇḍhrayor madhya-bhāgam.
Brahmananda ergänzt, dass man den Fuß des ausgestreckten rechten Beines in der Gegend (Pradesha) des großen Zehs (Angushtha) mit beiden Zeigefingern (Tarjani) der gebeugten (Akunchita) Arme ("Hände", Kara) ergreifen soll (gṛh): ākuñcita-kara-tarjanībhyām … aṅguṣṭha-pradeśe gṛhṇīyāt.
Kapitel 3 Vers 11 : Maha Mudra
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Übersetzung
- Nachdem man in der Kehle den (Jalandhara Bandha genannten) Verschluss gesetzt hat, leite man den Lebenshauch (durch das Setzen von Mula Bandha) nach oben.
- So wie eine Schlange, die mit einem Stock geschlagen wird, die Gestalt eines Stocks annimmt, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kaṇṭhe : in der Kehle (Kantha)
- bandham : den Verschluss (Bandha, d.h. Jalandhara Bandha)
- samāropya : setzend ("gesetzt habend", sam + ā + ruh)
- dhārayet : er (halte den Atem an und) leite ("trage", dhṛi)
- vāyum : den (Lebens-)Hauch, Prana ("Wind", Vayu)
- ūrdhvatas : (durch das Setzen von Mula Bandha) nach oben (Urdhvatas)
- yathā : (so) wie (Yatha)
- daṇḍa-hataḥ : (die mit einem) Stock (Danda) geschlagen wird ("wurde", Hata)
- sarpaḥ : eine Schlange (Sarpa)
- daṇḍākāraḥ : die Gestalt, Form (Akara) eines Stocks (Danda)
- prajāyate : annimmt ("wird", pra + jan, Fortsetzung in Vers 12)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass im ersten Pada das Setzen (kṛ) von Jalandhara Bandha gemeint ist (Iti Artha): jālandhara-bandhaṃ kṛtvety arthaḥ.
Der Ausdruck dhārayed vāyum ūrdhvataḥ "man ziehe den Lebenshauch (Vayu) nach oben" bedeutet, diesen durch das Setzen von Mula Bandha in die Sushumna zu leiten: vāyuṃ … suṣumnāyāṃ dhārayet. anena mūla-bandhaḥ sūcitaḥ.
Die Schlange verlässt (tyaj) ihre zusammengerollte "Ringel-Gestalt" (Kundala-Akara) und wird gerade (Sarala): kuṇḍalākāraṃ tyaktvā sarala ity arthaḥ.
Kapitel 3 Vers 12 : Maha Mudra
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Übersetzung
(Fortsetzung aus Vers 11)
- ... genauso wird die (vorher zusammengerollte) Kundali (genannte Schlangen-)Kraft sofort gerade.
- Dann entsteht hinsichtlich der zwei (feinstofflichen Energie-)Kanäle ein todes(ähnlicher) Zustand.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ṛjvī-bhūtā : gerade ("gerade-geworden", Rijvibhuta)
- tathā : (genau) so, ebenso (Tatha)
- śaktiḥ : Energie, Kraft (Shakti)
- kuṇḍalī : die Kundali ("Geringelte")
- sahasā : sofort, sogleich, plötzlich (Sahasa)
- bhavet : wird (bhū)
- tadā : dann (Tada)
- sā : der (Tad)
- maraṇāvasthā : Zustand (Avastha) des Todes (Marana)
- jāyate : entsteht (jan)
- dvi-puṭāśrayā : in Bezug auf, hinsichtlich (Ashraya) der zwei (Dvi) (feinstofflichen Energie-)Kanäle ("Röhren", Puta)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass die beiden (Dva) Kanäle (Puta), d.h. Ida und Pingala in einen todes(ähnlichen) Zustand (maraṇāvasthā) gelangen, weil beim Erwachen (Bodha) der Kundalini die Lebensenergie Prana in die Sushumna eintritt (Pravishta) und daraufhin die beiden Kanäle von Prana getrennt (Viyoga) werden: dve puṭe iḍā-piṅgale ... kuṇḍalī-bodhe sati suṣumnāyāṃ praviṣṭe prāṇe dvayoḥ puṭayoḥ prāṇa-viyogāt.
Kapitel 3 Vers 13 : Maha Mudra
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Übersetzung
- Dann atme man ganz langsam aus, keinesfalls ruckartig.
- Dies wird bekanntlich von den großen Vollkommenen als Maha Mudra gelehrt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tataḥ : dann, daraufhin (Tatas)
- śanaiḥ śanaiḥ : ganz langsam, gleichmäßig (Shanais)
- eva : nur (Eva)
- recayet : man atme aus (ric)
- na : nicht (Na)
- eva : gewiss
- vegataḥ : schnell, ruckartig ("mit Geschwindigkeit, Ungestüm", Vegatas, das Suffix -tas steht hier i.S. des Instrumentals)
- iyam : dies (Iyam)
- khalu : nun, bekanntlich (Khalu)
- mahā-mudrā : (als) Maha Mudra (das "große Siegel")
- mahā-siddhaiḥ : von den großen Vollkommenen Mahasiddha)
- pradarśitā : wurde gelehrt, bezeichnet (Pradarshita)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 14 : Maha Mudra
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Übersetzung
- Die (fünf) großen Leiden und andere Übelstände wie der Tod usw. werden (so) Zunichte -
- aus eben diesem Grunde nennen es die Besten der Weisen das Große Siegel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mahā-kleśādayaḥ : die (fünf) großen (Maha) Leiden (Klesha) und andere, usw. (Adi)
- doṣāḥ : Übelstände (Dosha)
- kṣīyante : hören auf, werden Zunichte (kṣi)
- maraṇādayaḥ : der Tod (Marana) und andere, usw. (Adi)
- mahā-mudrām : Maha Mudra (das "große Siegel", da es alle Leiden "besiegelt")
- ca : und (Cha)
- tena : aus diesem (Grunde, Tad)
- eva : genau (Eva)
- vadanti : nennen (es, vad)
- vibudhottamāḥ : die Besten (Uttama) der Weisen (Vibudha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda zählt die fünf Kleshas auf (vgl. Yogasutra 2.3): Avidya, Asmita, Raga, Dvesha und Abhinivesha.
Kapitel 3 Vers 15 : Maha Mudra
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Übersetzung
- Nachdem man auf der Mond-Seite praktiziert hat, soll man noch einmal auf der Sonnen-Seite üben,
- solange bis die Anzahl (der Atemverhaltungen auf beiden Seiten) gleich ist. Dann löse man das Siegel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- candrāṅge : auf der Seite (Anga) des Mondes (Chandra, d.h. links, wo Ida verläuft)
- tu : aber (Tu)
- samabhyasya : nachdem man praktiziert hat (sam + abhi + as)
- sūryāṅge : auf der Seite (Anga) der Sonne (Surya, d.h. rechts, wo Pingala verläuft)
- punaḥ : wieder, noch einmal (Punar)
- abhyaset : soll man üben (abhi + as)
- yāvat : solange bis (Yavat)
- tulyā : gleich (Tulya)
- bhavet : ist ("sei", bhū)
- saṅkhyā : die Anzahl (der auf beiden Seiten praktizierten Atemverhaltungen, Sankhya)
- tataḥ : dann (Tatas)
- mudrām : das Siegel (Mudra, d.h. Maha Mudra)
- visarjayet : löse man (vi + sṛj)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda führt aus, dass man solange (Yavat) üben soll (abhi + as), bis (Tavat) die Anzahl (Sankhya) der Atemverhaltungen (Kumbhaka) auf der Sonnen- (Surya) bzw. rechten (Daksha) Seite (Anga) mit der Anzahl der Wiederholungen (Abhyasa) der Atemverhaltungen auf der linken (Vama) Seite gleich (Sama) ist: sūryāṅge dakṣāṅge ... yāvat ... tulyā vāmāṅge kumbhakābhyāsa-saṅkhyā-samā saṅkhyā bhavet tāvad abhyaset.
Kapitel 3 Vers 16 : Maha Mudra
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Übersetzung
- (Für einen, der Maha Mudra praktiziert) gibt es nichts, was heilsam oder unheilsam ist. Alle Geschmack(srichtungen) sind (für ihn) ohne Geschmack.
- Sogar schreckliches Gift, das gegessen wurde, wird wie Nektar verdaut.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- na : nicht(s gibt, Na)
- hi : gewiss, weil (Hi)
- pathyam : (was) heilsam, gesund (Pathya)
- apathyam : unheilsam, ungesund (ist, Apathya)
- vā : oder (Va)
- rasāḥ : Geschmack(srichtungen, Rasa)
- sarve : alle (Sarva)
- api : auch, sogar (Api)
- nīrasāḥ : ohne Geschmack, nicht schmackhaft, reizlos, saftlos, ungenießbar (Nirasa)
- api : auch, sogar
- bhuktam : gegessenes (Bhukta)
- viṣam : Gift (Visha)
- ghoram : schreckliches (Ghora)
- pīyūṣam : Nektar (Piyusha)
- iva : wie (Iva)
- jīryati : (werden bzw.) wird verdaut (jṝ)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda versteht nīrasāḥ ("ohne Geschmack") in diesem Vers etwas anders. Sein Kommentar legt nahe, dass mit "geschmacklosen" (Nirasa) Nahrungsmitteln solche Dinge (Padartha) gemeint sind, aus denen (yebhyaḥ) der Geschmack (Rasa) gewichen (Nirgata) ist, weil sie alt, schal bzw. ungenießbar (Yatayama) geworden sind, die nun aber dennoch verdaut werden (jīryanti) können: nīrasā nirgato raso yebhyas te yāta-yāmāḥ padārthā jīryanti.
Kapitel 3 Vers 17 : Maha Mudra
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Übersetzung
- Tuberkulose, Lepra, Verstopfung, Unterleibsgeschwulste, Verdauungsprobleme usw. -
- (solche) Störungen nehmen für den ein Ende, der Maha Mudra praktiziert.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kṣaya-kuṣṭha-gudāvarta-gulmājīrṇa-purogamāḥ : Schwindsucht, Tuberkulose (Kshaya), Aussatz, Lepra (Kushtha), Verstopfung ("Darm-Verdrehung", Gudavarta), krankhafte Anschwellung im Unterleib, Unterleibsgeschwulst (Gulma), Verdauungsprobleme (Ajirna) usw. ("angeführt von", Purogama)
- tasya : für diesen (Yogin, Tad)
- doṣāḥ : (Krankheiten aufgrund gestörter) Doshas, Störungen
- kṣayam : ein Ende (Kshaya)
- yānti : nehmen ("gehen zu", yā)
- mahā-mudrām : das große Siegel (Maha Mudra)
- tu : aber, jedoch (Tu)
- yaḥ : wer, der (Yad)
- abhyaset : praktiziert, übt (abhi + as)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert, dass sich der Begriff Dosha auf Krankheiten (Roga) bezieht, die aufgrund gestörter Doshas, hervorgebracht wurden (Janita): doṣā doṣa-janitā rogāḥ.
Kapitel 3 Vers 18 : Maha Mudra
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Übersetzung
- Gelehrt ist (hiermit) dieses Große Siegel, das großartige übernatürliche Fähigkeiten verschafft.
- Es ist sorgsam geheim zu halten, nicht an irgend einen (x-Beliebigen) weiterzugeben.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kathitā : gelehrt ist (hiermit, Kathita)
- iyam : dieses (Iyam)
- mahā-mudrā : große Siegel (Maha Mudra)
- mahā-siddhi-karī : (welches) großartige übernatürliche Fähigkeiten (Mahasiddhi) verschafft ("bewirkt", Kara)
- nṛṇām : den Menschen (die es praktizieren, Nri)
- gopanīyā : es ("sie") ist geheim zu halten (Gopaniya)
- prayatnena : sorgsam (Prayatna)
- na : nicht (Na)
- deyā : ist es ("sie") weiterzugeben (Deya)
- yasya kasya-cit : an irgend jemand (beliebigen, der dafür ungeeignet, dazu nicht berechtigt ist, Yad Ka Chid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, das "an irgend jemand" (Yad Ka Api) sich auf eine dafür ungeeignete (Anadhikarin) Person bezieht: yasya kasyāpy anadhikāriṇaḥ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 96 behandelt.
Kapitel 3 Vers 19 : Maha Bandha
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Übersetzung
- Man lege die Ferse des linken Fußes an den Bereich des Dammes
- und den rechten Fuß auf den linken Oberschenkel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pārṣṇim : die Ferse (Parshni)
- vāmasya : des linken (Vama)
- pādasya : Fußes (Pada)
- yoni-sthāne : in die Gegend des Dammes, Perineums (Yonisthana)
- niyojayet : man lege (ni + yuj)
- vāmorūpari : auf, über (Upari) den linken (Vama) Oberschenkel (Uru)
- saṁsthāpya : legend (sam + sthā)
- dakṣiṇam : den rechten (Dakshina)
- caraṇam : Fuß (Charana)
- tathā : und (Tatha, Fortsetzung folgt in Vers 20)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 20 : Maha Bandha
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Übersetzung
- Dann, nachdem man Luft eingeatmet hat, drücke man das Kinn fest auf die Brust,
- kontrahiere den Damm und richte den Geist auf die Mitte (d.h. auf Sushumna).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pūrayitvā : eingeatmet habend (pṝ)
- tataḥ : dann, danach (Tatas)
- vāyum : die Luft ("Wind", Vayu)
- hṛdaye : auf die Brust ("das Herz" Hridaya, d.h. in Jalandhara Bandha)
- cubukam : das Kinn (Chubuka)
- dṛḍham : fest (Dridha)
- niṣpīḍya : drückend ("gedrückt habend", nis + pīḍ)
- yonim : den Damm, das Perineum (Yoni, in Mula Bandha)
- ākuñcya : zusammenziehend ("zusammengezogen habend", ā + kuñc)
- manaḥ : den Geist (Manas)
- madhye : auf die Mitte (Madhya), den mittleren (Kanal, Sushumna)
- niyojayet : man richte (ni + yuj)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf das Setzen von Jalandhara Bandha und Mula Bandha.
Die "Mitte" (Madhya) bezieht sich laut Brahmananda auf den mittleren Kanal (Nadi), auf den man den Geist (Manas) ausrichten soll (niyojayet): manaḥ … madhye madhya-nāḍyāṃ niyojayet. Madhye könnte sich allerdings auch auf die Mitte zwischen den Augenbrauen, d.h. Ajna Chakra, beziehen.
Kapitel 3 Vers 21 : Maha Bandha
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Übersetzung
- Nachdem man (den Atem) nach Vermögen angehalten hat, atme man die Luft langsam aus.
- Nachdem man auf der linken Seite geübt hat, wiederhole man noch einmal auf der rechten Seite.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dhārayitvā : nachdem man angehalten hat (dhṛ)
- yathā-śakti : so lange wie möglich ("nach Vermögen", Yathashakti)
- recayet : man atme aus ("entleere", ric)
- anilam : die Luft ("Wind", Anila)
- śanaiḥ : langsam, allmählich (Shanais)
- savyāṅge : auf der linken (Savya) Seite (Anga)
- tu : aber (Tu)
- samabhyasya : nachdem man geübt hat (sam + abhi + as)
- dakṣāṅge : auf der rechten (Daksha) Seite (Anga)
- punaḥ : wieder, noch einmal (Punar)
- abhyaset : man übe, wiederhole (abhi + as)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda führt aus, dass man solange (Yavat) üben soll (abhi + as), bis (Tavat) die Anzahl (Sankhya der Atemverhaltungen) auf der rechten (Daksha) Seite (Anga) mit der Anzahl (der Atemverhaltungen) auf der linken (Savya) Seite gleich (Tulya) ist: savyāṅge ... dakṣāṅge ... punar yāvat ... tulyā bhavet saṅkhyā tāvad abhyaset.
Kapitel 3 Vers 22 : Maha Bandha mit Jihva Bandha
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Übersetzung
- In diesem Zusammenhang ist jedoch die Ansicht einiger (Lehrer, dass) man den Kehlverschluss vermeiden soll,
- (und dass statt dessen ein anderer) Verschluss empfohlen werde, bei dem sich die Zunge(nspitze) an den Schneidezähnen befindende.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- matam : die Ansicht, Meinung (Mata)
- atra : hier, in diesem Zusammenhang (Atra)
- tu : aber, jedoch (Tu)
- keṣāñ-cit : einiger (Lehrer, Ka Chid)
- kaṇṭha-bandham : den Kehlverschluss (Kanthabandha)
- vivarjayet : man soll vermeiden (vi + vṛj)
- rāja-danta-stha-jihvāyām : an der Zunge(nspitze, Jihva, die sich) an den (oberen) Schneidezähnen ("Königszähnen", Rajadanta) befindet (Stha)
- bandhaḥ : der Verschluss (Bandha)
- śastaḥ : empfohlen ("gepriesen", Shasta)
- bhavet : sei, werde (bhū)
- iti : so (lautet, Iti)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich beim Zungenverschluss (Jihva Bandha) die Zunge (Jihva) an den "Königszähnen", den "Königen (Rajan) der Zähne (Danta)" befindet (tiṣṭhati, sthā): dantānāṃ rājāno rāja-dantā rāja-danteṣu tiṣṭhatīti rāja-danta-sthā jihvā.
Kapitel 3 Vers 23 : Maha Bandha mit Jihva Bandha
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Übersetzung
- Dieser (Zungenverschluss) unterbindet den Aufwärtsfluss aller feinstofflicher Energie-Kanäle (mit Ausnahme der Sushumna).
- Dieser Maha Bandha verleiht bekanntlich großartige übernatürliche Fähigkeiten.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ayam : dieser (Zungenverschluss, Ayam)
- tu : aber, jedoch, nun (Tu)
- sarva-nāḍīnām : aller (Sarva feinstofflicher Energie-)Kanäle (Nadis, mit Ausnahme der Sushumna)
- ūrdhva-gati-nirodhakaḥ : hemmt, unterbindet (Nirodhaka) den Fluss ("Lauf", d.h. des "Windes" Vayu bzw. Prana) nach oben, aufwärts (Urdhvagati)
- ayam : dieser
- khalu : bekanntlich (Khalu)
- mahā-bandhaḥ : Große Verschluss (Maha Bandha)
- mahā-siddhi-pradāyakaḥ : verleiht (Pradayaka) großartige, gewaltige (übernatürliche) Fähigkeiten, Vollkommenheiten (Mahasiddhi)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda macht deutlich, dass sich das Wort ayam "dieser" im ersten Pada auf den im vorangehenden Vers 3.22 beschriebenen Zungenverschluss (Jihva Bandha) bezieht: ayaṁ tu rāja-danta-stha-jihvāyāṁ bandhas tu.
Brahmananda erklärt, dass der Zungenverschluss den Aufwärtsfluss (Urdhvagati) des "Windes" (Vayu) aller Nadis, deren Anzahl (Sankhya) 72000 (dvā-saptati-sahasra) beträgt, mit Ausnahme (Atirikta) der Sushumna hemmt (Nirodhaka): sarva-nāḍyo dvā-saptati-sahasra-saṃkhyākās tāsāṃ suṣumnātiriktānām ūrdhvaṃ … vāyor gatis tasyā nirodhakaḥ.
Kapitel 3 Vers 24 : Maha Bandha
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Übersetzung
- (Maha Bandha) ist fähig, von der Großen Fessel des Todes zu befreien.
- Er bewirkt den Zusammenfluss der drei (heiligen) Ströme, und führt den Geist zum Kedara (genannten Sitz Shivas).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kāla-pāśa-mahā-bandha-vimocana-vicakṣaṇaḥ : (Maha Bandha) ist fähig (Vichakshana) zum Befreien (Vimochana) von der großen (Maha) Fessel (Bandha), der Schlinge (Pasha) des Todes ("Zeit", Kala)
- tri-veṇī-saṅgamam : die Vereinigung, den Zusammenfluss (Sangama) der drei Ströme ("Zöpfe" Triveni, d.h. von Ida, Pingala und Sushumna)
- dhatte : er bewirkt (dhā)
- kedāram : zum Kedara (genannten Sitz Shivas im Dritten Auge)
- prāpayet : er führt, bringt (pra + āp)
- manaḥ : den Geist (Manas)
Erläuterungen
Die drei heiligen Flüsse Ganga Yamuna und Sarasvati stehen im feinstofflichen Körper des Yogin für Ida, Pingala und Sushumna.
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Kedara den Sitz bzw. "Ort" (Sthana) Shivas zwischen (Madhya) den Augenbrauen (Bhru) meint: kedāraṃ bhruvor madhye śiva-sthānaṃ.
Kapitel 3 Vers 25 : Maha Vedha
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Übersetzung
- So wie eine Frau, versehen mit Schönheit und Anmut, ohne (Ehe-)Mann (ohne Frucht bleibt),
- (genau so bleiben) Maha Mudra und Maha Bandha ohne (Maha) Vedha fruchtlos.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rūpa-lāvaṇya-sampannā : versehen mit (Sampanna) Schönheit, schöner Figur (Rupa) und Anmut, Liebreiz (Lavanya)
- yathā : (so) wie (Yatha)
- strī : eine Frau (ohne Frucht bleibt, Stri)
- puruṣam : (Ehe-)Mann (Purusha)
- vinā : ohne (Vina)
- mahā-mudrā-mahā-bandhau : Maha Mudra und Maha Bandha
- niṣphalau : (genau so bleiben) fruchtlos, nutzlos, vergeblich (Nishphala)
- vedha-varjitau : ohne (Varjita) Vedha, d.h. Maha Vedha
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert den Vergleich - "wie eine junge Frau (Yuvati) ohne Ehegatten (Bhartri) fruchtlos (bleibt)" : strī yuvatī puruṣaṃ bhartāraṃ vinā yathā ... niṣphalā.
Kapitel 3 Vers 26 : Maha Vedha
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Übersetzung
- Nachdem der Yogin, der sich in Maha Bandha befindet, mit konzentriertem Geist die Einatmung ausgeführt hat,
- und mit dem fest (gesetzten) Kehl-Siegel den Gang der (Körper-)Winde gehemmt hat, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mahā-bandha-sthitaḥ : der sich in Maha Bandha befindet (Sthita)
- yogī : der Yogin
- kṛtvā : nachdem er ausgeführt hat (kṛ)
- pūrakam : die Einatmung (Puraka)
- eka-dhīḥ : mit konzentriertem Geist ("eines Geistes", Eka–Dhi)
- vāyūnām : der (Atem- bzw. Körper-)Winde (Vayu, d.h. von Prana und der übrigen Körperwinde)
- gatim : den Gang (Gati), die Bewegung(en nach oben, unten usw.)
- āvṛtya : hemmend, versperrend ("verschlossen habend", ā + vṛ)
- nibhṛtam : fest, unbeweglich, still (Nibhrita)
- kaṇṭha-mudrayā : mit dem Kehl-Siegel (Kanthamudra, d.h. durch Jalandhara Bandha, Fortsetzung in Vers 27)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt eka-dhīḥ "eines Geistes, konzentriert" im Hinblick auf einen Yogin, dessen (yasya) Geist (Dhi) einspitzig (Ekagra) ist: ekā ekāgrā dhīr yasya sa ekāgra-dhīr yogī.
Brahmananda merkt an, dass mit den "Winden" (Pluralform vāyūnām) Prana und die übrigen (Adi) Körperwinde (Vayu), also Apana, Udana, Samana und Vyana gemeint sind, deren Gang (Gati in Form (Rupa bzw. ihrer Funktion entsprechend) nach oben (Urdhva), unten (Adhas) usw. (Adi) verläuft (Gamana): vāyūnāṃ prāṇādīnāṃ gatim ūrdhvādho-gamanādi-rūpām.
Syntax: Die beiden Absolutiva kṛtvā "ausgeführt habend" und āvṛtya "verschlossen habend" zeigen an, dass der Satz im folgenden Vers 3.27 fortgeführt und mit dem finiten Verb santāḍayet "er schlage auf " abgeschlossen wird.
Kapitel 3 Vers 27 : Maha Vedha
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Übersetzung
- ... schlage er langsam - (sich) mit beiden flachen Händen fest auf der Erde (abstützend) - das Gesäß auf den Boden auf.
- (Dadurch) verlässt der Lebensatem die beiden (seitlichen Energie-)Kanäle und erscheint im mittleren (Kanal, d.h. in Sushumna).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sama-hasta-yugaḥ : (der Yogi, mit seinen) beiden ("Paar", Yuga) Händen (Hasta) flach ("eben", Sama)
- bhūmau : auf der Erde (Bhumi)
- sphicau : das Gesäß ("die beiden Gesäßhälften", Sphich)
- santāḍayet : er schlage auf (den Boden, sam + taḍ)
- śanaiḥ : langsam (Shanais)
- puṭa-dvayam : die beiden (anderen, Dvaya feistofflichen Energie-)Kanäle (Puta, gemeint sind Ida und Pingala)
- atikramya : verlassend ("verlassen habend", ati + kram)
- vāyuḥ : der Lebensatem, Prana ("Wind", Vayu)
- sphurati : bricht hervor, erscheint plötzlich (sphur)
- madhya-gaḥ : im mittleren (Kanal) gehend (Madhyaga, d.h. in Sushumna fließend)
Erläuterungen
Syntax: Das Wort bhūmau "auf der Erde" im ersten Pada wird syntaktisch zweimal konstruiert: einmal mit dem Kompositum sama-hasta-yugaḥ, und ein weiteres mal mit dem Verb santāḍayet.
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es sich bei den beiden (Dvaya, Yugma "Paar") Kanälen (Puta) um Ida und Pingala handelt: puṭayor dvayam iḍā-piṅgalayor yugmam.
Kapitel 3 Vers 28 : Maha Vedha
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Übersetzung
- Und (so) entsteht gewiss die Verbindung von Mond, Sonne und Feuer für die (Erlangung der) Unsterblichkeit.
- (Wenn in Ida und Pingala) ein tod(ähnlicher) Zustand entstanden ist, dann atme man die Luft aus.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- soma-sūryāgni-sambandhaḥ : die Verbindung (Sambandha) von "Mond" bzw. Mondkanal (Soma, d.h. Ida), "Sonne" bzw. Sonnenkanal (Surya, d.h. Pingala) und "Feuer" bzw. Feuerkanal (Agni, d.h. Sushumna)
- jāyate : entsteht (jan)
- ca : und (so, Cha)
- amṛtāya : (welche) zur Befreiung (Amrita "Unsterblichkeit" führt)
- vai : gewiss (Vai)
- mṛtāvasthā : ein tod(esähnlicher, Mrita) Zustand (Avastha)
- samutpannā : (wenn) entstanden ist (Samutpanna)
- tataḥ : dann (Tatas)
- vāyum : die Luft ("Wind", Vayu)
- virecayet : atme (der Yogi) aus (vi + ric)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit den Worten (Shabda) Mond, Sonne und Feuer die von diesen (Tad) beeinflussten (Adhishthita "verwalteteten") Nadis Ida, Pingala und Sushumna zu verstehen (Grahya) sind und deren Verbindung (Sambandha): soma-sūryāgni-śabdais tad-adhiṣṭhitā nāḍya iḍā-piṅgalā-suṣumnā grāhyās teṣāṃ saṃbandhaḥ.
Ein tod(ähnlicher) Zustand entstehe aufgrund der Abwesenheit des Durchgangs des Prana in Ida und Pingala (vgl. Vers 3.27): iḍā-piṅgalayoḥ prāṇa-sañcārābhāvāt.
Kapitel 3 Vers 29 : Maha Vedha
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Übersetzung
- Dieser Maha Vedha verleiht großartige (übernatürliche) Vollkommenheiten,
- vertreibt Falten, weißes Haar und das Zittern (des Alters). Er wird von den Besten der Praktizierenden geübt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mahā-vedhaḥ : Maha Vedha (der "Große Durchbruch")
- ayam : dieser (Ayam)
- abhyāsāt : durch Übung, Praxis (Abhyasa)
- mahā-siddhi-pradāyakaḥ : verleiht (Pradayaka) großartige, gewaltige (übernatürliche) Fähigkeiten, Vollkommenheiten (Mahasiddhi)
- valī-palita-vepa-ghnaḥ : (er) vertreibt (Ghna) Falten (Vali), weißes Haar (Palita) und das Zittern (Vepa, des Alters)
- sevyate : er wird geübt ("gepflegt", sev)
- sādhakottamaiḥ : von den Besten (Uttama) der praktizierenden (Yogis, Sadhaka)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 30 : Praxis der Drei Mudras
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Übersetzung
- Diese drei (Mudras sind) ein großes Geheim(wissen, das) Alter und Tod vernichtet,
- gewiss auch (Verdauungs-)Feuer vermehrt, und (solche) Eigenschaften wie das Kleinsein (wie ein Atom) usw. verleiht.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- etat : diese (Etad)
- trayam : drei ("Triade" Traya, d.h. Maha Mudra, Maha Bandha und Maha Vedha)
- mahā-guhyam : (sind) ein großes (Maha) Geheimnis, Mysterium (Guhya)
- jarā-mṛtyu-vināśanam : (es) vernichtet (Vinashana) Alter (Jara) und Tod (Mrityu)
- vahni-vṛddhi-karam : (es) vermehrt (Vriddhikara) das (Verdauungs-)Feuer (Vahni)
- ca : und, auch (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- hi : denn (Hi)
- aṇimādi-guṇa-pradam : (es) verleiht (Prada, solche) Eigenschaften (Guna, wie) das) Kleinsein (wie ein Atom, Animan) usw., und andere (Adi)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 31 : Praxis der Drei Mudras
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Übersetzung
- Und (diese Dreiergruppe von Mudras) wird in achtfacher (Weise) aller drei Stunden, Tag für Tag ausgeführt.
- (Sie) verleiht eine Fülle von (spirituellen) Verdiensten, (und ist) immer (wie ein vernichtender) Donnerkeil für eine Menge von Übeln.
- Für diejenigen, die auf diese Weise einen traditionellen Unterricht erhalten, sollte die Ausführung anfangs von geringem Umfang (sein, und dann gesteigert werden).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- aṣṭadhā : achtfach, in achtfacher Weise (Ashtadha)
- kriyate : (diese Gruppe von drei Mudras) wird ausgeführt (kṛ)
- ca : und (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- yāme yāme : aller drei Stunden ("in jeder dreistündigen Wache", Yama)
- dine dine : Tag für Tag (Dina)
- puṇya-saṁbhāra-sandhāyi : (sie) verleiht eine Menge, Fülle (Sambhara) von (spirituellen) Verdiensten (Punya)
- pāpaugha-bhiduram : (und) vernichtet ("spaltet wie ein Donnerkeil", Bhidura) eine Menge ("Flut", Ogha) von Übeln, Sünden (Papa)
- sadā : immer, jederzeit (Sada)
- samyak-śikṣāvatām : für diejenigen, die einen traditionellen ("richtigen" (Samyak) Unterricht (Shikshavant) erhalten
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- svalpam : (sollte) sehr kurz, von geringem Umfang (sein und dann gesteigert werden, Svalpa)
- prathama-sādhanam : die Ausführung (Sadhana) zuerst, zunächst, anfangs (Prathama)
Erläuterungen
Syntax: Das logische Subjekt des Satzes - etat trayam "diese drei (Mudras)" - wird aus dem vorangehenden Vers 3.30 übernommen und auch (Api) hier (Atra) syntaktisch konstruiert (sam + bandh): etat trayam ity atrāpi sambadhyate.
Der Kommentator Brahmananda versteht das (Adverb) aṣṭadhā "achtfach" hier im Sinne von "in acht (Ashta) Weisen (Prakara)": aṣṭabhiḥ prakārair aṣṭadhā. Möglicherweise deutet dies darauf hin, das innerhalb von 24 Stunden in jeder der folgenden Übungszeit (Yama) die Praxis intensiviert bzw. verlängert wird, und am kommenden Tag erneut von einer sanften zu einer intensiven Praxis gesteigert wird.
Der "richtige (Samyak) Unterricht (Shiksha)" meint eine Unterweisung (Upadesha) des Meisters (Guru), die sich an der Tradition (Sampradayika), d.h. der Weitergabe vom Meister an den Schüler, orientiert : samyak sāmpradāyikī śikṣā gurūpadeśaḥ.
Kapitel 3 Vers 32 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Die nach hinten gebogene Zunge wird in die Höhlung des Schädels eingeführt,
- (und) der Blick zwischen beide Augenbrauen gerichtet - (dieses) Siegel ist Khechari.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kapāla-kuhare : in die Höhlung (Kuhara) des Schädels (Kapala)
- jihvā : die Zunge (Jihva)
- praviṣṭā : (ist) eingeführt (Pravishta)
- viparīta-gā : nach hinten gebogen ("umgekehrt gehend", Viparita-Ga)
- bhruvoḥ : beide Augenbrauen (Bhru)
- antar-gatā : (ist) gerichtet zwischen (Antargata)
- dṛṣṭiḥ : der Blick (Drishti)
- mudrā : (dieses) Siegel (Mudra)
- bhavati : ist (bhū)
- khe-carī : Khechari ("die im Himmel wandelnde")
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 33 : Khechari Mudra
Versmaß: Arya
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Übersetzung
- Vermittels Durchtrennen (des Zungenbändchens), Hinundherbewegen und Melken verlängere man nun schrittweise die Zunge soweit,
- bis sie die Mitte zwischen den Augenbrauen berührt. Dann (erlangt man) Erfolg in Khechari (Mudra).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- chedana-cālana-dohaiḥ : Durchtrennen (des Zungenbändchens, Chhedana), Hinundherbewegen, Lockern (Chalana und) durch Melken (Doha)
- kalām : die Zunge (Kala)
- krameṇa : schrittweise, Schritt für Schritt (Krama)
- atha : nun (Atha)
- vardhayet : man verlängere (vṛdh)
- tāvat : soweit (Tavat)
- sā : sie (Tad)
- yāvat : bis (Yavat)
- bhrū-madhyam : die Mitte (zwischen den) Augenbrauen (Bhrumadhya)
- spṛśati : berührt (spṛś)
- tadā : dann (Tada)
- khe-carī-siddhiḥ : (besteht, wird sein) Erfolg, Vervollkommnung (Siddhi in) Khechari (Mudra)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert die Technik der Zungenverlängerung durch das Hinundherbewegen (Chalana) der Zunge (Rasana) dahingehend, dass man diese mit Daumen (Angushtha) und Zeigefinger (Tarjani) beider Hände (Hasta) ergreift (gṛh) und nach links (Savya) und rechts (Apasavya) bewegt (Parivartana): cālanaṃ hastayor aṅguṣṭha-tarjanībhyāṃ rasanāṃ gṛhītvā savyāpasavyataḥ parivartanam.
Kapitel 3 Vers 34 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Man nehme ein Messer ähnlich des (lanzettförmigen) Blattes der Oleanderwolfsmilch, sehr scharf, glatt und sauber.
- Dann schneide man damit um Haaresbreite (das Zungenbändchen) ein.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- snuhī-pattra-nibham : ähnlich (Nibha) des (lanzettförmigen) Blattes (Pattra) der Oleanderwolfsmilch (Snuhi, Euphorbia neriifolia)
- śastram : ein Messer (Shastra)
- su-tīkṣṇam : sehr scharf (Sutikshna)
- snigdha-nirmalam : glatt (Snigdha) und sauber (Nirmala)
- samādāya : man nehme ("genommen habend", sam + ā + dā)
- tataḥ : dann (Tatas)
- tena : damit (Tad)
- roma-mātram : um die Breite ("das Maß", Matra) eines Haares (Roman)
- samucchinet : man schneide (das Zungenbändchen) ein (sam + ud + chid)
Erläuterungen
In diesem Vers ist das Objekt (Karman) der Handlung, nämlich das zu durchtrennende "Zungen(wurzel)bändchen" (Rasana–Mula–Shira), zu ergänzen (Adhyahara): rasanā-mūla-śirām iti karmādhyāhāraḥ.
Der Kommentator Brahmananda erklärt des weiteren, dass das zu verwendende Messer (Shastra) dem (lanzettförmigen) Blatt (Pattra) der Oleanderwolfsmilch (Snuhi, s. Abb.) ähnlich (Sadrisha) sein soll: snuhī-pattreṇa sadṛśaṃ snuhī-pattra-nibham ... śastram.
Kapitel 3 Vers 35 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Danach reibe man (die Schnittwunde täglich) mit (einem Gemisch aus) zermalenem Steinsalz und (den Früchten der) Chebulischen Myrobalane ein.
- Nach einer Woche schneide man erneut (das Zungenbändchen) um Haaresbreite ein.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tataḥ : dann, danach (Tatas)
- saindhava-pathyābhyām : Steinsalz (Saindhava) und (den Früchten der) Chebulischen Myrobalane (Pathya)
- cūrṇitābhyām : mit (einem Gemisch aus) zermalenem (Churnita)
- pragharṣayet : man reibe (die Schnittwunde) ein (pra + ghṛṣ)
- punaḥ : wieder, erneut (Punar)
- sapta-dine : einer Woche ("von sieben Tagen" Saptadina, d.h. am achten Tag)
- prāpte : nach Verlauf ("wenn erreicht ist", Prapta)
- roma-mātram : um die Breite ("das Maß", Matra) eines Haares (Roman)
- samucchinet : man schneide (das Zungenbändchen) ein (sam + ud + chid)
Erläuterungen
Saindhava ist nach dem Kommentator Brahmananda (Stein-)Salz (Lavana) mit Herkunft (Udbhava) aus dem Gebiet (Desha) des Indus (Sindhu), Pathya ist ein Synonym für die Chebulische Myrobalane (Haritaki, Terminalia chebula): saindhavaṃ sindhu-deśodbhavaṃ lavaṇaṃ pathyā harītakī.
Das Einreiben (Gharshana) mit dem Gemisch aus zermalenem Steinsalz (Saindhava) und den Früchten (oder dem Saft) der Chebulischen Myrobalane (Pathya) ist (täglich) abends und morgens (Sayampratar) auszuführen (Vidheya): saindhava-pathyābhyāṁ gharṣaṇaṃ ca sāyaṃ-prātar-vidheyam.
Kapitel 3 Vers 36 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- So verfahre man in dieser Abfolge geschickt täglich sechs Monate (lang).
- Nach sechs Monaten ist das Bändchen an der Zungenunterseite verschwunden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- krameṇa : in dieser Abfolge, schrittweise, Schritt für Schritt (Krama)
- ṣaṇ-māsam : sechs (Shash) Monate (lang, Masa)
- nityam : täglich ("ständig, regelmäßig", Nitya)
- yuktaḥ : geschickt (Yukta)
- samācaret : (der Yogi) verfahre (sam + ā + car)
- ṣaṇ-māsāt : nach sechs Monaten
- rasanā-mūla-śirā-bandhaḥ : das Bändchen ("Gefäß-Band", Shira–Bandha) an der Wurzel (Mula) der Zunge (Rasana)
- praṇaśyati : ist verschwunden ("verschwindet", pra + naś)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, das der Begriff rasanā-mūla ("Zungen-Wurzel") den unteren Teil (Adhobhaga) der Zunge (Rasana, Jihva) meint: rasanā jihvā tasyā mūlam adho-bhago rasanā-mūlam.
Kapitel 3 Vers 37 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Indem man die Zunge zurückbiegt, lege man sie in den Ort der drei Wege.
- Dies ist Khechari Mudra. Es wird auch Vyomachakra (Kreis des Himmels) genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kalām : die Zunge (Kala)
- parāṅ-mukhīm : zurückgebogen ("abgewandt", Paranmukha)
- kṛtvā : machend (kṛ)
- tri-pathe : in die Höhlung des Schädels (den Ort der "drei Wege" Tripatha, wo sich Ida, Pingala und Sushumna vereinigen)
- pariyojayet : man lege (pari + yuj)
- sā : dieses (Tad)
- bhavet : ist ("sei", bhū)
- khe-carī : (namens) Khechari ("die im Himmel wandelnde")
- mudrā : das Siegel (Mudra)
- vyoma-cakram : Rad, Kreis des Himmels, Luftraumes, Äthers (Vyomachakra)
- tat : das (Tad)
- ucyate : wird (auch) genannt (vac)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt den Begriff Tripatha wie folgt Tripatha ("Dreiweg") ist der Weg (Pantha) der drei (Tri) Kanäle (Nadi). In diesen Dreiweg, einer Höhlung (Kuhara) im Schädel (Kapala), lege (pariyojayet) man (die Zunge) – tisṛṇāṃ nāḍīnāṃ panthāḥ tri-pathas, tasmin tri-pathe kapāla-kuhare pariyojayet.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 79 behandelt.
Kapitel 3 Vers 38 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Wer mit der nach oben gewandten Zunge auch (nur) für eine Weile (von 24 min) verweilt,
- (dieser) Yogin wird von Giften befreit, (und ebenso) von Krankheit, Tod, Alter(ungserscheinungen) usw.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rasanām : die Zunge (Rasana)
- ūrdhvagām : nach oben (Urdhvaga) gewandt ("gehend")
- kṛtvā : haltend ("machend", kṛ)
- kṣaṇārdham : für die Hälfte (Ardha) eines Kshana ("Augenblick", eine Zeiteinheit)
- api : auch, sogar (Api)
- tiṣṭhati : (welcher) bleibt, verweilt (sthā)
- viṣaiḥ : von (der Wirkung durch) Gifte (Visha)
- vimucyate : der wird befreit (vi + muc)
- yogī : ein Yogin
- vyādhi-mṛtyu-jarādibhiḥ : Krankheit ([[Vyadhi), Tod (Mrityu), Alter (Jara) usw. (Adi)
Erläuterungen
Der Ausdruck Kshana ("Augenblick") wird hier nach dem Kommentator Brahmananda im Sinne von Muhurta verwendet, welches dem 30. Teil von 24 Stunden, also 48 Minuten, entspricht. Ein halbes (Ardha) Kshana bzw. Muhurta ergibt somit 24 Minuten bzw. die Dauer (Matra) einer Ghatika: kṣaṇasya muhūrtasya ardhaṃ kṣanārdham ghaṭikā-mātram.
Kapitel 3 Vers 39 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Weder Krankheit noch Tod, weder Mattigkeit noch Schlaf, weder Hunger noch Durst
- oder geistige Betäubung existiert für denjenigen, der Khechari Mudra kennt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- na : nicht (Na)
- rogaḥ : Krankheit (Roga)
- maraṇam : Tod (Marana)
- tandrā : Mattigkeit, Abspannung, Erschlaffung (Tandra)
- na : nicht
- nidrā : Schlaf (Nidra)
- na : nicht
- kṣudhā : Hunger (Kshudha)
- tṛṣā : Durst (Trisha)
- na : nicht
- ca : und (Cha)
- mūrcchā : Ohnmacht, geistige Betäubung (Murchha)
- bhavet : existiert (bhū)
- tasya : für denjenigen (Tad)
- yaḥ : welcher, der (Yad)
- mudrām : das Siegel (Mudra)
- vetti : kennt (vid)
- khe-carīm : (namens) Khechari ("die im Himmel wandelnde")
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 40 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Derjenige wird weder von Krankheit gepeinigt, noch durch Handlung (Karma) befleckt,
- noch vom Tod ("der Zeit") bedrängt, der Khechari Mudra kennt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pīḍyate : wird gequält, gepeinigt (pīḍ)
- na : nicht (Na)
- saḥ : der, dieser (Yogi, Tad)
- rogeṇa : von Krankheit (Roga)
- lipyate : wird befleckt (lip)
- na : nicht
- ca : und (Cha)
- karmaṇā : von Handlung (dem Gesetz der Tatvergeltung, Karman)
- bādhyate : wird bedrängt, belästigt (bādh)
- na : nicht
- saḥ : der
- kālena : vom Tod ("Zeit", Kala)
- yaḥ : welcher, der (Yad)
- mudrām : das Siegel (Mudra)
- vetti : kennt (vid)
- khe-carīm : (namens) Khechari (“die im Himmel wandelnde”)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 41 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Weil der Geist sich (dabei) im leeren Raum aufhält, und die Zunge sich im leeren Raum (des Schädels) aufhält,
- deshalb wurde dieses Siegel von den Vollkommenen mit dem Namen Khechari benannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- cittam : der Geist (Chitta)
- carati : sich aufhält ("bewegt", car)
- khe : im leeren Raum (zwischen den Augenbrauen, Kha)
- yasmāt : weil (Yad)
- jihvā : (und) die Zunge (Jihva)
- carati : sich aufhält ("bewegt")
- khe : im leeren Raum (des Schädels)
- gatā : befindlich ("gegangen", Gata)
- tena : deshalb, daher (Tad)
- eṣā : dieses (Etad)
- khe-carī : Khechari ("die im leeren Raum wandelnde")
- nāma : namentlich, mit Namen (Nama)
- mudrā : Siegel (Mudra)
- siddhaiḥ : von den Vollkommenen (Siddha)
- nirūpitā : wurde benannt ("festgelegt", Nirupita)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 42 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Wer die Öffnung hinter dem (weichen) Gaumen durch Khechari (Mudra) verschlossen hat,
- dessen Samen fließt nicht, auch wenn er von einer Geliebten umart wird.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- khe-caryā : durch Khechari (Mudra)
- mudritam : verschlossen ("versiegelt") wurde (Mudrita)
- yena : durch welchen (Yogi, Yad)
- vivaram : das Loch, die Öffnung (Vivara)
- lambikā : dem (weichen) Gaumen (Lambika)
- ūrdhvataḥ : hinter ("oberhalb", Urdhvatas)
- na : nicht (Na)
- tasya : dessen (Tad)
- kṣarate : fließt (kshar)
- binduḥ : Samen ("Tropfen", Bindu)
- kāminyā : von einer Geliebten, (jungen) Liebhaberin (Kamini)
- āśleṣitasya : (wenn er) umarmt wird (Ashleshita)
- ca : auch (Cha)
Erläuterungen
Man könnte vivaraṁ lambikordhvataḥ auch mit "die Öffnung hinter dem Gaumenzäpfchen (Lambika)" übersetzen. Der Kommentator Brahmananda versteht lambikā hier als Gaumen (Talu): lambikā tālu.
Kapitel 3 Vers 43 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Sogar wenn der Samen vergossen wurde (und) den Bereich der Vagina erreicht hat,
- gelangt er (wieder) nach oben, nach Kräften erfasst und kontrolliert durch Yoni Mudra.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- calitaḥ : vergossen wurde ("sich fortbewegt hat", Chalita)
- api : sogar (Api)
- yadā : wenn (Yada)
- binduḥ : der Samen ("Tropfen", Bindu)
- samprāptaḥ : (und) erreicht hat (Samprapta)
- yoni-maṇḍalam : den Bereich (Mandala) der Vagina (Yoni)
- vrajati : er geht (wieder, vraj)
- ūrdhvam : nach oben, aufwärts (Urdhva)
- hṛtaḥ : erfasst, zurückgezogen (Hrita)
- śaktyā : mit Kraft, nach Kräften (Shakti)
- nibaddhaḥ : kontrolliert ("gebunden", Nibaddha)
- yoni-mudrayā : durch Yoni Mudra (d.h. Vajroli Mudra)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda beschreibt Yoni Mudra als ein Kontrahieren (Akunchana) des Penis (Medhra) und bemerkt, dass damit (etena) auf Vajroli Mudra (vgl. HYP 3.83-91) verwiesen wird (Suchita): yoni-mudrayā meḍhrākuñcana-rūpayā etena vajrolī mudrā sūcitā.
Kapitel 3 Vers 44 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Wer das Trinken des Mondnektars praktiziert, indem er mit nach oben gerichteter Zunge unbeweglich verweilt,
- (ein solcher) Kenner des Yoga besiegt zweifellos innerhalb eines halben Monats den Tod.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ūrdhva-jihvaḥ : mit nach oben gerichteter (Urdhva) Zunge (Jihva)
- sthiraḥ : unbeweglich (Sthira)
- bhūtvā : geworden ist (bhū)
- soma-pānam : das Trinken (Pana) des Nektars (Soma)
- karoti : ausführt (kṛ)
- yaḥ : wer (Yad)
- māsārdhena : in einem halben (Ardha) Monat (Masa)
- na : nicht (Na)
- sandehaḥ : (besteht hierüber) ein Zweifel (Sandeha)
- mṛtyum : den Tod (Mrityu)
- jayati : besiegt (ji)
- yoga-vit : (ein solcher) Kenner des Yoga (Yogavid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt soma-pānaṁ ("das Trinken des Soma") als das Trinken (Pana) des Mondnektars (Chandramrita), der aus der Höhlung (Vivara) hinter (Urdhva "oberhalb") dem weichen Gaumen (bzw. Gaumenzäpfchen, Lambika) heruntertropft (Galita): somasya lambikordhva-vivara-galita-candrāmṛtasya pānaṃ soma-pānam (vgl. Vers 3.42).
Kapitel 3 Vers 45 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- (Wenn) der Körper eines Yogins täglich mit dem Mondnektar gefüllt ist,
- breitet sich (darin) kein Gift aus, selbst wenn er von (dem Schlangendämon) Takshaka gebissen wurde.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- soma-kalā-pūrṇam : (der) voll, gefüllt ist (Purna) mit dem Nektar ("Sechzehntel", Kala) des Mondes (Soma)
- śarīram : (der) Körper (Sharira)
- yasya : desjenigen (Yad)
- yoginaḥ : Yogins
- takṣakeṇa : von (dem Schlangendämon) Takshaka
- api : sogar (Api)
- daṣṭasya : der gebissen wurde (Dashta)
- viṣam : das Gift (Visha)
- tasya : (im Körper) desjenigen (Tad)
- na : nicht (Na)
- sarpati : breitet sich aus ("schleicht sich ein", sṛp)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt soma-kalā-pūrṇam als "erfüllt (Purna) mit dem Nektar (Amrita) des Mondsechzehntels (Chandrakala)": soma-kalā-pūrṇaṃ candra-kalāmṛta-pūrṇam.
Kapitel 3 Vers 46 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- So wie das Feuer das Brennholz und ein Lampenlicht einen mit Öl (getränkten) Docht (nicht verlässt),
- Ebenso(wenig) verlässt die Seele nicht den Körper, der mit dem Mondnektar gefüllt ist.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- indhanāni : das Brennholz (Indhana)
- yathā : wie (Yatha)
- vahniḥ : Feuer (Vahni)
- taila-vartim : einen mit Öl (Taila getränkten) Docht (Varti)
- ca : und (Cha)
- dīpakaḥ : ein Lampenlicht ("Leuchte", Dipaka)
- tathā : ebenso (Tatha)
- soma-kalā-pūrṇam : der mit dem Mondnektar (Somakala) gefüllt ist (Purna)
- dehī : die Seele (der "Verkörperte", Dehin)
- deham : den Körper (Deha)
- na : nicht (Na)
- muñcati : verlässt (muc)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 47 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- (Wer) täglich Kuhfleisch isst (und) den Götter-Brantwein trinkt,
- den erachte ich als aus edler Familie stammend - die anderen als Zerstörer (ihrer) Familie.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- go-māṁsam : Kuhfleisch (Go-Mamsa)
- bhakṣayet : (einer) mag essen (bhakṣ)
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- pibet : (einer) mag trinken (pā)
- amara-vāruṇīm : den Branntwein (Varuni) der Götter (der "Unsterblichen", Amara)
- kulīnam : (als) aus edler Familie stammend (Kulina)
- tam : einen solchen (Yogi, Tad)
- aham : ich (Aham)
- manye : erachte (man)
- itare : die anderen (Itara)
- kula-ghātakāḥ : (als) Zerstörer, Mörder (Ghataka ihrer) Familie (Kula)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 113 behandelt.
Kapitel 3 Vers 48 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Mit dem Wort "Kuh" wird (hier) die Zunge bezeichnet. Das Einführen derselben (in die Öffnung) im Gaumen
- ist das Essen des Kuhfleisches. Dies wiederum (ist ein Mittel zum) Vernichten von großen Sünden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- go-śabdena : mit dem Wort (Shabda) "Kuh" (Go)
- uditā : wird (hier) bezeichnet (Udita)
- jihvā : die Zunge (Jihva)
- tat-praveśaḥ : das Einführen ("Hineintreten", Pravesha) derselben (der Zunge, Tad)
- hi : denn (Hi)
- tāluni : (in die Öffnung) im Gaumen (Talu)
- go-māṁsa-bhakṣaṇam : (wird bezeichnet als) das Essen (Bhakshana) des Kuhfleisches (Go)-(Mamsa)
- tat : dies (Tad)
- tu : aber, wiederum (Tu)
- mahā-pātaka-nāśanam : (ist ein Mittel zum) Vertreiben, Vernichten (Nashana) von großen Sünden, Verbrechen (Mahapataka)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 49 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- Der Nektar, der durch die Hitze, die durch das Einführen der Zunge (in die Gaumenöffnung) entstanden ist, hervorgebracht,
- vom Mond fließt, der ist nun der Götter-Branntwein.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jihvā-praveśa-sambhūta-vahninā : durch die Hitze ("Feuer", Vahni) die entstanden ist (Bhuta) durch das Einführen (“Hineintreten", Pravesha) der Zunge (Jihva in die Gaumenöffnung)
- utpāditaḥ : hervorgebracht (Utpadita)
- khalu : nun, gewiss (Khalu)
- candrāt : vom "Mond" (Chandra)
- sravati : fließt (sṛ)
- yaḥ : welcher, der (Yad)
- sāraḥ : der Nektar (Sara)
- sā : das (Tad)
- syāt : ist (as)
- amara-vāruṇī : der Götter-Branntwein (Amaravaruni)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda gibt die Stelle des "Mondes" (Chandra bzw. Soma) an als "zwischen (Antar) den Augenbrauen (Bhru) auf der linken (Vama) Seite (Bhaga) befindlich (Stha)": candrāt bhruvor antar vāma-bhāga-sthāt somāt.
Kapitel 3 Vers 50 : Khechari Mudra
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Wenn die Zunge ohne Unterlass das Ende des weichen Gaumens berührt (und dabei) ein Lebenselixier fließen lässt
- mit salzigem, scharfem (oder) saurem (Geschmack), ähnlich (dem Geschmack von) Milch und wie (der Geschmack von) Honig und Butterschmalz,
- (dann) wird diesem (Yogin) das Verschwinden von Krankheiten, die Vernichtung des Alters, das Abwehren des Nahens von Geschossen,
- Unsterblichkeit verbunden mit den acht (Siddhis sowie) das (unwiderstehliche) Anziehen der Frauen der Vollkommenen zuteil.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- cumbantī : berührt ("küssend ist", cumb)
- yadi : wenn (Yadi)
- lambikāgram : das (äußerste) Ende (die "Spitze", Agra) des weichen Gaumens (oder: des Gaumenzäpfchens, Lambika)
- aniśam : ständig, ohne Unterlass (Anisha)
- jihvā : die Zunge (Jihva)
- rasa-syandinī : einen Saft, Geschmack, ein Lebenselixier (Rasa) fließen lassend (Syandini)
- sa-kṣārā : mit salzigem (Sakshara)
- kaṭukāmla-dugdha-sadṛśī : mit scharfem (Katuka) oder saurem (Amla Geschmack) ähnlich, vergleichbar mit (Sadrisha) Milch (Dugdha)
- madhv-ājya-tulyā : Honig (Madhu) und geklärte Butter, Butterschmalz (Ajya) gleich, so wie (Tulya)
- tathā : ebenso, und (Tatha)
- vyādhīnām : (seiner) Krankheiten (Vyadhi)
- haraṇam : das Verschwinden ("Zunichtemachen", Harana)
- jarānta-karaṇam : die Vernichtung ("zuende machen", Antakarana) des Alters (Jara)
- śastrāgamodīraṇam : das Abwehren ("Wegschleudern, Ausstoßen", Udirana) des Nahens (Agama) von Waffen, Geschossen (Shastra)
- tasya : diesem (Yogi, Tad)
- syāt : wird zuteil ("sei", as)
- amaratvam : Unsterblichkeit, Göttlichsein (Amaratva)
- aṣṭa-guṇitam : verbunden mit (Gunita) den acht (Ashta Siddhis)
- siddhāṅganākarṣaṇam : das (unwiderstehliche) Anziehen (Akarshana) der Frauen (Angana) der Vollkommenen (Siddha)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 51 : Khechari Mudra
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Ein Yogi, der mit nach oben gewandtem Gesicht (d.h. in Viparita Karani), indem er die Zunge in die Höhlung (des Gaumens) legt und über die höchste Energie (d.h. die Kundalini) meditiert, und das infolge der Hatha-Yogapraxis aufgrund des (gezügelten) Lebenshauches erlangte, vom Kopf in den sechzehn-blättrigen Lotus (d.h. das Kehl- bzw. Vishuddhi Chakra) tröpfelnde, reine, strömende, aufwallende Nass des (Mond-)Nektars trinkt, der hat einen Körper weich und zart wie die Wurzel einer Lotuspflanze, ist von Krankheit frei und lebt lang.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mūrdhnaḥ : (das) vom Kopf (Murdhan)
- ṣoḍaśa-pattra-padma-galitam : in den sechzehn-blättrigen (Shodasha–Pattra) Lotus (Padma, das Kehl- bzw. Vishuddhi Chakra) tröpfelnde (Galita)
- prāṇāt : durch den (gezügelten) Lebenshauch (Prana)
- avāptam : erlangte (Avapta)
- haṭhāt : aufgrund der Hatha(-Yogapraxis)
- ūrdhvāsyaḥ : mit dem Gesicht (Asya) nach oben (gewandt, Urdhva)
- rasanām : die Zunge (Rasana)
- niyamya : legend ("festhaltend", ni + yam)
- vivare : in die Höhlung (Vivara des Gaumens)
- śaktim : Energie ("Kraft" Shakti, d.h. Kundalini)
- parām : die höchste (Para)
- cintayan : meditierend über (cint)
- utkallola-kalā-jalam : das aufwallende ("mit hochgehenden Wogen", Utkallola) Nass ("Wasser", Jala) des Mond-)Nektars ("Sechzehntels", Kala)
- ca : und (Cha)
- vimalam : das reine (Vimala)
- dhārā-mayam : strömende ("aus einem Strom bestehende", Dhara–Maya)
- yaḥ : wer, welcher (Yad)
- pibet : trinkt (pā)
- nirvyādhiḥ : frei von Krankheit (Nirvyadhi)
- saḥ : ein solcher (Tad)
- mṛṇāla-komala-vapuḥ : mit einem Körper (Vapus) weich, zart (Komala) wie die Wurzel einer Lotuspflanze (Mrinala)
- yogī : Yogin
- ciram : lang (Chira)
- jīvati : lebt (jīv)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass ūrdhvāsyaḥ "mit dem Gesicht (Asya) nach oben (Urdhva) gewandt" auf Viparita Karani verweist (Suchita): ūrdhvāsya ity anena viparīta-karaṇī sūcitā.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 105 behandelt.
Kapitel 3 Vers 52 : Khechari Mudra
Versmaß: Mandakranta
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Übersetzung
- In der Höhle im Inneren des Gipfels des Meru (der Wirbelsäule), wo das Schmelzwasser (der Mondnektar) entspringt,
- erkennt der Weise die (höchste) Wahrheit. Dort ist der Ursprung der Flüsse (Nadis).
- Vom Mond rinnt der Nektar des Körpers herab, dadurch entsteht der Tod der Menschen.
- (Daher) soll man diese ausgezeichnete Siegel auf dem Erdboden (liegend) einnehmen - auf andere Weise (ist) Vervollkommnung des Körpers nicht (möglich).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yat : die ("diejenige", Yad)
- prāleyam : den (Mond-)Nektar ("Schnee, Schmelzwasser", Praleya)
- prahita-suṣiram : Höhle (Sushira), die entspringen lässt ("entlassen hat", Prahita)
- meru-mūrdhāntara-stham : befindlich im inneren (Antara) des Gipfels ("Kopfes", Murdhan) des (Berges) Meru (der Wirbelsäule bzw. Sushumna)
- tasmin : in dieser (Höhle, Tad)
- tattvam : die (höchste) Wahrheit (das "So-sein", Tattva)
- pravadati : erkennt ("verkündet als", pra + vad)
- su-dhīḥ : der Weise ("mit guter Einsicht", Sudhi)
- tat : diese (Höhlung, Tad)
- mukham : (ist) der Ursprung ("Mund", Mukha)
- nimna-gānām : der Flüsse (Nimnaga, d.h. der Nadis)
- candrāt : vom "Mond" (Chandra)
- sāraḥ : der Nektar, die Essenz (Sara)
- sravati : fließt, strömt (herab, sṛ)
- vapuṣaḥ : des Körpers (Vapus)
- tena : daraus (Tad)
- mṛtyuḥ : (resultiert) der Tod (Mrityu)
- narāṇām : der Menschen (Nara)
- tat : dieses
- badhnīyāt : man soll einnehmen ("binden", bandh)
- su-karaṇam : ausgezeichnete (Su) Siegel (Karana, nämlich Khechari Mudra)
- adhaḥ : auf dem Erdboden (liegend, Adhas)
- na : nicht (Na)
- anyathā : auf andere Weise (Anyatha)
- kāya-siddhiḥ : (ist) Vervollkommnung (Siddhi) des Körpers (Kaya möglich)
Erläuterungen
In der erste Hälfte dieses Verses wird durch die poetisch-doppeldeutige Ausdrucksweise die äußere (grobstoffliche) Welt (Berg, Höhle, Schmelzwasser, Flüsse) zur inneren (feinstofflichen) Welt (Sushumna, Mondnektar, Nadis) in Beziehung gesetzt.
Nach dem Kommentator Brahmananda steht hier der Berg Meru für die (in der Wirbelsäule befindliche) Sushumna, und das Schmelzwasser für den Mondnektar, wörtlich "das Wasser (Jala) des Mond-Sechzehntels (Somakala)": suṣumnā meruḥ ... prāleyaṃ soma-kalā-jalam.
Mit Wahrheit (Tattva) ist die Wahrheit über das Selbst (Atman) bzw. die höchste Wahrheit in Form des Atman gemeint: tattvam ātma-tattvam.
Brahmananda führt weiter aus, dass mit "Flüssen" (Nimnaga), die mit den Worten (Shabda) Ganga, Yamuna, Sarasvati und Narmada usw. ausgedrückt werden, die Nadis Ida, Pingala, Sushumna und Gandhari usw. gemeint sind: nimnagānāṃ gaṅgā-yamunā-sarasvatī-narmadādi-śabda-vācyānām iḍā-piṅgalā-suṣumnā-gāndhārī-prabhṛtīnām.
Obwohl im Mula-Text adhaḥ bzw. aufgrund der Regeln des Sandhi adho steht, kommentiert Brahmananda tataḥ bzw. tato, was mit "deshalb, daher" zu übersetzen wäre (ato hetoḥ "aus diesem Grunde"). Die Lesung adho bedeutet "auf dem Erdboden (liegend)“", was man so verstehen kann, dass der Praktizierende bei der Ausführung von Khechari Mudra auf dem Boden "liegt", und zwar in Viparita Karani (vgl. die Anmerkung zu Vers 3.51).
Die Vervollkommnung (Siddhi) des Körpers (Kaya bzw. Deha), die sich durch die Praxis von Khechari Mudra einstellt, besteht in Form (Rupa) von dessen Schönheit (Rupa), Anmut (Lavanya), Stärke (Bala), diamantartigen Härte (Vajra-Samhanana) bzw. Unverletzlichkeit: dehasya siddhī rūpa-lāvaṇya-bala-vajra-saṃhanana-rūpā.
Kapitel 3 Vers 53 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- (Diese) Höhlung, (der Ort des) Zusammenfließens der fünf Ströme birgt höchste Erkenntnis.
- In dieser leeren, unbefleckten (Höhlung) ist Khechari Mudra fest gegründet.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- suṣiram : (diese) Höhlung (Sushira)
- jñāna-janakam : birgt ("erzeugt, bringt hervor", Janaka göttliches) Wissen, (höchste) Erkenntnis (Jnana)
- pañca-srotaḥ-samanvitam : (ist der Ort des) Zusammenfließens ("heimgesucht, verbunden mit", Samanvita) der fünf (Pancha) Ströme (Srotas, d.h. Nadis)
- tiṣṭhate : ist fest gegründet ("steht still, harrt aus", sthā)
- khe-carī mudrā : Khechari Mudra
- tasmin : in dieser (Tad)
- śūnye : leeren (Shunya)
- nirañjane : unbefleckten (Höhlung, Niranjana)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 54 : Khechari Mudra
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Übersetzung
- (Es gibt nur) einen (ursprünglichen) Keim, (der sich als) Schöpfung manifestiert, und (nur) eine Mudra, (nämlich) Khechari.
- '(Es gibt nur) einen Gott, der unabhängig ist, (und nur) einen Zustand des Geistes, der jenseits des Geistes ist.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ekam : (es gibt nur) einen (ursprünglichen, Eka)
- sṛṣṭi-mayam : (der sich als) Schöpfung manifestiert (Srishti–Maya)
- bījam : Keim (Bija, nämlich die "Keimsilbe" Om)
- ekā : (es gibt nur) ein (bestes)
- mudrā : Siegel (Mudra)
- ca : und (Cha)
- khe-carī : (nämlich) Khechari ("die im leeren Raum wandelnde")
- ekaḥ : (es gibt nur) einen
- devaḥ : Gott (Deva)
- nir-ālambaḥ : der unabhängig ("ohne Stütze") ist (Niralamba)
- ekā : (es gibt nur) einen (höchsten)
- avasthā : Zustand (Avastha)
- manonmanī : des Geistes, der jenseits des Geistes ist (Manonmani)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der eine (Eka), ursprüngliche (Mukhya) Same (Bija) die Pranava genannte (Akhya) "Keimsilbe" Om ist, die sich als Schöpfung manifestiert (Srishti–Maya) bzw. die Form (Rupa) der Schöpfung annimmt: sṛṣti-mayaṃ sṛṣti-rūpaṃ praṇavākhyaṃ bījam ekaṃ mukhyam.
Kapitel 3 Vers 55 : Uddiyana Bandha
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Übersetzung
- Weil aber die Lebensenergie damit in der Sushumna kontrolliert wird (und dann) auffliegt,
- deshalb wurde dieser (Verschluss) von den Yogins mit der Bezeichnung Uddiyana benannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- baddhaḥ : festgehalten, kontrolliert wird ("gebunden", Baddha)
- yena : mit diesem (Bandha, "mit welchem", Yad)
- suṣumṇāyām : in der Sushumna
- prāṇaḥ : die Lebensenergie (Prana)
- tu : aber (Tu)
- uḍḍīyate : (und dann) auffliegt (ud + ḍī)
- yataḥ : weil (Yatas)
- tasmāt : deshalb (Tasmat)
- uḍḍīyanākhyaḥ : mit der Bezeichnung (Akhya) Uddiyana (das "Auffliegen")
- ayam : dieser (Verschluss, Ayam)
- yogibhiḥ : von den Yogins
- samudāhṛtaḥ : wurde benannt (Samudahrita)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 56 : Uddiyana Bandha
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Übersetzung
- Aufgrund dessen der große Vogel (Prana) unermüdlich (in der Sushumna) auffliegt -
- genau das ist Uddiyana (Bandha). In diesem (Zusammenhang) wird (dieser) Verschluss (nun näher) beschrieben.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- uḍḍīnam : das Auffliegen (in der Sushumna, Uddina)
- kurute : macht (kṛ)
- yasmāt : mit welchem (Bandha, "aufgrund dessen", Yad)
- aviśrāntam : unermüdlich, unablässig (Avishranta)
- mahā-kha-gaḥ : der große (Maha) Vogel ("der im Luftraum geht" Khaga, d.h. Prana)
- uḍḍīyānam : das Auffliegen (Uddiyana)
- tad : dies (Tad)
- eva : genau, wahrlich (Eva)
- syāt : ist ("soll sein", as)
- tatra : in diesem (Zusammenhang, Tatra)
- bandhaḥ : (dieser) Verschluss (Bandha)
- abhidhīyate : wird (nun näher) beschrieben ("benannt", abhi + dhā)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 57 : Uddiyana Bandha
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Übersetzung
- Man führe im Bauch(bereich) ein Ausdehnen vom Nabel nach hinten und nach oben aus -
- dieser Uddiyana (genannte) Verschluss (ist wie) ein Löwe gegenüber dem Elefanten des Todes.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- udare : im Bauch(bereich, Udara)
- paścimam : nach hinten (Pashchima)
- tānam : ein Ausdehnen (Tana)
- nābheḥ : des Nabels, vom Nabel (Nabhi)
- ūrdhvam : aufwärts, nach oben (Urdhva)
- ca : und (Cha)
- kārayet : man führe aus ("lasse machen", (kṛ))
- uḍḍīyānaḥ : Uddiyana (das "Auffliegen")
- hi : bekanntlich, gewiss (Hi)
- asau : dieser (Asau)
- bandhaḥ : Verschluss (Bandha)
- mṛtyu-mātaṅga-kesarī : (ist wie) ein Löwe (Kesarin) gegenüber dem Elefanten (Matanga) des Todes (Mrityu)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 58 : Uddiyana Bandha
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Übersetzung
- Uddiyana wird vom Meister als etwas jederzeit natürlich (statt findendes) bezeichnet.
- Wer aber unablässig (Uddiyana Bandha) praktiziert, der erscheint als jung, obwohl er alt ist.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- uḍḍīyānam : Uddiyana (das "Auffliegenlassen")
- tu : aber, jedoch (Tu)
- sahajam : (als) natürlich, angeboren, spontan (Sahaja)
- guruṇā : vom Lehrer, Meister (Guru)
- kathitam : wird bezeichnet, wird gelehrt (Kathita)
- sadā : immer, jederzeit (Sada)
- abhyaset : (Uddiyana Bandha) übt, praktiziert (abhi + as)
- satatam : stets, unablässig (Satata)
- yaḥ : wer (Yad)
- tu : aber, jedoch
- vṛddhaḥ : alt, ein Greis (Vriddha)
- api : obwohl (Api)
- taruṇāyate : erscheint als jung, wird wieder jung (Taru)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda gibt als Grund für die Natürlichkeit von Uddiyana Bandha an, dass es "beim Hinausgehen (Bahis-Gamana) des Atems (Prana) stets (Sarvada) für jedermann (Sarva) entsteht (Jayamana+tva)": prāṇasya bahir-gamane sarvadā sarvasyaiva jāyamānatvāt.
Kapitel 3 Vers 59 : Uddiyana Bandha
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Übersetzung
- Man möge nach Kräften das (Nachinnen-)Ziehen (der Gegend) oberhalb und unterhalb des Nabels ausführen.
- (Wer dies) sechs Monate (lang) praktiziert, (der) besiegt gewiss den Tod - (hierüber besteht) kein Zweifel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nābheḥ : des Nabels, vom Nabel (Nabhi)
- ūrdhvam : (der Gegend) oberhalb, aufwärts, nach oben (Urdhva)
- adhaḥ : (der Gegend) untererhalb, abwärts, nach unten (Adhas)
- ca : und (Cha)
- api : auch (Api)
- tānam : ein (Nachinnen-)Ziehen ("Ausdehnen", Tana)
- kuryāt : man führe aus ("mache", kṛ)
- prayatnataḥ : eifrig, nach Kräften, willentlich (Prayatna)
- ṣaṇ-māsam : sechs (Shash) Monate (lang, Masa)
- abhyaset : man übe, praktiziere (dies, abhi + as)
- mṛtyum : den Tod (Mrityu)
- jayati : (dann) besiegt man, (ji)
- eva : gewiss (Eva)
- na : nicht (Na)
- saṁśayaḥ : (besteht hierüber) ein Zweifel (Samshaya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass hier mit "oberhalb (Urdhva) und unterhalb (Adhas) des Nabels (Nabhi)" der Bereich oberhalb (Uparibhaga) und der Bereich unterhalb (Adhobhaga) des Nabels gemeint ist, wo man ein Nachinnenziehen (Pashchimatana) ausführen soll: nābher ūrdhvam upari-bhāge'dhaś cāpy adho-bhāge'pi tānaṃ paścima-tānam kuryāt.
Kapitel 3 Vers 60 : Uddiyana Bandha
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Übersetzung
- Weil Uddiyana(ka) der beste aller Verschlüsse ist,
- stellt sich die Erlösung spontan ein, wenn Uddiyana Bandha sicher (beherrscht) wird.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sarveṣām : aller (Sarva)
- eva : gewiss (Eva)
- bandhānām : Verschlüsse (Bandhas ist)
- uttamaḥ : der beste (Uttama)
- hi : weil (Hi)
- uḍḍiyānakaḥ : Uddiyanaka
- uḍḍiyāne : (namens) Uddiyana
- dṛḍhe : sicher beherrscht wird ("fest, dauerhaft", Dridha)
- bandhe : (sobald dieser) Verschluss
- muktiḥ : die Befreiung, Erlösung (Mukti)
- svābhāvikī : natürlich, spontan ("als eine Natürliche, dem eigenen Wesen innewohnende", Svabhavika)
- bhavet : (dann) stellt sich ein ("entsteht", bhū)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 61 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Indem man einen Teil der Ferse an das Perineum drückt, kontrahiere man den Anus,
- und ziehe die abwärts fließende Energie nach oben - (dies) wird Wurzel-Verschluss genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pārṣṇi-bhāgena : mit einem Teil, mit der Gegend (Bhaga) der Ferse (Parshni)
- sampīḍya : pressend (sam + pīḍ)
- yonim : den Damm, das Perineum (Yoni)
- ākuñcayet : man kontrahiere (ā + kuñc)
- gudam : den Anus (Guda)
- apānam : die abwärts fließende Energie (Apana)
- ūrdhvam : aufwärts, nach oben (Urdhva)
- ākṛṣya : (und) ziehe ("ziehend", ā + kṛṣ)
- mūla-bandhaḥ : Wurzel-Verschluss (Mula Bandha)
- abhidhīyate : (dies) wird genannt (abhi + dhā)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 62 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Der (Verschluss, der) die abwärts fließende Lebensenergie durch das Kontrahieren mit Macht aufwärts zu fließen veranlasst,
- diesen nenne die Yogins bekanntlich Wurzel-Verschluss.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- adho-gatim : die abwärts fließende ("deren Gang abwärts gerichtet ist", Adhogati)
- apānam : (Form der) Lebensenergie (Apana)
- vai : gewiss (Vai)
- ūrdhva-gam : aufwärts zu fließen ("nach oben gehend", Urdhvaga)
- kurute : (den Verschluss) der veranlasst ("macht", kṛ)
- balāt : mit Macht, gewaltsam (Bala)
- ākuñcanena : durch das Kontrahieren (Akunchana des Muladhara)
- tam : diesen (Verschluss, Tad)
- prāhuḥ : nennen (pra + ah)
- mūla-bandham : Mula Bandha ("Wurzel-Verschluss")
- hi : bekanntlich (Hi)
- yoginaḥ : die Yogins
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda paraphrasiert hier die Beschreibung der Ausführung von Mula Bandha aus Vers 3.61 (sowie 3.63) dahingehend, dass mit dem Kontrahieren (Akunchana) das Zusammenziehen (Sankochana) des Muladhara gemeint ist: ākuñcanena mūlādhārasya saṅkocanena.
Kapitel 3 Vers 63 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Indem man den Anus mit der Ferse drückt, ziehe man die Lebensenergie mit Macht zusammen,
- immer wieder, so dass die Lebensenergie nach oben fließt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gudam : den Anus (Guda)
- pārṣṇyā : mit der Ferse (Parshni)
- tu : aber (Tu)
- sampīḍya : drückend (sam + pīḍ)
- vāyum : die Lebensenergie ("Wind", Vayu)
- ākuñcayet : man ziehe zusammen (ā + kuñc)
- balāt : mit Macht, gewaltsam (Bala)
- vāraṁ vāram : immer wieder, ein um das andere Mal (Vara)
- yathā : so dass (Yatha)
- ca : und, aber (Cha)
- ūrdhvam : (in der Sushumna) aufwärts, nach oben (Urdhva)
- samāyāti : fließt ("kommt", sam + ā + yā)
- samīraṇaḥ : die Lebensenergie ("Wind", Samirana)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 64 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Nachdem die aufwärts fließende Lebensenergie und die abwärts fließende Lebensenergie sowie Nada und Bindu durch den Wurzel-Verschluss eins geworden sind,
- verleihen diese beiden die Vollkommenheit des Yoga, hierüber (besteht) kein Zweifel.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prāṇāpānau : die aufwärts fließende Lebensenergie ("Wind", Prana) und die abwärts fließende Lebensenergie ("Wind", Apana)
- nāda-bindū : der (unangeschlagene) Klang (Nada) und der "Tropfen" (Bindu, der Punkt im Om-Symbol, Anusvara)
- mūla-bandhena : durch Mula Bandha ("Wurzel-Verschluss")
- ca : und, aber (Cha)
- ekatām : (indem sie jeweils zur) Einheit (Ekata)
- gatvā : gelangt sind (gam)
- yogasya : des Yoga
- saṁsiddhim : Erfolg, Vollkommenheit (Samsiddhi)
- yacchataḥ : (diese beiden) verleihen (yam)
- na : nicht (Na)
- atra : hierüber (Atra)
- saṁśayaḥ : (besteht) ein Zweifel (Samshaya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt den Nada ("Klang") als den "unangeschlagenen (Anahata) Klang (Dhvani)", und den Bindu ("Punkt") als den Anusvara: nādo'nāhata-dhvaniḥ, bindur anusvāraḥ.
Kapitel 3 Vers 65 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Die Einheit der abwärts fließenden Lebensenergie und der aufwärts fließenden Lebensenergie (sowie) die Verringerung von Urin und Stuhl (erfolgt),
- (und) man wird (wieder) jung, selbst wenn man alt ist - aufgrund der beständigen (Praxis von) Mula Bandha.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- apāna-prāṇayoḥ : der abwärts fließenden Lebensenergie ("Wind", Apana) und der aufwärts fließenden Lebensenergie ("Wind", Prana)
- aikyam : die Einheit (Aikya)
- kṣayaḥ : die Verringerung (Kshaya)
- mūtra-purīṣayoḥ : von Urin (Mutra) und Stuhl (Purisha)
- yuvā : jung (Yuvan)
- bhavati : wird, entsteht (bhū)
- vṛddhaḥ : ein Alter, Greis (Vriddha)
- api : auch, sogar (Api)
- satatam : stets, beständig (praktiziert, Satata)
- mūla-bandhanāt : aufgrund von Mula Bandha ("Wurzel-Verschluss")
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 66 : Mula Bandha
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Übersetzung
- (Wenn) die abwärts fließende Lebensenergie aufwärts zu fließen beginnt, bewegt sie sich in die Region des Feuers.
- Dann wird die Flamme (dieses) Feuers groß, weil sie von der Lebensenergie getroffen wird.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- apāne : (wenn) die abwärts fließende Lebensenergie ("Wind", Apana)
- ūrdhva-ge : aufwärts zu fließen ("eine nach oben Gehende ist", Urdhvaga)
- jāte : beginnt (Jata)
- prayāte : sie bewegt sich ("macht sich auf", Prayata)
- vahni-maṇḍalam : in die Region ("Kreis", Mandala) des Feuers (Vahni)
- tadā : dann (Tada)
- anala-śikhā : die Flamme (Shikha dieses) Feuers (Anala)
- dīrghā : groß ("lang", Dirgha)
- jāyate : wird (jan)
- vāyunā : (weil sie) durch die Lebensenergie (Apana-)Vayu, "Wind")
- āhatā : berührt, getroffen wird ("angeschlagen", Ahata)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es sich bei der "Region des Feuers" (Vahni-Mandala) um ein Dreieck (Trikona) handelt, das sich im unteren Bereich (Adhobhaga) vom Nabel (Nabhi) befindet (asti): vahner maṇḍalaṃ tri-koṇaṃ nābher adho-bhage'sti.
Bei der "Feuerflamme" (Anala-Shikha) handele es sich um die Flamme des Verdauungs- bzw. "Bauchfeuers" (Jatharagni): anala-śikhā jaṭharāgni-śikhā.
Kapitel 3 Vers 67 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Dann bewegen sich das Feuer und die (ursprünglich) abwärts fließende Lebensenergie (Apana) zur aufwärts fließenden Lebensenergie (Prana), deren Wesen heiß ist.
- Dadurch wird aber das Körper-Feuer sehr stark angefacht.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tataḥ : dann, danach (Tatas)
- yātaḥ : bewegen sich ("gehen", yā)
- vahny-apānau : das Feuer (Vahni) und die abwärts fließende Lebensenergie ("Wind", Apana)
- prāṇam : zur aufwärts fließenden Lebensenergie ("Wind", Prana)
- uṣṇa-sva-rūpakam : dessen Wesen, Natur ("eigene Form", Svarupaka) heiß (ist, Ushna)
- tena : dadurch (Tad)
- atyanta-pradīptaḥ : wird sehr, außerordentlich, über die Maßen (Atyanta) angefacht, zum Strahlen gebracht (Pradipta)
- tu : aber (Tu)
- jvalanaḥ : Feuer (Jvalana)
- deha-jaḥ : das im Körper (Deha) entstandene (Ja)
- tathā : und, so (Tatha)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 68 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Durch diese (Hitze) erhitzt, erwacht die schlafende Kundalini -
- wie ein Schlangenweibchen, das mit einem Stock geschlagen wird, sich zischend aufrichtet.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tena : durch diese (Hitze, Tad)
- kuṇḍalinī : Kundalini (die "Geringelte")
- suptā : die schlafende (Supta)
- santaptā : erhitzt (Tapta)
- samprabudhyate : erwacht (sam + pra + budh)
- daṇḍāhatā : das mit einem Stock (Danda) geschlagen wird ("wurde", Ahata)
- bhujaṅgī : ein Schlangenweibchen (Bhujangi)
- iva : wie (Iva)
- niśvasya : zischend (ni + śvas)
- ṛjutām : aufgerichtet, gerade ("zur Geradheit", Rijuta)
- vrajet : wird ("geht", vraj)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 69 : Mula Bandha
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Übersetzung
- Dann bewegt sie sich - wie ein (Schlangenweibchen) in (ihr) Loch hineinfahrend - ins Innere der Brahmanadi (Sushumna).
- Daher soll Mula Bandha von den Yogins täglich und zu jeder (geeigneten) Zeit praktiziert werden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bilam : in (ihr) Loch (Bila)
- praviṣṭā : hineinfahrend (eingetreten, Pravishta)
- iva : gleichsam, wie (ein Schlangenweibchen, Iva)
- tataḥ : dann (Tatas)
- brahma-nāḍy-antaram : ins Innere (Antara) der Sushumna, ("Brahmas Kanal", Brahmanadi)
- vrajet : sie bewegt sich ("fährt", vraj)
- tasmāt : daher, deshalb (Tasmat)
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- mūla-bandhaḥ : Mula Bandha ("Wurzel-Verschluss")
- kartavyaḥ : soll praktiziert werden (Kartavya)
- yogibhiḥ : von den Yogins
- sadā : immer, zu jeder (geeigneten) Zeit (Sada)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass "stets" (Nitya) hier "täglich" (Pratidinam) und "immer" (Sada) hier "zu jeder (Sarva) geeigneten Zeit (Kala)" bedeutet: nityaṃ prati-dinaṃ sadā sarvasmin kāle.
Kapitel 3 Vers 70 : Jalandhara Bandha
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Übersetzung
- Nachdem man die Kehle kontrahiert hat, setze man das Kinn fest auf die Brust.
- Dieser Verschluss heißt Jalandhara. Er vernichtet Alter und Tod.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kaṇṭham : die Kehle (Kantha)
- ākuñcya : nachdem man kontrahiert hat (ā + kuñc)
- hṛdaye : auf die Brust ("das Herz", Hridaya)
- sthāpayet : man setze (sthā)
- cibukam : das Kinn (Chibuka)
- dṛḍham : fest (Dridha)
- bandhaḥ : Verschluss (Bandha)
- jālandharākhyaḥ : heißt ("hat den Namen", Akhya) Jalandhara (das "Halten des Netzes")
- ayam : dieser (Ayam)
- jarā-mṛtyu-vināśakaḥ : (er ist) ein Vernichter (Vinashaka) von Alter (Jara) und Tod (Mrityu)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda lokalisiert den Ausdruck hṛdaye "auf’s Herz" als den "Bereich (Pradesha) vier (Chatur) Fingerbreiten (Anguli) entfernt (Antarita, d.h. oberhalb)" der Brustgegend (Vakshas–Samipa): hṛdaye vakṣaḥ-samīpe catur-aṅguly-antarita-pradeśe.
Kapitel 3 Vers 71 : Jalandhara Bandha
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Übersetzung
- Weil es das Netzwerk der (feinstofflichen) Kanäle kontrolliert, und den herabfließenden Unsterblichkeitsnektar zurückhält,
- deshalb (heißt dieser) Verschluss das "Halten des Netzes". (Er ist ein Mittel zum) Vertreiben einer Menge von Leiden der Kehle.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- badhnāti : es verbindet, unterbindet (bzw.) zurückhält (bandh)
- hi : weil (Hi)
- sirā-jālam : das Netz(werk), Geflecht (Jala) der Gefäße, Kanäle (Nadis, Sira)
- adhas-gāmi : das herabfließende ("abwärts gehende", Adhogamin)
- nabho-jalam : Wasser, Nass, Flüssigkeit (Jala) des Himmels (Nabhas)
- tataḥ : daher, deshalb (Tatas)
- jālan-dharaḥ : Jalandhara (das "Halten des Netzes")
- bandhaḥ : (heißt dieser) Verschluss (Bandha)
- kaṇṭha-duḥkhaugha-nāśanaḥ : (ein Mittel zum) Vertreiben (Nashana) sämtlicher ("der Menge, Flut", Ogha) Leiden (Duhkha) der Kehle (Kantha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, das mit dem "Netzwerk (Jala) der Gefäße (Sira)" die Nadis, und mit dem "Himmelswasser" (Nabhas-Jala) der Unsterblichkeitsnektar (Amrita) der Schädelhölung (Kapala-Kuhara) gemeint sind: sirāṇāṃ nāḍīnāṃ jālaṃ ... nabhasaḥ kapāla-kuharasya jalam amṛtaṃ ca badhnāti.
Kapitel 3 Vers 72 : Jalandhara Bandha
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jālan-dhare : (wenn) Jalandhara (das "Halten des Netzes")
- kṛte : ausgeführt wird (Krita)
- bandhe : Bandha ("Verschluss")
- kaṇṭha-saṅkoca-lakṣaṇe : gekennzeichnet durch (Lakshana) die Kontraktion (Sankocha) der Kehle (Kantha)
- na : nicht (Na)
- pīyūṣam : der Nektar (Piyusha)
- patati : fällt (pat)
- agnau : in das Feuer (des Magens, der Verdauung, Agni)
- na : nicht
- ca : und (Cha)
- vāyuḥ : der Wind (Vayu, d.h. Prana bzw. Vata)
- prakupyati : wird erregt ("erzürnt", pra + kup)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt na ca vāyuḥ prakupyati (wörtl.: "der Wind wird nicht erregt") dahingehend, dass Prana (Vayu) dadurch nicht in andere (Antara) Kanäle (Nadis) gelangt (Gamana): nāḍyantare vāyor gamanaṃ ... na karoti.
Da Jalandhara Bandha jedoch nach Vers 3.71 alle Leiden der Kehle vertreibt (kaṇṭha-duḥkhaugha-nāśanaḥ), liegt in diesem Zusammenhang auch ein Verständnis aus ayurvedischer Sicht nahe: der Vata ("Wind") genannte Dosha wird nicht erregt (na … prakupyati), d.h. nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Eine Störung von Vata kann sich etwa im Bereich der Atmungsorgane und der Kehle als Krankheit zeigen, Jalandhara Bandha verhindert solche Störungen.
Mit dem "Feuer" (Agni) ist das Verdauungsfeuer, das "Feuer (Anala) des Bauches (Jathara)" gemeint: agnau jāṭhare'nale.
Kapitel 3 Vers 73 : Jalandhara Bandha
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Übersetzung
- Allein durch das Kontrahieren der Kehle unterbreche man feste die beiden (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Ida und Pingala).
- Hier soll man das das mittlere Zentrum wahrnehmen, (als ein Mittel zum) Kontrollieren der sechzehn Stützen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kaṇṭha-saṅkocanena : durch das Kontrahieren (Sankochana) der Kehle (Kantha)
- eva : nur, allein (Eva)
- dve : die zwei, beiden (Dvi)
- nāḍyau : (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadis, d.h. Ida und Pingala)
- stambhayet : man hemme, unterbreche (stambh)
- dṛḍham : feste, intensiv (Dridha)
- madhya-cakram : das mittlere Zentrum ("Rad", Madhya Chakra, d.h. Vishuddhi Chakra)
- idam : dieses, hier (Idam)
- jñeyam : man soll erkennen, wahrnehmen (Jneya)
- ṣoḍaśādhāra-bandhanam : (als ein Mittel zum) Kontrollieren ("Binden, Bändigen", Bandhana) der sechzehn (Shodasha) Stützen (Adhara)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich im Kehlbereich (Kantha-Sthana) das auch Vishuddha genannte (Akhya) mittlere Energiezentrum Madhya Chakra befindet (Sthita): idaṃ kaṇṭha-sthāne sthitaṃ viśuddhākhyaṃ cakraṃ madhya-cakraṃ ... jñeyam.
Er zählt die sechzehn "Stützen" (Shodasha Adhara) des Madhya Chakra auf, indem er zwei Verse des Goraksha zitiert (Goraksha Shataka Version 2, Anm. zu Vers 13).
Diese Stützen dienen in der Meditation bzw. der dieser vorausgehenden Konzentration (Dharana) als "Stützen" (Adhara) für den Geist, also als Meditationsobjekt bzw. Fokus der Aufmerksamkeit.
Kapitel 3 Vers 74 : Bandha Traya
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Übersetzung
- Nachdem man (mit Mula Bandha) den Bereich der Wurzel kontrahiert hat, führe man Uddiyana (Bandha) aus.
- Und indem man (durch Jalandhara Bandha den Energiefluss in) Ida und Pingala unterbindet, lasse man (Prana) in den hinteren Kanal (Sushumna) fließen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mūla-sthānam : den Bereich ("Ort", Sthana) der Wurzel (Mula)
- samākuñcya : nachdem man kontrahiert hat (mit Mula Bandha, sam + ā + kuñc)
- uḍḍiyānam : Uddiyana (Bandha)
- tu : aber (Tu)
- kārayet : man führe aus ("lasse machen", kṛ)
- iḍām : Ida
- ca : und (Cha)
- piṅgalām : Pingala
- baddhvā : indem man hemmt (durch Jalandhara Bandha "unterbindet", bandh)
- vāhayet : man lasse (Prana) fließen, lenke (vah)
- paścime : im hinteren (Pashchima)
- pathi : Kanal (Path "Pfad", d.h. in Sushumna)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit der Erwähnung der beiden Nadis Ida (Ganga) und Pingala (Yamuna) auf Jalandhara Bandha dem Sinne nach (Iti Artha) verwiesen wird (vgl. den vorangehenden Vers 3.73): iḍāṃ gaṅgāṃ piṅgalāṃ yamunāṃ ca baddhvā jālandharabandhenety arthaḥ.
"Im hinteren (Pashchima) Kanal (Path)" bedeutet "im Kanal (Marga) der Sushumna". Dort lasse man den Prana fließen (vah, gam), so (Iti) ist laut Brahmananda zu ergänzen (Shesha): paścime pathi suṣumnā-mārge vāhayed gamayet prāṇam iti śeṣaḥ.
Kapitel 3 Vers 75 : Bandha Traya
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Übersetzung
- Durch ebendiese Methode gelangt der Atem zum Stillstand.
- Dadurch entstehen (fürderhin) weder Tod, noch Alter, Krankheit oder ähnliches.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- anena : durch diese (Idam)
- eva : eben, genau (Eva)
- vidhānena : Methode (Vidhana)
- prayāti : gelangt ("geht, bricht auf", pra + yā)
- pavanaḥ : der Atem, Prana ("Wind", (Pavana)
- layam : zur Ruhe, Unbeweglichkeit ("zur Auflösung", Laya)
- tataḥ : dadurch, danach (Tatas)
- na : nicht (mehr, Na)
- jāyate : entsteht (jan)
- mṛtyuḥ : Tod (Mrityu)
- jarā-rogādikam : Alter (Jara), Krankheit (Roga) und anderes, dergleichen ("zum Anfang habend", Adika)
- tathā : und, ebenso (Tatha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda definiert Laya ("Auflösung") als ein "Stillstehen (Sthiti) des Prana im bzw. am Brahmarandhra, welchem das Unterbleiben (Abhava) seiner Bewegung (Gati) vorausgeht (Purvaka)": gaty-abhāva-pūrvakaṃ brahma-randhre sthitiḥ prāṇasya layaḥ.
Kapitel 3 Vers 76 : Bandha Traya
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Übersetzung
- Yogis kennen diese drei vorzüglichen Verschlüsse, die von den großen Vollkommenen praktiziert wurden,
- als ein Mittel für das Gelingen der Techniken des Hatha (Yoga).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bandha-trayam : Dreiheit, Triade der Verschlüsse (Bandhatraya)
- idam : diese (Idam)
- śreṣṭham : beste, vorzüglichste (Shreshtha)
- mahā-siddhaiḥ : von den großen Vollkommenen (Mahasiddha)
- ca : auch (Cha)
- sevitam : es wird bzw. wurde geübt ("gepflegt", Sevita)
- sarveṣām : aller (Sarva)
- haṭha-tantrāṇām : Techniken, Praktiken (Tantra) des Hatha-(Yoga)
- sādhanam : (als) ein Mittel für das Gelingen (Sadhana)
- yoginaḥ : die Yogins
- viduḥ : kennen (vid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt haṭha-tantrāṇāṃ als Techniken bzw. Methoden (Upaya) des Hatha-(Yoga). Hinsichtlich derselben bewirken (Janaka) die drei Verschlüsse (Bandhatraya) ein Gelingen (Siddhi): bandha-trayaṃ ... sarveṣāṃ haṭha-tantrāṇāṃ haṭhopāyānāṃ sādhanaṃ siddhi-janakam.
Kapitel 3 Vers 77 : Viparita Karani Mudra
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Übersetzung
- Welcher Unsterblichkeitsnektar auch immer vom (inneren) Mond, der eine göttliche Natur hat, herab fließt,
- all diesen verschlingt die (innere) Sonne - daher ist der Körper dem Alter(ungsprozess) unterworfen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yat kiñ-cit : welcher (Yad) auch immer (Kinchid)
- sravate : fließt (sṛ)
- candrāt : vom Mond (Chandra)
- amṛtam : Unsterblichkeitsnektar (Amrita)
- divya-rūpiṇaḥ : der eine himmliche, göttliche, wunderbare (Divya) Natur hat ("Form", Rupin)
- tat : diesen (Tad)
- sarvam : all (Sarva)
- grasate : verschlingt, verzehrt (gras)
- sūryaḥ : die Sonne (Surya)
- tena : dadurch (Tad)
- piṇḍaḥ : der Körper (Pinda)
- jarā-yutaḥ : ist verbunden (Yuta) mit Alter (Jara)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der Unsterblichkeitsnektar (Amrita) vom "Mond" (Soma), herabfließt, der sich an der Gaumenwurzel (Talu–Mula) befindet (Stha): candrāt somāt tālu-mūla-sthāt. Die "göttliche" (Divya) bzw. "herausragende" (Utkrishta) Form (Rupa) bzw. Natur des Mondes ist selbst aus Nektar (Sudha) gebildet (Maya): divyam utkṛṣṭaṃ sudhā-mayaṃ rūpaṃ yasya.
Brahmananda ergänzt, dass die "Sonne" (Surya), die sich im Bereich des Nabels (Nabhi) befindet (Stha), aus Feuer (Anala) besteht (Atmaka), d: sūryo nābhi-stho ’nalātmakaḥ.
Kapitel 3 Vers 78 : Viparita Karani Mudra
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Übersetzung
- In diesem Zusammenhang gibt es ein wunderbares Mittel zum Vermeiden des Mundes der Sonne,
- das durch die Unterweisung eines Lehrers zu erfahren ist, jedoch nicht durch (das Studium von) zehn Millionen Dingen in den Lehrbüchern.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tatra : in diesem (Zusammenhang, Tatra)
- asti : es gibt (as)
- karaṇam : Mittel (Karana)
- divyam : ein himmliches, göttliches, wunderbares (Divya)
- sūryasya : der Sonne (Surya)
- mukha-vañcanam : zum Vermeiden ("Täuschen", Vanchana) des Mundes (Mukha)
- gurūpadeśataḥ : durch die Unterweisung (Upadesha) eines Lehrers, Meisters (Guru)
- jñeyam : (dieses) ist zu erfahren, kennenzulernen (Jneya)
- na : nicht (Na)
- tu : aber, jedoch (Tu)
- śāstrārtha-koṭibhiḥ : durch (das Studium von) zehn Millionen (Koti) Dingen, Sachverhalten, Bedeutungen (Artha) in den Lehrbüchern (Shastra)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 79 : Viparita Karani Mudra
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Übersetzung
- (Bei einem Yogi), dessen Nabel oben (und) dessen Gaumen unten ist, ist die Sonne oben und der Mond unten.
- (Dieses) Siegel namens "das Umgekehrte" wird durch die Worte des Lehrers erlangt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ūrdhva-nābheḥ : (bei einem Yogi, dessen) Nabel (Nabhi) oben (ist, Urdhva)
- adhas-tāloḥ : (und dessen) Gaumen (Talu) unten (ist, Adhas)
- ūrdhvam : oben
- bhānuḥ : (ist die) Sonne (Bhanu)
- adhaḥ : unten
- śaśī : (und) der Mond (Shashin)
- karaṇī : (dieses) Siegel (Karani)
- viparītākhyā : namens (Akhya) "das Umgekehrte" (Viparita)
- guru-vākyena : durch die Worte ("das Wort", Vakya) des Lehrers, Meisters (Guru)
- labhyate : wird erlangt (labh)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 80 : Viparita Karani Mudra
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Übersetzung
- (Dieses Siegel) vermehrt das Verdauungsfeuer desjenigen, der täglich mit (dieser) Praxis beschäftigt ist.
- Einem solchen Praktizierenden sollte reichlich Nahrung verschafft werden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- abhyāsa-yuktasya : desjenigen, der beschäftigt ("verbunden") ist (Yukta) mit (dieser) Praxis (Abhyasa)
- jaṭharāgni-vivardhanī : (dieses Siegel) vermehrt, verstärkt (Vivardhana) das Verdauungsfeuer ("Feuer des Bauches", Jatharagni)
- āhāraḥ : Nahrung (Ahara)
- bahulaḥ : reichlich (Bahula)
- tasya : diesem, einem solchen (Tad)
- sampādyaḥ : sollte verschafft werden (Sampadya)
- sādhakasya : Praktizierenden (Sadhaka)
- ca : und (Cha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, das "stets" (Nitya) hier "täglich" (Pratidinam) bedeutet: nityaṃ prati-dinam. "Reichlich" (Bahula) steht im Sinne von "nach Belieben" (Yathechchha): bahulo yathecchaḥ
Kapitel 3 Vers 81 : Viparita Karani Mudra
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Übersetzung
- Wenn man (bei dieser Praxis zu) wenig Nahrung zu sich nimmt, verbrennt das (Verdauungs-)Feuer im selben Augenblick (den Körper).
- Man soll mit dem Kopf unten und den Füßen oben am ersten Tag (der Übungspraxis nur) eine (kurze) Weile verweilen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- alpāhāraḥ : (der zu) wenig (Alpa) Nahrung (Ahara zu sich nimmt)
- yadi : wenn (Yadi)
- bhavet : (man einer) ist (bhū)
- agniḥ : das (Verdauungs-)Feuer (Agni)
- dahati : (dann) verbrennt (einen, dah)
- tat-kṣaṇāt : im selben Augenblick (Tatkshana)
- adhaḥ-śirāḥ : mit dem Kopf (Shiras) auf der Erde ("unten", Adhas)
- ca : und (Cha)
- ūrdhva-pādaḥ : mit den Füßen (Pada) nach oben, aufwärts gerichtet (Urdhva)
- kṣaṇam : (nur eine kurze) Weile ("Augenblick", Kshana)
- syāt : man soll verweilen ("sein", as)
- prathame : am ersten (Prathama)
- dine : Tag (Dina der Übungspraxis)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass dann (Tada) das Verdauungs-Feuer (Jatharanala) den Körper (Deha) im selben Augenblick (Tatkshana) verbrennt (dah): tadāgnir jaṭharānalo dehaṃ tat-kṣaṇāt ... dahet.
Kapitel 3 Vers 82 : Viparita Karani Mudra
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Übersetzung
- Jeden Tag übe man etwas länger als die Dauer (des Vortages).
- Nach sechs Monaten sind (am Körper) weder Falten noch weißes Haar zu sehen.
- Wer aber täglich für die Dauer von drei Stunden übt, besiegt den Tod.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kṣaṇāt : als die Dauer (des Vortages, Kshana "Augenblick")
- ca : und (Cha)
- kiñ-cit : etwas (Kinchid)
- adhikam : länger ("mehr", Adhika)
- abhyaset : man übe (abhi + as)
- ca : auch (Cha)
- dine dine : Tag für Tag, jeden Tag (Dina)
- valitam : Falten (Valita, Sg.)
- palitam : weißes Haar (Palita)
- ca : und
- eva : gewiss (Eva)
- ṣaṇ-māsordhvam : nach (Urdhva) sechs (Shash) Monaten (Masa)
- na : nicht (mehr, Na)
- dṛśyate : wird gesehen (dṛś)
- yāma-mātram : für die Dauer ("Maß", Matra) von drei Stunden (einer "Wache", Yama)
- tu : aber (Tu)
- yaḥ : wer (Yad)
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- abhyaset : übt ("üben sollte", abhi + as)
- saḥ : der (Tad)
- tu : aber
- kāla-jit : besiegt den Tod ("die Zeit", Kalajit)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert, dass man Tag für Tag (Pratidinam) etwas (Kinchid) länger (Adhika) als die Dauer ("Weile" Kshana des Vortags) üben soll, nämlich die doppelte Dauer (Dvi-Kshana), die dreifache Dauer (Tri-Kshana) usw.: prati-dinaṃ kṣaṇāt kiñ-cid adhikam dvi-kṣaṇaṃ tri-kṣaṇam.
Kapitel 3 Vers 83 : Vajroli
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Übersetzung
- Sogar wer nach eigenem Willen, ohne die im Yoga(system) gelehrten Beschränkungen, lebt
- und Vajroli kennt, dieser Yogin (wird zu einem) Gefäß für die Vollkommenheiten.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- svecchayā : nach eigenem Wunsch, Willen, Belieben (Svechchha)
- vartamānaḥ : einer, der lebt, sich verhält, verfährt (Vartamana)
- api : auch, sogar (Api)
- yogoktaiḥ : die im Yoga(-system) gelehrt werden (Ukta)
- niyamaiḥ : die Beschränkungen, Regeln (Niyama)
- vinā : ohne (Vina)
- vajrolīm : Vajroli
- yaḥ : der, welcher (Yad)
- vijānāti : kennt (vi + jñā)
- saḥ : dieser, ein solcher (Tad)
- yogī : Yogin
- siddhi-bhājanam : (wird zu einem) Gefäß (Bhajana) für die Vollkommenheiten (Siddhi)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda verweist auf die im Yogasystem (Shastra, d.h. dem Yogasutra) gelehrten (Ukta) Niyamas wie Brahmacharya usw. (Adi): yoga-śāstre uktā ... niyamair brahma-caryādibhir vinā.
Kapitel 3 Vers 84 : Vajroli
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Übersetzung
- In diesem (Zusammenhang) nenne ich zwei Dinge, die für einen beliebigen (d.h. einfachen Mann) schwer zu erlangen sind:
- Das eine ist Milch, und das andere eine Frau, die (Vajroli) bereitwillig praktiziert.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tatra : in diesem (Zusammenhang, Tatra)
- vastu-dvayam : zwei ("ein Paar", Dvaya) Dinge (Vastu)
- vakṣye : erwähne, lehre ich ("werde sagen", vac)
- dur-labham : (die) schwer zu erlangen (sind, Durlabha)
- yasya kasya-cit : für irgend einen (mittellosen Mann, Yad Ka Chid)
- kṣīram : Milch (Kshira)
- ca : und, aber (Cha)
- ekam : (ist) das eine (Eka)
- dvitīyam : (ist) das andere ("zweite", Dvitiya)
- tu : aber (Tu)
- nārī : eine Frau (Nari)
- ca : und
- vaśa-vartinī : die zu Willen ist (die "nach Wunsch verfährt", Vashavartin)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich yasya kasya-cit "für irgend einen" auf einen Mann bezieht, dem es am nötigen Geld (Dhana) bzw. Vermögen mangelt (Hina): yasya kasya-cit … dhana-hīnasya.
Das Trinken (Pana) von Milch (Kshira) sei in diesem Zusammenhang zur Stärkung (Bala-Artha) förderlich (Yukta): balārthaṃ kṣīra-pānaṃ yuktam.
Kapitel 3 Vers 85 : Vajroli
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Übersetzung
- (Unmittelbar) nach dem Samenerguss soll man auf die rechte Weise das nach oben Ziehen (des Samens) praktizieren.
- (So) erreicht man, ob Mann oder Frau, Erfolg in Vajroli.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mehanena : beim Samenerguss (Mehana)
- śanaiḥ : langsam (Shanais)
- samyak : auf die rechte Weise, richtig (Samyak)
- ūrdhvākuñcanam : das nach oben, aufwärts (Urdhva) Ziehen, Ansaugen (des Samens durch die Kontraktion des Penis bzw. der Vagina, Akunchana)
- abhyaset : soll üben, praktizieren (abhi + as)
- puruṣaḥ : ein Mann (Purusha)
- api : auch (Api)
- atha vā : oder (Atha Va)
- nārī : eine Frau (Nari)
- vajrolī-siddhim : Erfolg, Vervollkommnung (Siddhi) in Vajroli
- āpnuyāt : (so) kann erreichen (āp)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass (Mehana) hier das Vergießen (Ksharana) des Samens (Bindu) beim ("unmittelbar nach", Anantara) Geschlechtsverkehr mit der Frau (Strisanga) bedeutet: mehanena strī-saṅgānantaraṃ bindoḥ kṣaraṇena.
Das Heraufziehen (Upari–Akarshana) des Samens (Bindu) soll durch die Kontraktion (Akunchana) des Penis (Mendhra) praktiziert werden (abhi + as): ūrdhvākuñcanam ... meṇḍhrākuñcanena bindor upary-ākarṣaṇam abhyaset.
Im Falle der Frau (Nari) erfolgt demnach Vajroli durch die Kontraktion der Vagina, was Brahmananda nicht ausdrücklich erwähnt, Text und Kommentar jedoch impliziert: "ein Mann (Purusha, Pums) oder eine Frau (Nari, Yoshit)": puruṣaḥ pumān atha-vā nāry api yoṣid api).
Kapitel 3 Vers 86 : Vajroli
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Übersetzung
- Sorgfältig (vorgehend) erzeuge man mit Hilfe eines Röhrchens aus einem geeignetem (Material) in der Harnröhre ein zischendes Geräusch -
- ganz langsam (blasend), zum Bewirken des Durchgangs der Luft.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yatnataḥ : sorgfältig, eifrig (Yatna)
- śasta-nālena : mit (Hilfe) eines Röhrchens (Nala) aus geeignetem ("empfohlenem" Material, Shasta)
- phūt-kāram : ein zischendes Geräusch (Phutkara)
- vajra-kandare : in der Harnröhre ("im Penis-Loch", Vajrakandara)
- śanaiḥ śanaiḥ : ganz langsam, allmählich (vorgehend, Shanais)
- prakurvīta : man erzeuge ("mache", pra + kṛ)
- vāyu-sañcāra-kāraṇāt : zum Bewirken ("aufgrund", Karana) des Durchgangs (Sanchara) der Luft (Vayu)
Erläuterungen
Nach einer ausführlichen Beschreibung der für diese Praxis notwendigen Vorbereitungen, die nicht zuletzt aus hygienischen Gründen aus heutiger Sicht nicht zu empfehlen sind, bemerkt der Kommentator Brahmananda, dass diese Praxis nur für jemand erfolgreich (sidh) ist, der den Umgang mit der Lebensenergie (Prana) gemeistert (Jita) hat, nicht (Na) aber für einen anderen (Anya) : iyaṃ jitaprāṇasyaiva sidhyati nānyasya.
Kapitel 3 Vers 87 : Vajroli
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Übersetzung
- Mit dieser Praxis ziehe man den zur Vagina der Frau fließenden Samen nach oben,
- und man ziehe auch den eigenen Samen, der bereits vergossen wurde, nach oben, um ihn zu bewahren.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nārī-bhage : in die Vagina (Bhaga) der Frau (Nari)
- patat : den fließenden (im Begriff stehenden, "fallenden", pat)
- bindum : Samen (Bindu)
- abhyāsena : mit dieser Praxis (Abhyasa, d.h. mit Vajroli)
- ūrdhvam : aufwärts, nach oben (Urdhva)
- āharet : man ziehe (kurz bevor er fällt, ā + hṛ)
- calitam : den ergossenen ("sich in Bewegung gesetzt habenden", Chalita)
- ca : und (Cha)
- nijam : den eigenen (Nija)
- bindum : Samen
- ūrdhvam : aufwärts, nach oben
- ākṛṣya : nach dem man (ihn) hochgezogen hat (ā + kṛṣ)
- rakṣayet : man bewahre (rakṣ)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass aufgrund des Wortes "und" (Cha) zu verstehen ist, dass neben dem eigenen (Nija) Ejakulat (Bindu) auch die Flüssigkeit der Frau (Tad-Rajas) nach oben (Urdhva) gezogen werden (ā + kṛṣ) soll: ca-kārāt tad-raja ūrdhvam … ākṛṣya (vergleiche auch weiter unten Vers 3.91).
Kapitel 3 Vers 88 : Vajroli
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Übersetzung
- Wer auf diese Weise seinen Samen bewahrt, der ist ein Kenner des Yoga und besiegt den Tod.
- Der Tod (ergibt sich) durch den Fall des Samens, das Leben aufgrund des Zurückhaltens des Samens.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- saṁrakṣayet : man soll bewahren (sam + rakṣ)
- bindum : (seinen) Samen (Bindu)
- mṛtyum : den Tod (Mrityu)
- jayati : besiegt (ji)
- yoga-vit : der Kenner des Yoga (Yogavid)
- maraṇam : der Tod ("Sterben" geschieht, Marana)
- bindu-pātena : durch den Fall (Pata) des Samens (Bindu)
- jīvanam : das Leben (wird erhalten, Jivana)
- bindu-dhāraṇāt : aufgrund des Zurückhaltens (Dharana) des Samens
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 89 : Vajroli
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Übersetzung
- Aufgrund des Zurückhaltens des Samens entsteht ein Wohlgeruch im Körper des Yogins.
- Solange der Samen im Körper verbleibt, wie gäbe es dann eine Angst vor dem Tod?
Wort-für-Wort-Übersetzung
- su-gandhaḥ : ein Wohlgeruch (Sugandha)
- yoginaḥ : des Yogin
- dehe : im Körper (Deha)
- jāyate : entsteht (jan)
- bindu-dhāraṇāt : aufgrund des Zurückhaltens (Dharana) des Samens (Bindu)
- yāvat : wenn ("solange, wie", Yavat)
- binduḥ : der Samen
- sthiraḥ : verbleibt ("beständig ist", Sthira)
- dehe : im Körper
- tāvat : dann ("genau solange", Tavat)
- kāla-bhayam : (käme) Angst, Furcht (Bhaya) vor dem Tod ("Zeit", Kala)
- kutaḥ : woher, wie (Kutas)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 90 : Vajroli
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Übersetzung
- Der Samen der Männer ist vom Geist abhängig, und das Leben ist vom Samen abhängig.
- Daher sollten Samen und Geist sorgfältig behütet werden.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- cittāyattam : (ist) abhängig (Ayatta) vom Geist (Chitta)
- nṛṇām : der Männer, der Menschen (Nri)
- śukram : der Samen (Shukra)
- śukrāyattam : (ist) abhängig (Ayatta) vom Samen (Shukra)
- ca : und (Cha)
- jīvitam : das Leben (Jivita)
- tasmāt : deshalb, daher (Tasmat)
- śukram : der Samen
- manaḥ : der Geist (Manas)
- ca : und
- eva : gewiss (Eva)
- rakṣaṇīyam : sollte behütet werden (Rakshaniya)
- prayatnataḥ : sorgfältig, eifrig (Prayatna)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 91 : Vajroli
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Übersetzung
- Auf diese Weise bewahre man das Menstrualblut einer geschlechtsreifen Frau und den eigenen Samen:
- Derjenige, der die Methode der Praxis (von Vajroli) kennt, ziehe (das Menstrualblut und den Samen) mit dem Penis vollständig aufwärts.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ṛtu-matyāḥ : einer Frau (in bzw. nach der) Regel, einer geschlechtsreifen Frau (Ritumati)
- rajaḥ : das Menstrualblut (Rajas)
- api : auch (Api)
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- nijam : den eigenen (Nija)
- bindum : Samen (Bindu)
- ca : und (Cha)
- rakṣayet : bewahre (rakṣ)
- meṇḍhreṇa : mit dem Penis (Mendhra)
- ākarṣayet : ziehe (zurück, ā + kṛṣ)
- ūrdhvam : nach oben, aufwärts (Urdhva)
- samyak : vollständig, richtig (Samyak)
- abhyāsa-yoga-vit : (einer, der) aus praktischer Erfahrung ("Übung", Abhyasa) den Yoga]] [[kennt (Yogavid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt ṛtu-matyāḥ ("einer Frau, die die Monatsregel hat") mit ṛtu-snātāyāḥ, d.h. "einer Frau, die nach der Monatsregel (Ritu) gebadet (Snata, und sich somit zum Beischlaf vorbereitet) hat".
Abschließend bemerkt Brahmananda, dass es sich bei diesem (Ayam) Vers (Shloka) um eine Interpolation (Prakshipta), d.h. einen späteren Einschub handele: ayaṃ ślokaḥ prakṣiptaḥ.
Kapitel 3 Vers 92 : Sahajoli
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Übersetzung
- Sahajoli und Amaroli sind eine Variante von Vajroli, (insofern ihr Resultat) ein und dasselbe ist.
- Nachdem man heilige Asche aus verbranntem Kuhmist in Wasser aufgelöst hat, ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sahajoliḥ : Sahajoli
- ca : und (Cha)
- amaroliḥ : Amaroli
- vajrolyāḥ : von Vajroli
- bhedaḥ : (sind jeweils) eine Art, Variante (Bheda)
- ekataḥ : (insofern ihr Resultat) ein und dasselbe (ist, Ekatas)
- jale : in Wasser (Jala)
- su-bhasma : heilige ("gute", Su) Asche (Bhasman)
- nikṣipya : nachdem man aufgelöst ("hineingeworfen") hat (ni + kṣip)
- dagdha-gomaya-sambhavam : aus verbranntem (Dagdha) Kuhmist ("von Kühen gemacht", Gomaya) stammend ("mit dem Ursprung", Sambhava, Fortsetzung in Vers 93)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass die Wirkung bzw. das Resultat (Phala) dieser drei Techniken ein und dasselbe (Eka) ist: ekataḥ ... eka-phalatvāt.
"Gute (Su) Asche (Bhasman)" meint hier die glücksverheißende (Shobhana), heilige Asche, die auch Vibhuti genannt wird: śobhanaṃ bhasma su-bhasma vibhūtiḥ.
Kapitel 3 Vers 93 : Sahajoli
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Übersetzung
- ... (soll) unmittelbar nach der sexuellen Vereinigung (zum Zwecke von) Vajroli das Einreiben der glücksverheißenden Körperteile der Frau und des Mannes (mit der Mischung aus Kuhmistasche und Wasser erfolgen),
- nachdem sie ihre (sexuelle) Tätigkeit beendet und sich ganz bequem (einander gegenüber) gesetzt haben.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vajrolī-maithunāt : der sexuellen Vereinigung (Maithuna zum Zwecke von) Vajroli
- ūrdhvam : nach (Urdhva)
- strī-puṁsoḥ : der Frau (Stri) und des Mannes (Pums)
- sv-aṅga-lepanam : das Einreiben, Einschmieren (mit der Mischung aus Kuhmistasche und Wasser soll erfolgen, Lepana) der glücksverheißenden Körperteile ("guten Glieder", Svanga bzw. der eigenen Sva Glieder Anga, s. Anm.)
- āsīnayoḥ : der beiden sitzenden (Asina)
- sukhena : in Wonne, bequem ("glücklich", Sukha)
- eva : ganz (Eva)
- mukta-vyāpārayoḥ : nachdem sie ihre (sexuelle) Tätigkeit (Vyapara) beendet ("aufgegeben") haben (Mukta)
- kṣaṇāt : sogleich ("nach einem Augenblick", Kshana)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda liest und erklärt sv-aṅga-lepanam als das "Einschmieren (Lepana) der schönen (Shobhana) Glieder (Anga)" und zählt folgende Körperteile auf: Kopf (Murdhan), Stirn (Lalata), Augen (Netra), Herzgegend (Hridaya), Schultern (Skandha), Arme (Bhuja) usw. (Adi): sv-aṅga-lepanaṁ śobhanāni aṅgāni sv-aṅgāni mūrdha-lalāṭa-netra-hṛdaya-skandha-bhujādīni teṣu lepanam. Die Lesung svāṅga-lepanam würde bedeuten: das "Einschmieren (Lepana) der eigenen (Sva) Glieder (Anga)".
Syntax: Das Absolutivum nikṣipya "hineingeworfen (und aufgelöst) habend" aus dem vorangeganenen Vers 3.92 erfordert eine finite Verbform (kuryāt "man führe aus"), die laut Brahmananda in Vers 3.93 so (Iti) zu ergänzen (Shesha) ist: lepanam kuryād iti śeṣaḥ.
Kapitel 3 Vers 94 : Sahajoli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sahajoliḥ : Sahajoli
- iyam : das ("diese", Iyam)
- proktā : wird genannt (Prokta)
- śraddheyā : (in diese Praxis) sollte Vertrauen gesetzt werden (Shraddheya)
- yogibhiḥ : von den Yogins
- sadā : immer, stets (Sada)
- ayam : dies (Ayam)
- śubha-karaḥ : (ist) eine segenbringende ("Segen machende", Shubhakara)
- yogaḥ : Methode (Yoga)
- bhoga-yuktaḥ : (sie mit der Erfahrung von) Genuss (Bhoga) verbunden (Yukta ist)
- api : obwohl (Api)
- mukti-daḥ : (die) Erlösung (Mukti) verleiht (Da)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 95 : Sahajoli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ayam : dies (Ayam)
- yogaḥ : (ist) der Yoga, die Methode
- puṇya-vatām : der Tugendhaften, Rechtschaffenen (Punyavat)
- dhīrāṇām : (und) Entschlossenen, Beherzten (Dhira)
- tattva-darśinām : derjenigen, die die Wahrheit (das "So-sein" der Dinge) erkennen ("erschauen", Tattvadarshin)
- nir-matsarāṇām : denjenigen, die frei von Neid sind (Nirmatsara)
- vai : wahrlich (Vai)
- sidhyet : (diese Methode) gelingt, bringt Erfolg (sidh)
- na : nicht (Na)
- tu : aber (Tu)
- matsara-śālinām : denjenigen mit der Gewohnheit (Shalin) von Neid, Missgunst (Matsara)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 96 : Amaroli
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pittolbaṇatvāt : weil (dieser) angereichert (ist, Ulbana) mit Pitta (Galle)
- prathamāmbu-dhārā : den ersten (Teil vom, Prathama) Strahl (Dhara) des Urins ("Wassers", Ambu)
- vihāya : weglassend ("aufgegeben habend", vi + hā)
- niḥsāratayā : weil (dieser) ohne Essenz (Nihsara) ist
- antya-dhārām : (ebenso) den letzten (Teil vom, Antya) Strahl
- niṣevyate : wird getrunken ("genossen, gebraucht", ni + sev)
- śītala-madhya-dhārā : (nur) der kühle, kühlende (Shitala) mittlere (Madhya) Strahl
- kāpālike : (bei der Sekte von) Kapalikas
- khaṇḍa-mate : die (ein Mittel namens) Khanda schätzt (Mata)
- amarolī : (das heißt) Amaroli
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda bemerkt, dass die Sekte (Sampradaya "Tradition") der Khanda–Kapalikas ein spezielles Mittel (oder Verfahren, Yoga–Vishesha) schätzt, das als Khanda bezeichnet wird, was er nicht näher erklärt: khaṇḍo yoga-viśeṣaḥ … khaṇḍa-kāpālika-sampradāye.
Kapitel 3 Vers 97 : Amaroli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- amarī : (seinen eigenen) Urin ("die Unsterbliche", Amari)
- yaḥ : wer (Yad)
- pibet : trinkt (pā)
- nityam : stets (Nitya)
- nasyam : das Inhalieren durch die Nase (Nasya)
- kurvan : (und außerdem) ausführt (kṛ)
- dine dine : täglich, Tag für Tag (Dina)
- vajrolīm : Vajroli
- abhyaset : der übe (anschließend, abhi + as)
- samyak : richtig, auf die rechte Weise (Samyak)
- sā : diese (Praxis, Tad)
- amarolī : Amaroli
- iti : so (Iti)
- kathyate : wird genannt (kath)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt [[Amari ("Urin") mit Shivambu ("Shiva-Wasser"): amarīṁ śivāmbu.
Brahmananda macht noch einmal den Zusammenhang zwischen Vajroli und Amaroli deutlich, in dem er erklärt, dass Vajroli, wenn ihr das Trinken (Pana) und Inhalieren von Urin (Amari) durch die Nase (Nasya) vorausgeht (pūrvikā), mit dem Wort (Shabda) Amaroli bezeichnet (ucyate) wird: amarī-pānāmarī-nasya-pūrvikā vajroly amarolī-śabdenocyate.
Kapitel 3 Vers 98 : Amaroli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- abhyāsāt : durch die Ausübung (Abhyasa, von Amaroli)
- niḥsṛtām : der herausgeflossenen ist (Nihsrita)
- cāndrīm : den Mondnektar ("Mondschein", Chandri)
- vibhūtyā : (geweihter) Asche (Vibhuti)
- saha : mit (Saha)
- miśrayet : man vermische (miśray)
- dhārayet : (und) trage (dieses Gemisch, dhṛ)
- uttamāṅgeṣu : auf den besten (Uttama) Gliedern (Anga)
- divya-dṛṣṭiḥ : himmliche, göttliche (Divya) Sicht (Drishti)
- prajāyate : (dadurch) entsteht (pra + jan)
Erläuterungen
Zu den entsprechenden eingeschmierten Körperteilen (Anga) vergleiche die Anmerkung zu Vers 3.93.
Kapitel 3 Vers 99 : Amaroli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- puṁsaḥ : des Mannes (Pums)
- bindum : den Samen (Bindu)
- samākuñcya : (in sich) zurückgezogen habend (sam + ā + kuñc)
- samyag-abhyāsa-pāṭavāt : aufgrund der Geschicklichkeit (gewonnen, Patava) aus richtigem (Samyak) Üben, Praktizieren (Abhyasa)
- yadi : wenn (Yadi)
- nārī : eine Frau (Nari)
- rajaḥ : die (eigene) Flüssigkeit ("Menstrualblut", Rajas)
- rakṣet : soll bewahren (rakṣ)
- vajrolyā : durch (die Praxis von) Vajroli
- sā : sie (Tad)
- api : auch (Api)
- yoginī : (ist) eine Yogini
Erläuterungen
Zur Bedeutung vonRajas vergleiche die zweite Anmerkung zu Vers 3.91.
Kapitel 3 Vers 100 : Amaroli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tasyāḥ : ihrer (Tad)
- kiñ-cit : ein wenig (Kinchid)
- rajaḥ : Flüssigkeit ("Menstrualblut", Rajas)
- nāśam : verloren ("zum Verlusst", Nasha)
- na : nicht (Na)
- gacchati : geht (gam)
- na : kein ("nicht")
- saṁśayaḥ : Zweifel (Samshaya)
- tasyāḥ : von ihr
- śarīre : im Körper (Sharira)
- nādaḥ : der (innere) Klang (Nada)
- ca : und (Cha)
- bindutām : (selbst) zu Samen ("zum Tropfen-Sein", Bindu)
- eva : gewiss (Eva)
- gacchati : wird ("gelangt, geht")
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda zitiert einige Verse aus einem Werk namens Amrita–Siddhi ("das Erlangen des Nektars"), wo der hier angedeutete Prozess näher beschrieben wird.
Kapitel 3 Vers 101 : Amaroli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- saḥ : dieser (Tad)
- binduḥ : Same (Bindu)
- tat : diese (Tad)
- rajaḥ : Flüssigkeit ("Menstrualblut", Rajas)
- ca : und (Cha)
- eva : wahrlich, gewiss (Eva)
- ekī-bhūya : eins (Eka) geworden (bhū)
- sva-deha-gau : (und im jeweils) eigenen (Sva) Körper (Deha) verblieben (Ga)
- vajroly-abhyāsa-yogena : durch die Methode (Yoga) des Praktizierens (Abhyasa) von Vajroli
- sarva-siddhim : alle (Sarva) Vollkommenheiten, übernatürlichen Kräfte (Siddhi)
- prayacchataḥ : (diese zwei) verleihen (pra + yam)
Erläuterungen
Eine mystische, auf den feinstofflichen Körper des Yogin bezogene Erklärung von Bindu und Rajas gibt Yogachudamani Upanishad Vers 60-64.
Kapitel 3 Vers 102 : Amaroli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rakṣet : bewahren kann (rakṣ)
- ākuñcanāt : nach dem Heraufziehen (durch Kontrahieren, Akunchana)
- ūrdhvam : aufwärts, nach oben (Urdhva)
- yā : (eine Frau) die (Yad)
- rajaḥ : die (eigene) Flüssigkeit ("Menstrualblut", Rajas)
- sā : diese (Tad)
- hi : gewiss (Hi)
- yoginī : (ist) eine Yogini
- atītānāgatam : die Vergangenheit ("das Vergangene", Atita) und die Zukunft ("das noch nicht Gekommene", Anagata)
- vetti : sie kennt (vid)
- khe-carī : in der Luft zu gehen ("eine im Luftraum Wandelnde", Khechari)
- ca : und (Cha)
- bhavet : (sie selbst) wird (fähig, bhū)
- dhruvam : gewiss (Dhruva)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass die Frau (Nari) das Heraufziehen (Akunchana) und Bewahren (rakṣet) ihrer Flüssigkeit (Rajas) durch das Kontrahieren (Sankocha) der Vagina (Yoni) erreicht: nāry ākuñcanād yoni-saṅkocanāt ... rajo rakṣet.
Kapitel 3 Vers 103 : Amaroli
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- deha-siddhim : Vollkommenheit (Siddhi) des Körpers (Deha)
- ca : und, aber (Cha)
- labhate : man erlangt (labh)
- vajroly-abhyāsa-yogataḥ : durch die Methode (Yoga) des Praktizierens (Abhyasa) von Vajroli
- ayam : diese (Ayam)
- puṇya-karaḥ : verschafft (spirituelles) Verdienst (Punyakara)
- yogaḥ : Methode
- bhoge : Genuss (Bhoga)
- bhukte : erfahren wird (Bhukta)
- api : obwohl (dabei, Api)
- muktidaḥ : verleiht Befreiung (Muktida)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 104 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kuṭilāṅgī : Kutilangi ("deren Körper gewunden ist")
- kuṇḍalinī : Kundalini (die "Geringelte")
- bhujaṅgī : das Schlangenweibchen ("die in Bögen geht", Bhujangi)
- śaktiḥ : Energie, Macht (Shakti)
- īśvarī : die Göttin (Ishvari)
- kuṇḍalī : Kundali ("die Geringelte")
- arundhatī (Arundhati)
- ca : und (Cha)
- ete : diese (Etad)
- śabdāḥ : Wörter (Shabda)
- paryāya-vācakāḥ : drücken (Vachaka) synonyme (Bedeutungen, Paryaya) aus
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 105 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- udghāṭayet : man aufschließen kann (ud + ghaṭ)
- kapāṭam : eine Tür (Kapata)
- tu : aber (Tu)
- yathā : (so) wie (Yatha)
- kuñcikayā : mit einem Schlüssel (Kunchika)
- haṭhāt : gewaltsam, vermöge (Hatha), durch (die Praxis von) Hatha (Yoga)
- kuṇḍalinyā : mit der Kundalini
- tathā : (genau) so (Tatha)
- yogī : der Yogin
- mokṣa-dvāram : das Tor (Dvara) zur Befreiung (Moksha)
- vibhedayet : kann öffnen ("aufbrechen", vi + bhid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass in diesem Vers das Wort haṭhāt zweimal, d.h. in beiden (Ubhayatra) Halbversen zu verstehen bzw. zu konstruieren (sambadhyate) ist: im ersten Halbvers als Adverb "gewaltsam, vermöge" (= balāt), und im zweiten Halbvers im Sinne von Hatha (Yoga): haṭhād iti … ubhayatra sambadhyate.
Kapitel 3 Vers 106 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yena : auf welchem ("durch welchen", Yad)
- mārgeṇa : Weg (Marga)
- gantavyam : zu erreichen ("zu begehen") ist (Gantavya)
- brahma-sthānam : Ort des Brahmans (Brahmasthana)
- nir-āmayam : der leidlose ("ohne Krankheit", Niramaya)
- mukhena : mit (ihrem) Mund (Mukha)
- ācchādya : verschließend ("bedeckend", ā + chad)
- tad-dvāram : die Tür (Dvara) zu diesem (Weg, Tad)
- prasuptā : schläft (Prasupta)
- parameśvarī : die höchste Herrin (Parameshvari)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit Brahmasthana das Brahmarandhra gemeint ist, der Ort (Sthana), der das Offenbarwerden (Avirbhava) des Brahmans bewirkt (Janaka): brahmāvir-bhāva-janakaṃ sthānaṃ brahma-sthānaṃ brahma-randhram.
Kapitel 3 Vers 107 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kandordhve : oberhalb (Urdhva) des Kanda ("Knolle")
- kuṇḍalī : Kundali
- śaktiḥ : die Energie (Shakti)
- suptā : schläft (Supta)
- mokṣāya : (sie führt) zur Befreiung, Erlösung (Moksha)
- yoginām : der Yogins
- bandhanāya : (sie führt) zur Gefangenschaft ("Bindung" an die Wiedergeburt, Bandhana)
- ca : und (Cha)
- mūḍhānām : der Verwirrten (Mudha)
- yaḥ : wer (Yad)
- tām : sie (Tad)
- vetti : kennt (vid)
- saḥ : der (Tad)
- yoga-vit : kennt den Yoga (ist ein "Yoga-Kenner", Yogavid)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 108 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kuṇḍalī : Kundali
- kuṭilākārā : deren Form, Gestalt (Akara) gewunden, aufgerollt (ist, Kutila)
- sarpa-vat : als (wie Vat eine) Schlange (Sarpa)
- parikīrtitā : wird beschrieben ("gepriesen", Parikirtita)
- sā : diese (Tad)
- śaktiḥ : Energie, Kraft (Shakti)
- cālitā : (sie) in Bewegung versetzt wird (Chalita)
- yena : durch wen (Yad)
- saḥ : dieser (Yogi, Tad)
- muktaḥ : ist befreit, erlöst (Mukta)
- na : nicht (Na)
- atra : hier(über, Atra)
- saṁśayaḥ : (besteht) ein Zweifel (Samshaya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt Mukta ("befreit, erlöst") als "von der Fessel (Bandha) der Unwissenheit (Ajnana) befreit (Nivritta)": mukto 'jñāna-bandhān nivṛttaḥ.
Kapitel 3 Vers 109 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gaṅgā-yamunayoḥ : Ganges (Ganga) und Yamuna
- madhye : zwischen ("in der Mitte", Madhya)
- bāla-raṇḍām : die junge (Bala) Witwe (Randa)
- tapasvinīm : die Buße tut (Tapasvini)
- balāt-kāreṇa : mit Gewalt, gewaltsam (Balatkara)
- gṛhṇīyāt : man ergreife (grah)
- tat : das (führt, Tad)
- viṣṇoḥ : Vishnus
- paramam : zum höchsten (Parama)
- padam : Ort (Pada)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich "in der Mitte (Madhya) von Ganga und Yamuna" auf den "Weg (Marga) der Sushumna" bezieht: gaṅgā-yamunayor madhye suṣumnā-mārge.
Brahmananda erläutert, dass das Ergreifen der "jungen Witwe" (Bala-Randa), d.h. der Kundalini, zum höchsten (Parama) Ort (Pada) Vishnus hinführt (Prapaka): paramaṁ padaṁ parama-pada-prāpakam.
Kapitel 3 Vers 110 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- iḍā : Ida
- bhagavatī : (ist) die herrliche, erhabene (Bhagavati)
- gaṅgā : Ganga (der Ganges)
- piṅgalā : Pingala
- yamunā : Yamuna
- nadī : (ist) der Fluss (Nadi)
- iḍā-piṅgalayoḥ : Ida und Pingala
- madhye : zwischen ("in der Mitte", Madhya)
- bāla-raṇḍā : die junge (Bala) Witwe (Randa)
- ca : und (Cha)
- kuṇḍalī : (ist) die Kundali
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 78 behandelt.
Kapitel 3 Vers 111 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pucche : am Schwanz (Puchchha)
- pragṛhya : ergreifend ("ergriffen habend", pra + grah)
- bhujaṅgīm : Schlange (Bhujangi)
- suptām : schlafende (Supta)
- udbodhayet : man soll erwecken (ud + budh)
- ca : und, aber (Cha)
- tām : die (Tad)
- nidrām : den Schlaf (Nidra)
- vihāya : aufgebend, verlassend (vi + hā)
- sā : diese (Tad)
- śaktiḥ : Energie, Kraft (Shakti)
- ūrdhvam : aufwärts, nach oben (Urdhva)
- uttiṣṭhate : bewegt sich ("steht auf, erhebt sich", ud + sthā)
- haṭhāt : mit Macht, zwangsläufig, unbeirrt (Hatha)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 112 : Shakti Chalana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- avasthitā : (unten im Muladhara Chakra) verweilende (Avasthita)
- ca : und, aber (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- phaṇā-vatī : Schlange ("die eine Haube hat", Kobra, Phanavati)
- sā : diese (Tad)
- prātaḥ : morgens (Pratar)
- ca : und
- sāyam : abends (Sayam)
- praharārdha-mātram : für die Zeit ("Maß", Matra) einer halben (Ardha) Wache (Prahara)
- prapūrya : eingeatmet habend (pra + pṝ)
- sūryāt : durch das rechte Nasenloch ("von der Sonne her", Surya)
- paridhāna-yuktyā : durch die Methode (Yukti) des "Herumlegens" (Paridhana)
- pragṛhya : indem man (sie) ergreift (pra + grah)
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- paricālanīyā : soll (im Kreise) herum bewegt werden (Parichalaniya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt die Bedeutung von Avasthita ("unten befindlich") mit "im Muladhara befindlich (Sthita)": avasthitā … mūlādhāra-sthitā.
Eine "Wache" (Prahara) entspricht drei Stunden, eine halbe (Ardha) Wache somit anderthalb Stunden bzw. die Dauer (Matra) zweier (Dvaya) Muhurtas: muhūrta-dvaya-mātram.
Die „Methode des Herumlegens“ (Paridhana–Yukti) bezieht sich wahrscheinlich auf das Kreisenlassen der Bauchmuskulatur, also einen Nauli vergleichbaren Prozess. Brahmananda bemerkt, dass diese Methode durch einen Lehrer (Deshika) gelehrt werden muss bzw. durch dessen Unterweisung verstanden (Bodhya) werden kann: paridhāna-yuktir deśikād bodhyā.
Kapitel 3 Vers 113 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ūrdhvam : oberhalb (Urdhva des Muladhara Chakra)
- vitasti-mātram : um das Maß (Matra) einer Spanne (Vitasti)
- tu : aber (Tu)
- vistāram : breit (mit einer "Breite" von, Vistara)
- catur-aṅgulam : vier Finger (Chaturangula)
- mṛdulam : weich (Mridula)
- dhavalam : weiß (Dhavala)
- proktam : beschrieben ("genannt" als, Prokta)
- veṣṭitāmbara-lakṣaṇam : (der Kanda) erscheint ("hat das Kennzeichen, die Erscheinungsform", Lakshana) wie eingewickelt, umhüllt (Veshtita) mit einem Tuch, Baumwolle (Ambara)
Erläuterungen
Obwohl das Wort Kanda im Sanskrittext nicht ausdrücklich erwähnt wird, ergibt es sich aus dem Sinnzusammenhang, wenn man den vorliegenden Vers zusammen mit dem folgenden Vers (3.114) liest. Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass der Kanda zwischen (Madhya) Penis (Mendhra) und Nabel (Nabhi) liegt, im Abstand (Matra) einer Spanne (Vitasti) oberhalb (Urdhva) des Mulasthana (Muladhara): mūla-sthānād vitasti-mātraṃ ūrdhvam nabhi-meṇḍhrayor madhye. Hierzu zitiert er Vers 16 aus dem Goraksha Shataka (Version 1) folgenden Inhalts: "Oberhalb des Penis (und) unterhalb des Nabels (befindet sich) der Kanda (genannte), wie ein Vogelei (geformte) Ursprung (der Nadis). Dort entspringen 72 000 Nadis."
Kapitel 3 Vers 114 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sati : befindlich (Sat)
- vajra-āsane : in der Diamantstellung (Vajrasana, einer Variante von Siddhasana)
- pādau : die Beine ("Füße", Pada)
- karābhyām : mit den Händen (Kara)
- dhārayet : man halte (dhṛ)
- dṛḍham : fest (Dridha)
- gulpha-deśa-samīpe : in der Nähe (Samipa) der Gegend (Desha) der Knöchel (Gulpha)
- ca : und (Cha)
- kandam : das Kanda
- tatra : dort (wo es sich befindet, Tatra)
- prapīḍayet : man drücke, presse (pra + pīḍ)
Erläuterungen
Vajrasana bedeutet hier und im nächsten Vers eine Variante von Siddhasana, bei der die rechte Ferse am Damm und die linke Ferse über dem Glied liegt (vgl. die Anmerkung zu Vers 1.39.
Der Kommentator Brahmananda erklärt die Ausführung derart, dass man mit beiden Händen (Kara) die Füße (Pada) oberhalb (Urdhva) der Knöchel (Gulpha) ergreift (gṛhītvā) und (mit den Fersen) unterhalb (Adhas–Bhaga) des Nabels (Nabhi) das Kanda drückt (pīḍayet): gulphād ūrdhvaṃ karābhyāṃ pādau gṛhītvā nābher adho-bhāge kandaṃ pīḍayet.
Kapitel 3 Vers 115 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vajra-āsane : in der Diamantstellung (Vajrasana, einer Variante von Siddhasana)
- sthitaḥ : sich befindend (Sthita)
- yogī : der Yogin
- cālayitvā : nach dem er in Bewegung gesetzt hat (cal)
- ca : und, aber (Cha)
- kuṇḍalīm : die Kundali
- kuryāt : er führe aus ("mache", kṛ)
- anantaram : (gleich) danach (Anantara)
- bhastrām : den Blasebalg (Bhastra, d.h. Bhastrika)
- kuṇḍalīm : die Kundali
- āśu : schnell (Ashu)
- bodhayet : (so) kann er erwecken (budh)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 116 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bhānoḥ : der Sonne (Bhanu, im Bereich des Nabels)
- ākuñcanam : das Einziehen ("Zusammenziehen", Akunchana)
- kuryāt : man führe aus ("mache", kṛ)
- kuṇḍalīm : die Kundali
- cālayet : er setze in Bewegung (cal)
- tataḥ : dann (Tatas)
- mṛtyu-vaktra-gatasya : einer, der in den Mund (Vaktra) des Todes (Mrityu) gelangt ("gegangen") ist (Gata)
- api : sogar (Api)
- tasya : diesem (Tad)
- mṛtyu-bhayam : Furcht, Angst (Bhaya) vor dem Tod (Mrityu)
- kutaḥ : woher (sollte kommen, Kutas)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich die "Sonne" (Bhanu, Surya) im Bereich (Desha) des Nabels (Nabhi) befindet (Stha): bhānor nābhi-deśa-sthasya sūryasa.
Kapitel 3 Vers 117 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- muhūrta-dvaya-paryantam : Muhurtas
- nir-bhayam : ohne Furcht (Nirbhaya)
- cālanāt : aufgrund des Bewegens (Chalana, der Kundalini)
- asau : sie (Asau)
- ūrdhvam : aufwärts, nach oben (Urdhva)
- ākṛṣyate : wird hereingezogen (ā + kṛṣ)
- kiñ-cit : ein wenig, etwas (Kinchid)
- suṣumṇāyām : in die Sushumna
- samudgatā : hervorgekommen (Samudgata)
Erläuterungen
Dies entspricht einer Dauer von ca. anderthalb Stunden bzw. einer Zeitinheit "bestehend (Atmaka) aus vier (Chatushtaya) Ghatikas (96 min)": ghaṭikā-catuṣṭayātmakam.
Kapitel 3 Vers 118 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tena : durch dieses (nach oben Ziehen, Tad)
- kuṇḍalinī : die Kundalini
- tasyāḥ : der (Tad)
- suṣumṇāyā : Sushumna
- mukham : die Öffnung ("Mund", Mukha)
- dhruvam : gewiss (Dhruva)
- jahāti : verlässt (hā)
- tasmāt : aufgrund dessen (Tasmat)
- prāṇaḥ : Lebenshauch, Prana
- ayam : der (Ayam)
- suṣumṇām : in die Sushumna
- vrajati : geht (ein, vraj)
- svataḥ : von selbst (Sva)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass tena "dadurch" sich auf das nach oben (Urdhva) Ziehen (Akarshana der Kundalini) bezieht: tenordhvākarṣaṇena.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 91 behandelt.
Kapitel 3 Vers 119 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tasmāt : daher, deshalb (Tasmat)
- sañcālayet : man soll in Bewegung setzen (sam + cal)
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- sukha-suptām : die behaglich (Sukha) schlafende (Supta)
- arundhatīm : Arundhati (Kundalini)
- tasyāḥ : von ihr (Tad)
- sañcālanena : durch das in Bewegung Setzen (Sanchalana)
- eva : nur, allein (Eva)
- yogī : der Yogin
- rogaiḥ : von Krankheiten (Roga)
- pramucyate : wird befreit (pra + muc)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 120 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yena : durch wen (Yad)
- sañcālitā : in Bewegung gesetzt wurde (Sanchalita)
- śaktiḥ : die Energie (Shakti)
- saḥ : dieser (Tad)
- yogī : Yogin
- siddhi-bhājanam : (wird) ein Gefäß (Bhajana) für die Vollkommenheiten (Siddhi)
- kim : was (Kim)
- atra : (bliebe) hier (noch zu sagen, Atra)
- bahunā : durch viele (unnütze, Bahu)
- uktena : Worte (Ukta)
- kālam : den Tod ("Zeit", Kala)
- jayati : er besiegt (ji)
- līlayā : mühelos ("spielerisch, wie im Spiel", Lila)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 121 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- brahma-carya-ratasya : der Gefallen (Rata) an (sexueller) Enthaltsamkeit (Brahmacharya) hat
- eva : nur (Eva)
- nityam : stets, immer (Nitya)
- hita-mitāśinaḥ : der heilsame (Hita Nahrung) mit Mäßigung ("gemäßigt", Mita) isst (Ashana)
- maṇḍalāt : nach 40 Tagen ("einem Kreis", Mandala)
- dṛśyate : kommt zustande ("wird gesehen", dṛś)
- siddhiḥ : Erfolg, Vollkommenheit (Siddhi)
- kuṇḍaly-abhyāsa-yoginaḥ : eines Yogin dessen Praxis (Abhyasa) auf die Kundali (ausgerichtet ist)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit Mandala ("Kreis") hier ein Zeitraum gemeint ist, der aus 40 (Chatvarimshat) Tagen (Dina) besteht (Atmaka): maṇḍalāc catvāriṃśad-dinātmakāt.
Kapitel 3 Vers 122 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kuṇḍalīm : die Kundali
- cālayitvā : nachdem man in Bewegung gesetzt hat (cal)
- tu : aber (Tu)
- bhastrām : den Blasebalg (Bhastra, d.h. Bhastrika)
- kuryāt : man praktiziere ("mache", kṛ)
- viśeṣataḥ : besonders (Visheshatas)
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- abhyasyataḥ : der praktiziert (Abhyasa)
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- yaminaḥ : für einen gezügelten (Yamin Yogin)
- yama-bhīḥ : Furcht (Bhi) vor dem Todesgott) Yama
- kutaḥ : woher (käme dann noch, Kutas)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 123 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dvā-saptati-sahasrāṇām : der 72 000 (Dvasaptatisahasra)
- nāḍīnām : (feinstofflichen) Kanäle (Nadi)
- mala-śodhane : (hinsichtlich der) Reinigung (Shodhana) vom Schmutz (Mala)
- kutaḥ : woher (Kutas)
- prakṣālanopāyaḥ : (nähme man ein anderes) Mittel (Upaya) zum Waschen (Prakshalana)
- kuṇḍaly-abhyasanāt : der Praxis (Abhyasana des in Bewegung Setzens der) Kundali (durch Shakti Chalana)
- ṛte : abgesehen von ("außer", Rite)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 124 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- iyam : dieser (Iyam)
- tu : aber (Tu)
- madhyamā : mittlere (Madhyama)
- nāḍī : (feinstoffliche) Kanal (Nadi, d.h. die Sushumna)
- dṛḍhābhyāsena : durch intensives, unnachgiebiges (Dridha) Üben (Abhyasa)
- yoginām : der Yogins
- āsana-prāṇa-saṁyāma-mudrābhiḥ : durch Körperhaltungen (Asana), Kontrolle der Lebensenergie (Pranasamyama, d.h. Pranayama) und Siegel (Mudra)
- saralā : gerade (Sarala)
- bhavet : wird (bhū)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 77 behandelt.
Kapitel 3 Vers 125 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- abhyāse : in der Praxis (Abhyasa)
- tu : aber (Tu)
- vinidrāṇām : den Unermüdlichen ("die frei von Schlaf sind", Vinidra)
- manaḥ : (die ihren) Geist (Manas)
- dhṛtvā : (konzentriert) halten (dhṛ)
- samādhinā : durch die (Praxis der) Versenkung (Samadhi)
- rudrāṇī : Rudrani (d.h. Shambhavi Mudra)
- vā : oder (Va)
- parā : ein anderes (Para)
- mudrā : Siegel (Mudra)
- bhadrām : herrlichen, segensreichen (Bhadra)
- siddhim : Vollkommenheit, Erfolg (Siddhi)
- prayacchati : verleiht (pra + yam)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 126 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rāja-yogam : den königlichen Yoga (Rajayoga)
- vinā : ohne (Vina)
- pṛthvī : die "Erde" (Prithvi, d.h. die Körperhaltungen, Asana)
- rāja-yogam : den königlichen Yoga
- vinā : ohne
- niśā : die "Nacht" (Nisha, d.h. die Atemverhaltungen, Kumbhaka)
- rāja-yogam : den königlichen Yoga
- vinā : ohne
- mudrā : Siegel (Mudra)
- vicitrā : das vielgestaltige (Vichitra)
- api : auch, sogar (Api)
- na : nichts ("nicht", Na)
- śobhate : nützt ("glänzt, strahlt", śubh)
Erläuterungen
Die Schlüsselworte dieses Verses haben jeweils eine Doppelbedeutung, wie der Kommentator Brahmananda ausführt: Wie die Erde (Prithvi) ohne das Wirken (Yoga) eines Königs (Rajan) schutzlos ist und allerlei Gefahren ausgesetzt, so verfehlen die Körperstellungen (Asana) ohne die Praxis des Rajayoga ihren eigentlichen Zweck. Wie die Nacht (Nisha) ohne Verbindung (Yoga) des Mondes (Rajan) nicht strahlt, sowenig nützt die Praxis der Atemverhaltungen (Kumbhaka) ohne den Rajayoga. Und wie ein Siegelring (Mudra) ohne die Beziehung (Yoga) zu einem König (Rajan) keinen Wert hat, so ist auch das Üben von Siegelhaltungen (Mudra) ohne den Rajayoga nutzlos.
Kapitel 3 Vers 127 : Shakti Chalana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mārutasya : in Bezug auf den Atem ("Wind", Maruta)
- vidhim : Methode (Vidhi)
- sarvam : jede (Sarva)
- manaḥ : Geist (Manas)
- yuktam : (mit darauf) konzentriertem (Yukta)
- samabhyaset : man übe (sam + abhi + as)
- itaratra : anderswo (Itaratra)
- na : nicht (Na)
- kartavyā : ist zuzulassen ("zu machen", Kartavya)
- manaḥ : des Geistes
- vṛttiḥ : eine Beschäftigung ("Rollen", Vritti)
- manīṣiṇā : von einem weisen (Manishin Yogin)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 128 : Dasha Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- iti : so (Iti)
- mudrāḥ : Siegel (Mudra)
- daśa : die zehn (Dasha)
- proktā : wurden gelehrt (Prokta)
- ādi-nāthena : dem uranfänglichen Herrn (Adinatha)
- śambhunā : von Shambhu (Shiva)
- ekaikā : jedes einzelne (Ekaika)
- tāsu : unter ihnen (Tad)
- yaminām : den gezügelten (Yamin Yogins)
- mahā-siddhi-pradāyinī : verleiht (Pradayin) großartige Vollkommenheit, übernatürliche Fähigkeiten (Mahasiddhi)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 129 : Dasha Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- upadeśam : die Unterweisung, Lehre (Upadesha)
- hi : bekanntlich (Hi)
- mudrāṇām : der Siegel (Mudra)
- yaḥ : wer (Yad)
- datte : (weiter)gibt (dā)
- sāmpradāyikam : (beruhend auf) der traditionellen Überlieferung (Sampradayika)
- saḥ : der (Tad)
- eva : nur (Eva)
- śrī-guruḥ : (ist) ein ehrwürdiger (Shri) Lehrer (Guru)
- svāmī : (und) Meister, Gebieter (Svamin)
- sākṣāt : der leibhaftige (Sakshat)
- īśvaraḥ : Herr, Gott (Svamin)
- eva : wahrlich (Eva)
- saḥ : der (ist)
Erläuterungen
Kapitel 3 Vers 130 : Dasha Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tasya : eines solchen (Lehrers, Tad)
- vākya-paraḥ : (wer) erfüllt (Para) von den Worten (Vakya)
- bhūtvā : ist (bhū)
- mudrābhyāse : bei der Praxis, Übung (Abhyasa) der Siegel (Mudra)
- samāhitaḥ : (und) konzentriert (Samahita ist)
- aṇimādi-guṇaiḥ : den Vorzügen, Eigenschaften (Guna) der Siddhis wie Sichkleinmachenkönnen (Animan) usw. (Adi)
- sārdham : samt (Sardha)
- labhate : der erlangt, erreicht (labh)
- kāla-vañcanam : das Vermeiden, Umgehen ("Täuschen", Vanchana) des Todes ("Zeit", Kala)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 1 : Verehrung Shivas
Ardhanarishvara - Shiva und Shakti vereint.
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- namaḥ : Verehrung, Verbeugung (Namas sei)
- śivāya : Shiva
- gurave : dem Lehrer, Meister (Guru)
- nāda-bindu-kalātmane : Klang (Nada), Bindu ("Punkt, Tropfen") und Kala ("Mondsechzehntel" ist)
- ātmane : (dessen) Wesen (Atman)
- nirañjana-padam : den makellosen (Niranjana) Ort, Zustand (Pada)
- yāti : der erreicht ("geht", yā)
- nityam : täglich ("stets", Nitya)
- tatra : dort (bei der Praxis von Nada usw. ist, Tatra)
- parāyaṇaḥ : (wessen) höchstes Ziel (Parayana)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Kala "ein Teil (Ekadesha) des Klanges (Nada) ist": kalā nādaika-deśaḥ.
Kapitel 4 Vers 2 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- atha : daraufhin, nun (Atha)
- idānīm : jetzt, bei dieser Gelegenheit (Idanim)
- pravakṣyāmi : ich werde lehren, verkünden (pra + vac)
- samādhi-kramam : Prozess ("schrittweise Abfolge", Krama) der Versenkung (Samadhi)
- uttamam : den hervorragenden, besten (Uttama)
- mṛtyu-ghnam : (welcher) den Tod vernichtet (Mrityughna)
- ca : und (Cha)
- sukhopāyam : ein Mittel (zum Erreichen, Upaya) von Glück, Wohlbefinden (Sukha)
- brahmānanda-karam : (Mittel zum) Bewirken der Glückseligkeit (Anandakara aufgrund der Vereinigung mit dem) Brahman
- param : das beste (Para)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 3 : Samadhi
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Übersetzung
- ... (Fortsetzung in Vers 4)
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rāja-yogaḥ : königlicher Yoga (Rajayoga)
- samādhiḥ : Versenkung (Samadhi)
- ca : und (Cha)
- unmanī : (der Zustand) jenseits des Geistes ("Selbstvergessenheit", Unmani)
- ca : und
- manonmanī : (der Zustand) des Geistes jenseits des Geistes (Manonmani)
- amaratvam : Unsterblichkeit, Göttlichkeit (Amaratva)
- layaḥ : Auflösung (Laya)
- tattvam : Wahrheit, Realität, die wahre Natur ("So-sein", Tattva)
- śūnyāśūnyam : leere Nichtleere (Shunyashunya)
- paraṁ padam : höchster (Para) Ort, Zustand (Pada)
Erläuterungen
Zu einer Definition des Begriffes Raja Yoga durch den Kommentator Brahmananda vgl. die Anm. Vers 4.103.
Kapitel 4 Vers 4 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- amanaskam : der geistlose (Zustand, Amanaska)
- tathā : und, ebenso (Tatha)
- advaitam : Nichtzweiheit, Nichtdualität (Advaita)
- nir-ālambam : (der Zustand) ohne Stütze (Niralamba)
- nir-añjanam : (der) reine, unbefleckte (Zustand, Niranjana)
- jīvan-mukti : Lebenderlösung, Erlösung zu Lebzeiten (Jivanmukti)
- ca : und (Cha)
- saha-jā : (der) natürliche, angeborene (Zustand, Sahaja)
- turyā : der) vierte (Zustand, Turya)
- ca : und
- iti : so (lauten, Iti)
- eka-vācakāḥ : (die Begriffe, die alle) ein und dasselbe bedeuten ("zum Ausdruck bringen", Ekavachaka)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 5 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- salile : im Wasser (Salila)
- saindhavam : Salz (Saindhava)
- yad-vat : (so) wie (Yadvat)
- sāmyam : Einheit ("Gleichheit" mit dem Wasser, Samya)
- bhajati : erlangt ("teilt", bhaj)
- yogataḥ : aufgrund der Vereinigung (mit diesem, Yoga)
- tathā : (genau) so (Tatha)
- ātma-manasoḥ : von Seele ("Selbst", Atman) und Geist (Manas)
- aikyam : (entsteht die) Einheit (Aikya)
- samādhiḥ : Samadhi ("Verbindung, Versenkung")
- abhidhīyate : (diese) wird genannt (abhi + dhā)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 38 behandelt.
Kapitel 4 Vers 6 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yadā : wenn (Yada)
- saṅkṣīyate : (in der Atemverhaltung) völlig verschwindet (sam + kṣi)
- prāṇaḥ : der (Lebens-)Atem (Prana)
- mānasam : der Geist (das "Geistige", Manasa)
- ca : und, auch (Cha)
- pralīyate : sich auflöst (pra + lī)
- tadā : dann (Tada)
- sama-rasa-tvam : (die daraus resultierende) Einheit ("Geschmacks-Gleichheit", Samarasatva)
- ca : und, aber
- samādhiḥ : Samadhi ("Verbindung, Versenkung")
- abhidhīyate : wird genannt (abhi + dhā)
Erläuterungen
Der Ausdruck sama-rasa-tva ("Geschmacks-Gleichheit") zielt noch einmal auf den in Vers 4.5 gegebenen Vergleich ab: Salz löst sich im Wasser auf, daher hat beides, Salz und Wasser, den gleichen (Sama) salzigen Geschmack (Rasa). Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der völlig auf das Selbst (Atman) konzentrierte (Sthita) Geist (Manas) mit diesem identisch wird bzw. ein und (Eka) dieselbe Form (Akara) wie das Selbst annimmt (ekākāratvam): sama-rasa-tvam ekākāra-tvaṃ manasaś cātmani sthitasya.
Brahmananda fügt hinzu, dass der in diesen beiden Versen (4.5-6) beschriebene (Ukta) Einheitszustand des Geistes dem Samprajnata Samadhi entspricht, der in Patanjalis Yogasutra definiert wird: uktābhyāṃ dvābhyāṃ ślokābhyāṃ samprajñātaḥ samādhir uktaḥ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 100 behandelt.
Kapitel 4 Vers 7 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tat-samam : diesem gleich, vergleichbar (Tatsama)
- ca : und (Cha)
- dvayoḥ : dieser zwei (Dvi)
- aikyam : (ist) die Einheit (Aikya)
- jīvātma-paramātmanoḥ : der Individualseele (Jivatman) und der Universalseele (Paramatman)
- pranaṣṭa-sarva-saṅkalpaḥ : in dem alle (Sarva) Vorstellungen, Ideen, Wünsche (Sankalpa) verschwunden sind (Nashta)
- samādhiḥ : Samadhi ("Verbindung, Versenkung")
- saḥ : dies (Tad)
- abhidhīyate : wird genannt (abhi + dhā)
Erläuterungen
"Diesem vergleichbar" (Tatsama) nimmt auf den vorangehenden Vers (4.6.) Bezug: so wie der völlig auf das Selbst (Atman) konzentrierte Geist (Manas) mit diesem identisch wird, genau so wird im hier beschriebenen Asamprajnata Samadhi die Individualseele (Jivatman) eins mit der Universalseele (Paramatman).
Kapitel 4 Vers 8 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rāja-yogasya : des königlichen Yoga (Rajayoga)
- māhātmyam : die Größe, Macht (Mahatmya)
- kaḥ : wer (Ka)
- vā : wohl ("oder", Va)
- jānāti : kennt (jñā)
- tattva-taḥ : wahrheitsgemäß (Tattvatas)
- jñānam : Wissen, Erkenntnis (des eigenen Wesens, Jnana)
- muktiḥ : Befreiung, Erlösung (Mukti)
- sthitiḥ : Beständigkeit, (innerliches) Verweilen (Sthiti)
- siddhiḥ : Erfolg, Vollkommenheit, übernatürliche Fähigkeit (Siddhi)
- guru-vākyena : durch das Wort (Vakya) des Lehrers, Meisters (Guru)
- labhyate : wird erlangt (labh)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda merkt an, dass mit Mukti ("Erlösung") hier die "körperlose (Videha) Erlösung (Mukti)", also die Erlösung mit bzw. nach dem Tode (Videhamukti) gemeint sei: muktir videha-muktiḥ.
Mit dem Begriff Sthiti ("Beständigkeit") wird laut Brahmanandas Kommentar auf die "Erlösung (Mukti) bei lebendigem (jīvat) Leibe" (Jivanmukti) verwiesen: sthitir … jīvan-muktiḥ.
Kapitel 4 Vers 9 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dur-labhaḥ : schwer zu erlangen (Durlabha)
- viṣaya-tyāgaḥ : (ist) die Entsagung (Tyaga) der Sinnesobjekte (Vishaya)
- dur-labham : schwer zu erlangen
- tattva-darśanam : (ist die unmittelbare) Erkenntnis ("Schauen", Darshana) der Wahrheit ("So-sein", Tattva)
- dur-labhā : schwer zu erlangen
- sahajāvasthā : (ist) der natürliche (Sahaja) Zustand (Avastha)
- sad-guroḥ : eines wahrhaftigen Meisters, Lehrers (Sadguru)
- karuṇām : das Mitgefühl, die mitfühlende Gnade (Karuna)
- vinā : ohne (Vina)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt "Entsagung der Sinnesobjekte" (Vishaya–Tyaga) als die Abwesenheit (Abhava) des Wunsches (Ichchha) nach Genuss bzw. Erfahrung (Bhoga): bhogecchābhāvaḥ.
Brahmananda verdeutlicht, dass das "Erschauen der Wahrheit" (Tattva–Darshana) die unmittelbare (Aparoksha) Erfahrung (Anubhava) des Selbst (Atman) meint: tattva-darśanam ātmāparokṣānubhavaḥ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 66 behandelt.
Kapitel 4 Vers 10 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vividhaiḥ : durch die verschiedenartigen (Vividha)
- āsanaiḥ : Körperstellungen (Asana)
- kumbhaiḥ : Atemverhaltungen (Kumbhaka)
- vicitraiḥ : durch die verschiedenen (Vichitra)
- karaṇaiḥ : Gesten (Karana, d.h. Mudra)
- api : und ("auch", Api)
- prabuddhāyām : (wenn) erwacht ist (Prabuddha)
- mahā-śaktau : die große (Maha) Kraft, Energie (Shakti, d.h. Kundalini)
- prāṇaḥ : der Lebenshauch (Prana)
- śūnye : in der Leere (Shunya, d.h. in der Sushumna)
- pralīyate : (dann) löst sich auf (pra + lī)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt śūnye ("in der Leere") mit brahma-randhre ("im Brahmarandhra"), was nach Vers 3.4 neben Shunyapadavi ("Weg der Leere") ein Synonym für die Sushumna ist: śūnye brahma-randhre.
Kapitel 4 Vers 11 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- utpanna-śakti-bodhasya : für den das Erwachen (Bodha) der Energie (Shakti) statt gefunden hat (Utpanna)
- tyakta-niḥśeṣa-karmaṇaḥ : der sämtliches (Nihshesha) Handeln (Karman) aufgegeben hat (Tyakta)
- yoginaḥ : eines Yogins
- sahajāvasthā : der natürliche (Sahaja) Zustand (Avastha)
- svayam : von selbst (Svayam)
- eva : ganz (Eva)
- prajāyate : entsteht (pra + jan)
Erläuterungen
Der "natürliche Zustand" (Sahaja–Avastha) ist laut dem Kommentator Brahmananda der "vierte" (Turya) Bewusstseinszustand (Avastha) bzw. die "Erlösung (Mukti) bei lebendigem (jīvat) Leibe" (Jivanmukti): sahajāvasthā turyāvasthā jīvan-muktiḥ.
Kapitel 4 Vers 12 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- suṣumṇā-vāhini : in der Sushumna fließt (Vahin)
- prāṇe : (wenn) der Lebenshauch (Prana)
- śūnye : in die Leere (Shunya)
- viśati : eintritt (viś)
- mānase : (und wenn) der Geist (das "Geistige", Manasa)
- tadā : dann (Tada)
- sarvāṇi : alle (Sarva)
- karmāṇi : Handlungen (Karman)
- nir-mūlayati : vernichtet ("entwurzelt", nis + mūl)
- yoga-vit : der Yogakundige (Yogavid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "Leere" (Shunya) das Brahman gemeint ist, das frei (Hina) von allen Unterscheidungen (Parichchheda) hinsichtlich Ort (Desha) bzw. Raum, Zeit (Kala) und Substanz (Vastu) ist: śūnye deśa-kāla-vastu-pariccheda-hīne brahmaṇi.
Kapitel 4 Vers 13 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- amarāya : dem unsterblichen (Yogin, Amara)
- namaḥ : Verehrung, Verneigung (Namas)
- tubhyam : (sei) dir (Tvad)
- saḥ : der (Tad)
- api : sogar, selbst (Api)
- kālaḥ : Tod ("Zeit", Kala)
- tvayā : von dir ("durch dich", Tvad)
- jitaḥ : ist besiegt worden (Jita)
- patitam : gefallen ist (Patita)
- vadane : Rachen (Vadana)
- yasya : in dessen (Yad)
- jagat : Welt (Jagat)
- etat : diese (Etad)
- carācaram : bewegliche (Chara) und unbewegliche (Achara)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 14 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- citte : (wenn) der Geist (Chitta)
- samatvam : Gleichförmigkeit ("Gleichheit", Samatva)
- āpanne : erreicht hat (Apanna)
- vāyau : (wenn) der Lebenshauch Prana ("Wind", Vayu)
- vrajati : geht (vraj)
- madhyame : durch den ("im") mittleren (Kanal, Madhyama d.h. Sushumna)
- tadā : dann (Tada)
- amarolī : Amaroli (Mudra)
- vajrolī : Vajroli (Mudra)
- sahajolī : (und) Sahajoli (Mudra)
- prajāyate : entsteht (pra + jan)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt Samatva ("Gleichförmigkeit") des Geistes (Chitta) als den Zustand des ruhigen Dahinfließens (Pravaha) der geistigen Funktion (Vritti) in Gestalt (Akara) des (verinnerlichten) Meditationsobjektes (Dhyeya): samatvaṃ dhyeya-ākāra-vṛtti-pravāha-vat-tvam.
Kapitel 4 Vers 15 : Samadhi
Versmaß: Vasantatilaka
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jñānam : Erkenntnis (Jnana des Selbst)
- kutaḥ : wie ("woher", Kutas)
- manasi : im Geist (Manas)
- sambhavati : ist möglich (sam + bhū)
- iha : in dieser Welt ("hier", Iha)
- tāvat : solange (Tavat)
- prāṇaḥ : der Lebenshauch, Atem (Prana)
- api : sowohl ("auch", Api)
- jīvati : lebt (jīv)
- manaḥ : (als auch) der Geist (Manas)
- mriyate : stirbt (mṛ)
- na : nicht (Na)
- yāvat : wie (Yavat)
- prāṇaḥ : Lebenshauch, Atem
- manaḥ : (und) Geist
- dvayam : zwei ("Paar", Dvaya)
- idam : dieses (Idam)
- vilayam : zum Verschwinden ("Auflösung", Vilaya)
- nayet : bringt ("führt", nī)
- yaḥ : wer (Yad)
- mokṣam : zur Befreiung (Moksha)
- saḥ : der (Tad)
- gacchati : gelangt ("geht", gam)
- naraḥ : Mann, Mensch (Nara)
- na : nicht
- kathañ-cit : auf irgendeine (andere) Weise ("irgendwie", Kathanchid)
- anyaḥ : ein anderer (Anya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt "Erkenntnis" (Jnana) als die unmittelbare (Aparoksha) Erfahrung (Anubhava) des Selbst (Atman): jñānam ātmāparokṣānubhavaḥ.
Brahmananda definiert das "Leben" (Jivana) des Atems (Prana) als dessen Fließen (Vahana) durch die beiden feinstofflichen Kanäle Ida und Pingala: iḍā-piṅgalābhyāṃ vahanaṃ prāṇasya jīvanam.
Brahmananda definiert das "Leben" (Jivana) des Geistes (Manas) im Zusammenhang mit dem "Leben" (d.h. Funktionieren) der Sinne (Indriya) wie folgt: letzteres als das Wahrnehmen bzw. "Ergreifen" (Grahana) ihrer jeweiligen (Sva) Sinnesobjekte (Vishaya): sva-sva-viṣaya-grahaṇam indriyāṇāṃ jīvanam, und ersteres als das Hervorbringen (Utpadana) geistiger Fluktuationen (Vritti) in Form (Akara) der verschiedenen (Nana) Sinnesobjekte (Vishaya): nānā-viṣayākāra-vṛtty-utpādanaṃ manaso jīvanam.
Brahmananda gibt hierzu die folgende Definition (Lakshana) für das Wort "Erlösung" (Moksha): mokṣam ātyantika-sva-rūpāvasthāna-lakṣaṇam – "Erlösung wird definiert als das endgültige (Atyantika) Verweilen (Avasthana) in der eigenen Natur (Svarupa)", vgl. Yogasutra 1.3.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 89 behandelt.
Kapitel 4 Vers 16 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jñātvā : wenn er erlernt ("kennengelernt") hat (jñā)
- suṣumṇā-sad-bhedam : die richtige ("gute", Sat Methode zum) Öffnen ("Aufbrechen", Bheda) der Sushumna
- kṛtvā : veranlasst hat (kṛ)
- vāyum : den Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- ca : und (Cha)
- madhya-gam : im mittleren (Kanal) zu fließen ("gehen", Madhyaga)
- sthitvā : weilend, sich aufhaltend ("bleibend", sthā)
- sadā : immer, stets (Sada)
- eva : wahrlich (Eva)
- su-sthāne : an einem geeigneten ("guten") Ort (Susthana)
- brahma-randhre : (den Atem, Prana) im Brahmarandhra (der "Öffnung Brahmans")
- nirodhayet : er lasse verschwinden ("schließe ein", ni + rudh)
Erläuterungen
Zur Beschreibung eines für die Yogapraxis geeigneten Ortes (su-sthāne) vgl. Vers 1.12.
Der Kommentator Brahmananda macht deutlich, dass Brahmarandhra hier einen (bestimmten) Raum (Avakasha) im Schädel (Murdhan) meint, und nicht – wie an anderer Stelle – die Sushumna: brahma-randhre mūrdhāvakāśe.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 41 behandelt.
Kapitel 4 Vers 17 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sūryā-candramasau : Sonne (Surya) und Mond (der "schimmernde Mond", Chandramas)
- dhattaḥ : erschaffen (dhā)
- kālam : die Zeit (Kala)
- rātrin-divātmakam : in Form von ("mit dem Wesen von", Atmaka) Nacht und Tag (Ratrindiva)
- bhoktrī : (ist) eine Verzehrerin ("Esserin", Bhoktri)
- suṣumnā : die Sushumna
- kālasya : der Zeit (Kala)
- guhyam : ein Geheimnis (Guhya)
- etat : das, dies (Etad)
- udāhṛtam : wird genannt (Udahrita)
Erläuterungen
Das lange ā in sūryā- ergibt sich aus der Bildung dieses Dvandva genannten Kompositums: sūrya ("Sonne") und candramas ("Mond") ergeben sūryā-candramasau "Sonne und Mond", Nominativ Dual.
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich "Nacht und Tag" (Ratrindiva) auf das abwechselnde Vorherrschen von Mond- und Sonnenkanal (Chandra und Surya bzw. Ida und Pingala) bezieht, von denen jeder jeweils eine Stunde bzw. zweieinhalb Ghatikas durchflossen wird. Diese beiden Phasen werden als "Nacht und Tag" bezeichnet, so dass es für einen Yogi innerhalb von 24 Stunden 12 mal "Nacht und Tag" wird.
Kapitel 4 Vers 18 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dvā-saptati-sahasrāṇi : (es gibt) 72 000 (Dvasaptatisahasra)
- nāḍī-dvārāṇi : Tore (für Prana, Dvara in Form von feinstofflichen Energie-)Kanälen (Nadi)
- pañjare : im Körper ("Käfig, Gerippe", Panjara)
- suṣumṇā : die Sushumna
- śāmbhavī : (ist) die zu Shambhu gehörige (Shambhavi)
- śaktiḥ : Energie, Kraft (Shakti)
- śeṣāḥ : die übrigen, restlichen (Shesha)
- tu : aber (Tu)
- eva : gewiss, wahrlich (Eva)
- nir-arthakāḥ : (sind so gut wie) nutzlos ("ohne Zweck", Nirarthaka)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 19 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vāyuḥ : der Atem ("Wind", Vayu)
- paricitaḥ : kontrolliert ist ("bekannt, vertraut", Parichita)
- yasmāt : sobald, wenn ("nachdem", Yad)
- agninā : dem (Verdauungs-)Feuer (Agni)
- saha : samt (Saha)
- kuṇḍalīm : die Kundali)
- bodhayitvā : nachdem er erweckt hat (budh)
- suṣumṇāyām : in die Sushumna
- praviśet : er soll eintreten (pra + viś)
- anirodhataḥ : ungehemmt ("ohne Hemmung, Zurückhaltung", Anirodhatas)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 20 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- suṣumṇā-vāhini : in der Sushumna fließt (Vahin)
- prāṇe : (wenn) der Lebenshauch (Prana)
- sidhyati : erfolgt, hat Erfolg, kommt zustande (sidh)
- eva : gewiss (Eva)
- manonmanī : (der Zustand des) Geistes jenseits des Geistes (Manonmani)
- anyathā : anderenfalls (Anyatha)
- tu : aber (Tu)
- itarābhyāsāḥ : (alle) anderen (Itara) Übungen, Praktiken (Abhyasa)
- prayāsāya : (dienen) der Erschöpfung ("Anstrengung", Prayasa)
- eva : nur, allein (Eva)
- yoginām : der Yogins
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 21 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pavanaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Pavana)
- badhyate : angehalten, kontrolliert wird ("gebunden wird", bandh)
- yena : (der Yogi) durch den ("welchen", Yad)
- manaḥ : der Geist ("Denken", Manas)
- tena : durch den (Tad)
- eva : eben (Eva)
- badhyate : wird angehalten, kontrolliert ("gebunden")
- manaḥ : der Geist ("Denken")
- ca : und (Cha)
- badhyate : angehalten, kontrolliert wird ("gebunden wird")
- yena : (der Yogi) durch den ("welchen")
- pavanaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind")
- tena : durch den
- badhyate : wird angehalten, kontrolliert ("gebunden")
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 24 behandelt.
Kapitel 4 Vers 22 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- hetu-dvayam : (es gibt) zwei (ein "Paar", Dvaya) Ursachen (Hetu)
- tu : aber (Tu)
- cittasya : (für das Aktivsein) des Geistes (Chitta)
- vāsanā : (unbewusste) geistige Eindrücke (Vasana)
- ca : und (Cha)
- samīraṇaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Samirana)
- tayoḥ : von beiden (Tad)
- vinaṣṭe : verschwunden ist (Vinashta)
- ekasmin : (wenn) eines (Eka)
- tau : die (Tad)
- dvāu : beiden (anderen, Dvi)
- api : auch (Api)
- vinaśyataḥ : verschwinden (vi + naś)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 23 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- manaḥ : der Geist ("Denken", Manas)
- yatra : wo, wobei, wo hinein (Yatra)
- vilīyeta : sich auflöst, verschwindet (vi + lī)
- pavanaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Pavana)
- tatra : dort, dabei, da hinein (Tatra)
- līyate : löst sich auf, verschwindet (lī)
- pavanaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind")
- līyate : sich auflöst, verschwindet
- yatra : wo, wobei, wo hinein
- manaḥ : der Geist ("Denken")
- tatra : dort, dabei, da hinein
- vilīyate : löst sich auf, verschwindet
Erläuterungen
Vergleiche zur Bedeutung von yatra und tatra die Anmerkung zum folgenden Vers 4.24.
Kapitel 4 Vers 24 : Samadhi
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dugdhāmbu-vat : wie (Vat) Milch (Dugdha) und Wasser (Ambu)
- sammilitau : die vermischt sind ("vereint", Milita)
- ubhau : beiden (Ubha)
- tau : diese beiden (Tad)
- tulya-kriyau : haben die gleiche (Tulya) Aktivität, Wirksamkeit (Kriya)
- mānasa-mārutau : Geist (das "Geistige", Manasa) und Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Maruta)
- hi : gewiss (Hi)
- yataḥ : wo (Yatas)
- marut : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Marut sich aufhält, wirkt)
- tatra : dort (Tatra)
- manaḥ-pravṛttiḥ : (ist) die Aktivität, Wirksamkeit (Pravritti) des Geistes ("Denken", Manas)
- yataḥ : wo
- manaḥ : der Geist (sich aufhält, wirkt)
- tatra : dort
- marut-pravṛttiḥ : (ist) die Aktivität, Wirksamkeit (Pravritti) des Lebenshauches, Atems, Prana ("Wind", Marut)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt yataḥ ("woher, wohin") mit yatra ("wo"), dieses steht wiederum im Sinne von yasmin cakre ("in welchem Chakra"). Ebenso bedeutet tatra ("dort") tasmin cakre ("in diesem Chakra"). In diesem Sinne ist auch yatra und tatra im vorangehenden Vers 23 zu verstehen. Wird also Prana in einem bestimmten Bereich bzw. Zentrum (Chakra) konzentriert, dann geht auch der Geist (Manas) dahin und umgekehrt.
Kapitel 4 Vers 25 : Samadhi
Versmaß: Indravajra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tatra : unter diesen ("dabei, dort", Tatra)
- eka-nāśāt : aufgrund des Verschwindens (Nasha) eines (Eka der beiden)
- aparasya : des (jeweils) anderen (Apara)
- nāśaḥ : (erfolgt) das Verschwinden (Nasha)
- eka-pravṛtteḥ : aufgrund der Aktivität, Wirksamkeit (Pravritti) eines (Eka der beiden)
- apara-pravṛttiḥ : (erfolgt) die Aktivität, Wirksamkeit (Pravritti) des (jeweils) anderen (Apara)
- adhvastayoḥ : (wenn beide) nicht verschwunden sind (Adhvasta)
- ca : und (Cha)
- indriya-varga-vṛttiḥ : (dann erfolgt) die Aktivität (Vritti) der Gruppe (Varga) der Sinne(sorgane, Indriya)
- pradhvastayoḥ : (wenn) beide verschwunden sind (Pradhvasta)
- mokṣa-padasya : des Ortes, Zustandes (Pada) der Befreiung, Erlösung (Moksha)
- siddhiḥ : (dann erfolgt) das Erreichen ("Gelingen", Siddhi)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 107 behandelt.
Kapitel 4 Vers 26 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rasasya : des Quecksilbers (Rasa)
- manasaḥ : des Geistes (Manas)
- ca : und (Cha)
- eva : wahrlich (Eva)
- cañcalatvam : die Unbeständigkeit, Unstetheit (Chanchala)
- sva-bhāva-taḥ : (besteht) aufgrund ihrer Natur (ihres "Eigenwesens", Svabhavatas)
- rasaḥ : (sobald) das Quecksilber (Rasa)
- baddhaḥ : fest ("gebunden") ist (Baddha)
- manaḥ : (sobald) der Geist (Manas)
- baddham : fest ("gebunden") ist
- kim : was (Kim)
- na : nicht (Na)
- sidhyati : gelingt (sidh)
- bhū-tale : auf Erden ("Erd-Oberfläche", Bhutala)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 27 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mūrcchitaḥ : (wenn) fest geworden ("geronnen, erstarrt", Murchhita)
- harate : es bzw. er vernichtet ("nimmt fort", hṛ)
- vyādhīn : Krankheiten (Vyadhi)
- mṛtaḥ : (wenn) erstorben (Mrita)
- jīvayati : es bzw. er belebt, verleiht (langes) Leben (jīv)
- svayam : selbst (Svayam)
- baddhaḥ : (wenn) gebunden (Baddha)
- khe-caratām : die Fähigkeit zu fliegen (des "im Luftraum Wandelns", Khecharata)
- dhatte : es bzw. er verleiht (dhā)
- rasaḥ : das Quecksilber (Rasa)
- vāyuḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- ca : und (Cha)
- pārvati : oh Parvati ("Tochter des Berges")
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda merkt an, dass durch den Zusatz (Yoga) von speziellen (Vishesha) Heilkräutern (Oshadhi) das Quecksilber (Rasa) zum Gerinnen (Murchhita) gebracht wird: oṣadhi-viśeṣa-yogena … raso mūrcchitaḥ.
Einen ähnlichen Vergleich, nämlich zwischen Quecksilber (Parada) und dem Geist (Manas), enthält Vers 4.96.
Kapitel 4 Vers 28 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- manaḥ-sthairye : mit ("bei") der Festigkeit (Sthairya) des Geistes (Manas)
- sthiraḥ : fest, unbeweglich (Sthira)
- vāyuḥ : (wird) der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- tataḥ : dadurch ("infolge dessen", Tatas)
- binduḥ : der Samen (Bindu)
- sthiraḥ : fest, unbeweglich
- bhavet : wird (bhū)
- bindu-sthairyāt : aufgrund der Unbeweglichkeit (Sthairya) des Samens (Bindu)
- sadā : immer, stets (Sada)
- sattvam : Kraft (Sattva)
- piṇḍa-sthairyam : Festigkeit (Sthairya) des Körpers (Pinda)
- prajāyate : entsteht (pra + jan)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass Bindu hier den männlichen Samen (Virya) meint: bindur vīryam.
Brahmananda erklärt Sattva mit "Kraft" (Bala): sattvam balam.
Kapitel 4 Vers 29 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- indriyāṇām : der Sinne (Indriya)
- manaḥ : der Geist (Manas)
- nāthaḥ : (ist) der Gebieter, Herr (Natha)
- mano-nāthaḥ : (ist) der Gebieter, Herr (Natha) des Geistes (Manas)
- tu : aber, wiederum (Tu)
- mārutaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Maruta)
- mārutasya : des Lebenshauches, Atems, Prana ("Windes")
- layaḥ : die Auflösung (des Geistes, Laya)
- nāthaḥ : (ist) der Gebieter, Herr
- saḥ : die (Tad)
- layaḥ : Auflösung (des Geistes)
- nādam : (vom inneren) Klang (Nada)
- āśritaḥ : ist abhängig ("gestützt", Ashrita)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt Laya ("Auflösung, Verschwinden") als "Verschwinden (Vilaya) des Geistes (Manas)": layo mano-vilayaḥ.
Kapitel 4 Vers 30 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- so’yam (saḥ + ayam) : diese (erwähnte Auflösung des Geistes, Tad Ayam)
- eva : eben (Eva)
- astu : ist ("sei", as)
- mokṣākhyaḥ : als Befreiung, Erlösung (Moksha) zu bezeichnen ("versehen mit dem Namen", Akhya)
- mā : nicht (Ma)
- astu : sie ist ("sei")
- vā : oder (Va)
- api : auch (Api)
- matāntare : (gemäß) anderer (Antara) Meinungungen (Mata)
- manaḥ-prāṇa-laye : bei der Auflösung (Laya) des Geistes (Manas) und des Lebenshauches, Atems (Prana)
- kaś-cit : eine unbeschreibliche ("gewisse, bestimmte", Ka Chid)
- ānandaḥ : Glückseligkeit (Ananda)
- sampravartate : stellt sich ein (sam + pra + vṛt)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 31 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pranaṣṭa-śvāsa-niśvāsaḥ : (in welcher) Einatmung (Shvasa) und Ausatmung (Nishvasa) verschwunden (sind, Pranashta)
- pradhvasta-viṣaya-grahaḥ : (in welcher) die Wahrnehmung ("das Ergreifen", Graha) der Sinnesobjekte (Vishaya) verschwunden (ist, Pradhvasta)
- niś-ceṣṭaḥ : (in welcher es) keine Bewegungen (des Körpers gibt, Nishcheshta)
- nir-vikāraḥ : (in welcher der Geist) frei von Veränderungen (ist, Nirvikara)
- ca : und (Cha)
- layaḥ : (eine solche) Auflösung, Absorption (Laya)
- jayati : ist erfolgreich ("siegt", ji)
- yoginām : der Yogis, für die Yogins
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt Laya ("Auflösung, Verschwinden") an dieser Stelle als die "Umwandlung (Apatti) der Funktion (Vritti) des Geistes (Antahkarana) in die Form (Akara) des Meditationsobjektes (Dhyeya)": antaḥ-karaṇa-vṛtter dhyeyākārāpattiḥ. Der Geist wird also vollkommen in die Gestalt des Meditationsobjektes absorbiert bzw. "aufgelöst".
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 75 behandelt.
Kapitel 4 Vers 32 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ucchinna-sarva-saṅkalpaḥ : (in einem Zustand, in dem) jedwede (Sarva) geistige Veränderung ("Wunsch, Wille", Sankalpa) verschwunden ("abgeschnitten" ist, Uchchhinna)
- niḥśeṣāśeṣa-ceṣṭitaḥ : der frei (ist, Nihshesha) von allen, sämtlichen (Ashesha) Bewegungen (des Körpers, Cheshtita)
- svāvagamyaḥ : die nur von einem selbst, vom Selbst (Sva) wahrnehmbar ist (Avagamya)
- layaḥ : Auflösung, Absorption (Laya)
- ko’pi (kaḥ + api) : eine unbeschreibliche ("gewisse, bestimmte", Ka Api)
- jāyate : es gibt, entsteht (jan)
- vāg-agocaraḥ : jenseits des Bereiches ([[Agochara) der Sprache (Vach)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt Sankalpa als "Transformationen (Parinama) des Geistes (Manas)": saṅkalpā manaḥ-pariṇāmāḥ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 94 behandelt.
Kapitel 4 Vers 33 : Samadhi
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yatra : wo (Yatra)
- dṛṣṭiḥ : (der innere, geistige) Blick (Drishti verweilt)
- layaḥ : (findet) Auflösung, Absorption (Laya statt)
- tatra : dort (Tatra)
- bhūtendriya-sanātanī : (die Unwissenheit, in der) die Elemente (Bhuta) und die Sinne (Indriya) ewig, immerwährend (existieren, Sanatana)
- sā : diese (ehrwürdige, Tad)
- śaktiḥ : Energie, Kraft (Shakti)
- jīva-bhūtānām : der lebendigen (Jiva) Wesen (Bhuta)
- dve : diese zwei, beiden (Energien, Dvi)
- alakṣye : im Unsichtbaren, Unbekannten, nicht zu definierendem (Brahman, Alakshya)
- layam : die Auflösung (Laya)
- gate : haben erreicht ("sind gegangen", Gata)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt das Kompositum bhūta-indriya-sanātanī als "die Unwissenheit (Avidya), in der die Elemente (Bhuta) und die Sinne (Indriya) ewig (existieren)".
Die beiden Energien, die im Zustand der Auflösung (Laya) im Brahman verschwinden, sind laut Brahmananda die Unwissenheit (Avidya) und die die Lebewesen (Jiva–Bhuta) am Leben erhaltende Kraft (Shakti).
Brahmananda erklärt, dass sich Alakshya (das "nicht zu definierende") hier auf das Brahman bezieht: alakṣye brahmaṇi.
Kapitel 4 Vers 34 : Laya
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- layaḥ : Auflösung, Absorption (Laya)
- layaḥ : Auflösung, Absorption
- iti : so (Iti)
- prāhuḥ : sagen (viele, pra + ah)
- kīdṛśam : wie, welcher Art (Kidrisha)
- laya-lakṣaṇam : (ist) die Definition (Lakshana) von Laya
- apunar-vāsanotthānāt : aufgrund (dessen, dass das) Auftauchen, Erscheinen (Utthana) der (unbewussten) Eindrücke (Vasana) nicht mehr, nicht wieder (erfolgt, Apunar)
- layaḥ : Auflösung, Absorption (ist das)
- viṣaya-vismṛtiḥ : Vergessen, Nichterinnern (Vismriti) der Sinnesobjekte, des Meditationsobjektes (Vishaya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda bietet zwei Interpretationen für Vishaya an: es handelt sich entweder um das "Vergessen" (Vismriti) der Sinnesobjekte (Vishaya), nämlich der Laute (Shabda) usw. (Adi), oder (Va) um das "Vergessen" des Objektes (Vishaya) in Form (Akara) des Meditationsobjektes (Dhyeya): viṣayāṇāṃ śabdādīnāṃ dhyeyākārasya viṣayasya vā vismṛtiḥ.
Kapitel 4 Vers 35 : Shambhavi Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- veda-śāstra-purāṇāni : die Veden (Veda), die Lehrtexte (Shastra) und die Puranas
- sāmānya-gaṇikā : gewöhnliche (Samanya) Huren (Ganika)
- iva : (sind) wie (Iva)
- ekā : allein, einzig (die "Eine", Eka)
- eva : nur, wahrlich (Eva)
- śāmbhavī mudrā : Shambhavi Mudra ("Siegel der Gattin Shambhus")
- guptā : (wird) behütet, geschützt, versteckt (Gupta)
- kula-vadhūḥ : eine Frau (Vadhu) aus (guter) Familie (Kula)
- iva : wie
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 36 : Shambhavi Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- antar-lakṣyam : (die Konzentration auf das) Meditationsobjekt ("Ziel", Lakshya) ist nach innen (gerichtet, Antar)
- bahir-dṛṣṭiḥ : der Blick (Drishti) ist nach außen (gerichtet, Bahis)
- nimeṣonmeṣa-varjitā : (und) frei von (Varjita) Augenniederschlag (Nimesha) und Augenaufschlag (Unmesha)
- eṣā sā : diese (bereits erwähnte, Etad Tad)
- śāmbhavī mudrā : Shambhavi Mudra "das Siegel der Gattin Shambhus"
- veda-śāstreṣu : in den Veden (Veda) und in den Lehrtexten (Shastra)
- gopitā : (sie wird) behütet, bewahrt ("geheimgehalten", Gopita)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, das es sich bei den inneren Meditationsobjekten (Lakshya) um die (sieben) Haupt-Chakras, beginnend (Adi) beim Muladhara und endend (Anta) beim Brahmarandhra, handelt: ādhārādi-brahma-randhrānteṣu cakreṣu.
Brahmananda gibt zwei mögliche Deutungen von Shambhavi: sie ist (bhū) Shivas Liebste (Priya) bzw. (Va) sie bewirkt (Janika) das Offenbarwerden (Avirbhava) Shivas: śāmbhavī śiva-priyā śivāvir-bhāva-janikā vā bhavati.
Laut Brahmananda sind mit den Shastras hier die (sechs) orthodoxen philosophischen Systeme (Darshana), beginnend (Adi) mit dem Sankhya-System und Patanjalis (Yogasystem), gemeint: śāstreṣu sāṃkhya-pātañjalādiṣu.
Kapitel 4 Vers 37 : Shambhavi Mudra
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- antar-lakṣya-vilīna-citta-pavanaḥ : (mit seinem) Geist (Chitta und seinem) Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Pavana) aufgelöst, absorbiert (Vilina) im inneren (Antar) Meditationsobjekt ("Ziel", Lakshya)
- yogī : (der) Yogin
- yadā : wenn (Yada)
- vartate : verweilt (Vartamana)
- dṛṣṭyā : mit (seinem) Blick (Drishti)
- niścala-tārayā : mit unbeweglicher (Nishchala) Pupille (Tara)
- bahiḥ : nach außen (Bahis)
- adhaḥ : unten (Adhas)
- paśyan : schauend (paś)
- apaśyan : nicht schauend (a–paś)
- api : obwohl (eigentlich, Api)
- mudrā : (das) Siegel (Mudra)
- iyam : dies (Iyam)
- khalu : wahrlich, bekanntlich (Khalu)
- śāmbhavī : der Gattin Shambhus
- bhavati : ist (bhū)
- sā : (wenn) es (Tad)
- labdhā : erhalten worden ist (Labdha)
- prasādāt : durch die Gnade (Prasada)
- guroḥ : des Lehrers, Meisters (Guru)
- śūnyāśūnya-vilakṣaṇam : (welche) verschieden (ist, Vilakshana von der) Leere (Shunya) (und der) Nichtleere (Ashunya)
- sphurati : erscheint, wird offenbar (sphur)
- tat : jene (Tad)
- tattvam : Wahrheit, Realität ("So-Sein", Tattva)
- padam : (der) Ort, Zustand (Pada)
- śāmbhavam : Shambhus
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt die Beschaffenheit des Mediationsobjektes (Lakshya) näher: In einem der Chakras bzw. "Lotusse" (Padma), etwa im "Herzlotus" (Anahata–Padma, dem Anahata Chakra), kann man einerseits über einen mit entsprechenden Eigenschaften (Saguna) versehenen gestalthaften (Murti) Aspekt Gottes (Ishvara) meditieren. Oder man meditiert über das Brahman, das der Inhalt der "großen Lehrsätze" (Mahavakya) wie tat tvam asi ("Das bist Du") usw. ist.
Kapitel 4 Vers 38 : Shambhavi Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śrī-śāmbhavyāḥ : (bei der) erhabenen (Shri) Shambhavi (Mudra)
- ca : und (Cha)
- khecaryāḥ : (bei) Khechari (Mudra)
- avasthā-dhāma-bhedataḥ : (trotz der) Unterschiede (hinsichtlich, Bheda der) Position (der Augen, Avastha und des) Ortes (der Aufmerksamkeit, Dhaman)
- bhavet : entsteht (bhū)
- citta-layānandaḥ : Glückseligkeit (Ananda aufgrund des) Auflösens, Absorbiertseins (Laya des) Geistes (Chitta)
- śūnye : in der Leere (Shunya)
- cit-sukha-rūpiṇi : vom Wesen ("Gestalt", Rupin der) Wonne (Sukha) der) Bewusstheit (Chit)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 39 : Shambhavi Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tāre : die Pupillen (Tara)
- jyotiṣi : auf das Licht (Jyotis)
- saṃyojya : richtend (sam + yuj)
- kiñ-cit : ein wenig, etwas (Kinchid)
- unnamayet : man hebe (ud + nam)
- bhruvau : die beiden Augenbrauen (Bhru)
- pūrva-yogam : (nach der) vorher (gelehrten, Purva) Methode (Yoga)
- manaḥ : den Geist (Manas)
- yuñjan : konzentrierend (yuj)
- unmanī-kārakaḥ : (wird der Yogin ein) Verursacher (Karaka des Zustandes) "jenseits des Geistes" (Unmani)
- kṣaṇāt : augenblicklich, sogleich (Kshana)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert, dass durch das Richten (Yojana) der Pupillen (Tara) auf die Nasenspitze (Nasagra) ein Licht (Tejas) erscheint (pra + kāś), worauf man dann den Blick fixiert: jyotiṣi tārayor nāsāgre yojanāt prakāśamāne tejasi.
Die genannte Methode (Yoga) bezieht sich laut Brahmananda auf Vers 4.36, also Shambhavi Mudra.
Kapitel 4 Vers 40 : Shambhavi Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ke-cit : einige (Ka Chid)
- āgama-jālena : durch das Blendwerk ("Netz", Jala) der überlieferten Lehren (Agama)
- ke-cit : einige
- nigama-saṅkulaiḥ : durch die gedrängte Vielfalt ("Gedränge", Sankula) der vedischen Texte (Nigama)
- ke-cit : einige
- tarkeṇa : durch eine philosophische Lehre ("Spekulation", Tarka)
- muhyanti : werden verwirrt (muh)
- na : nicht (Na)
- eva : gewiss, überhaupt (Eva)
- jānanti : sie kennen (jña)
- tārakam : den (wahren) Retter (Taraka)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda merkt an, dass sich hier Agama ("Überlieferung") auf die wissenschaftlichen (Shastra) und tantrischen Texte (Tantra) usw. (Adi) bezieht: āgamāḥ śāstra-tantrādayaḥ.
Mit "Retter" (Taraka) ist laut Brahmananda der in Vers 3.39 beschriebene Zustand "jenseits des Geistes" (Unmani) gemeint, der ein Mittel (Upaya) zum Überqueren (Tarana) ist: tārakas … taraṇopāyaḥ … unmanī.
Kapitel 4 Vers 41 : Shambhavi Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ardhonmīlita-locanaḥ : mit halb (Ardha) geschlossenen ("geöffneten", Unmilita) Augen (Lochana)
- sthira-manāḥ : mit reglosem (Sthira) Geist (Manas)
- nāsāgra-dattekṣaṇaḥ : (mit auf) die Spitze (Agra) der Nase (Nasa) gerichteten ("gegebenen", Datta) Augen (Ikshana)
- candrārkau : Mond (Chandra, den Fluss des Prana im Mondkanal) und Sonne (Arka, den Fluss des Prana im Sonnenkanal)
- api : auch (Api)
- līnatām : zur Auflösung (Linata)
- upanayan : bringend (upa + nī)
- nispanda-bhāvena : durch einen reglosen (Nispanda) Zustand (von Körper, Sinnen und Geist, Bhava)
- yaḥ : wer (meditiert, Yad)
- jyotī-rūpam : (in der) Form (Rupa eines) Lichtes (Jyotis)
- aśeṣa-bījam : den Samen (Bija) von allem (Ashesha)
- akhilam : (der selbst) vollständig (ist, Akhila)
- dedīpyamānam : überaus strahlend (dīp)
- param : die höchste (Para)
- tattvam : Wahrheit (Tattva)
- tat : jenen (unbeschreiblichen, Tad)
- padam : Ort, Zustand (Pada)
- eti : (dieser Yogin) erreicht ("geht zu", i)
- vastu : Sache, Realität (Vastu)
- paramam : die erhabenste, höchste (Parama)
- vācyam : wäre zu sagen (Vachya)
- kim : was (Kim)
- atra : hier (Atra)
- adhikam : (noch) mehr (Adhika)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit nispanda-bhāvena ("durch einen reglosen Zustand") die Reglosigkeit (Nishchala–tva) von Körper (Kaya), Sinnen (Indriya) und Geist (Manas) gemeint ist: nispanda-bhāvaḥ kāyendriya-manasāṃ niścala-tvam.
Kapitel 4 Vers 42 : Shambhavi Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- divā : bei Tage Diva
- na : nicht (Na)
- pūjayet : man verehre (pūj)
- liṅgam : das Linga ("Merkmal, Kennzeichen, männliches Glied")
- rātrau : bei Nacht (Ratri)
- ca : und (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- na : nicht
- pūjayet : (man) verehre
- sarvadā : immer (Sarvada)
- pūjayet : (man) verehre
- liṅgam : das (Linga)
- divā-rātri-nirodhataḥ : nach dem Anhalten (Nirodha-tas von) Tag (Diva und) Nacht (Ratri)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda legt dar, dass mit der Verehrung des Linga hier das Meditieren über das Selbst (Atman), die Ursache (Karana) von allem (Sarva), gemeint ist: liṅgaṃ sarva-kāraṇam ātmānam.
"Tag" (Diva) und "Nacht" (Ratri) beziehen sich jeweils auf das Fließen von Prana in Pingala und Ida. Wenn diese beiden Energieströme angehalten werden, d.h. Prana in (Antar) Sushumna gelangt (Gata) ist (suṣumnāntar-gate prāṇe), dann gewinnt der Geist (Manas) die zur Meditation über das Selbst nötige Ruhe und Festigkeit (Sthairya).
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 114 behandelt.
Kapitel 4 Vers 43 : Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- savya-dakṣiṇa-nāḍī-sthaḥ : befindlich (Stha in den beiden feinstofflichen Energie-)Kanälen (Nadi) links (Savya, d.h. in Ida) und rechts (Dakshina, d.h. in Pingala)
- madhye : in der Mitte (Madhya, d.h. in Sushumna)
- carati : fließt (car)
- mārutaḥ : (wenn) der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Maruta)
- tiṣṭhate : stellt sich mit Gewissheit ein ("entsteht, verweilt, ist beständig", sthā)
- khe-carī mudrā : Khechari Mudra (das "Siegel der im Luftraum Wandelnden")
- tasmin : an diesem (Tad)
- sthāne : Ort (Sthana)
- na : kein ("nicht ein", Na)
- saṃśayaḥ : Zweifel (Samshaya)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 44 : Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- iḍā-piṅgalayoḥ : von Ida und Pingala
- madhye : in der Mitte (Madhya)
- śūnyam : (wo) die Leere (Shunya, d.h. Sushumna)
- ca : und (Cha)
- eva : wahrlich (Eva)
- anilam : den Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Anila)
- graset : verschlingt, verschluckt (gras)
- tiṣṭhate : stellt sich mit Gewissheit ein ("entsteht, verweilt, ist beständig", sthā)
- khe-carī mudrā : Khechari Mudra (das "Siegel der im Luftraum Wandelnden")
- tatra : dort, an diesem (Ort, Tatra)
- satyam : (das ist) wahr (Satya)
- punaḥ punaḥ : wieder (und) wieder (Punar)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 45 : Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sūryā-candra-masoḥ : Sonne(nkanal, Surya bzw. Pingala) und Mond(kanal, Chandramas bzw. Ida)
- madhye : zwischen ("in der Mitte", Madhya)
- nirālambāntare : in dem Raum ("Zwischenraum", Antara) ohne Stützen (Niralamba)
- punaḥ : wiederum (Punar)
- saṃsthitā : sich befindet, ruht, erscheint (Samsthita)
- vyoma-chakre : in (diesem) Himmelsrund (Vyomachakra)
- yā : welches (Yad)
- sā : dieses (Tad)
- mudrā : Siegel (Mudra)
- nāma : (hat) den Namen (Naman)
- khe-carī : (Khechari, "die im Luftraum Wandelnde")
Erläuterungen
Brahmanandas Kommentar legt nahe, dass es sich hier um das Stirnzentrum handelt. Die Bezeichnung Vyomachakra ("Himmelsrund, Raumkreis") wird im 3. Kapitel (Vers 3.37) als ein Synonym für Khechari Mudra erwähnt. Brahmananda erklärt den Begriff mit "(in der) Gesamtheit (Samudaya) der Räume (Kha)" (khānāṃ … samudāye), "denn in der Mitte (Madhya) der Brauen (Bhru, also dem Ajna Chakra) ist das Zusammentreffen (Samanvaya) aller (Sarva) Räume (Kha)": bhrū-madhye sarva-khānāṃ samanvayāt.
Kapitel 4 Vers 46 : Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- somāt : vom Mond (Soma)
- yatra : bei deren (Ausführung, Yatra)
- uditā : herabfließt ("ausgeht", Udita)
- dhārā : ein Strom (von Nektar, Dhara)
- sākṣāt : (ist die) leibhaftige ("vor Augen" stehende, Sakshat)
- sā : diese ([[Khechari, Tad)
- śiva-vallabhā : Geliebte (Vallabha) Shivas
- pūrayet : man fülle (pṝ)
- atulām : die unvergleichliche (Atula)
- divyām : himmliche, göttliche (Divya)
- suṣumṇām : Sushumna
- paścime : im hinteren (Pashchima)
- mukhe : Mund(raum, Mukha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass die Sushumna (bzw. die Höhlung) im hinteren (Pashchima) Mundraum (Mukha) mit der Zunge (Jihva) "gefüllt" (pūrayet) wird: suṣumnāṃ paścime mukhe pūrayed jihvayā.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 76 behandelt.
Kapitel 4 Vers 47 : Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- purastāt : vorher (Purastat)
- ca : aber (Cha)
- eva : schon (Eva)
- pūryeta : man fülle (Sushumna mit Prana, pṝ)
- niścitā : die richtige ("festgelegte", Nishchita)
- khe-carī : Khechari
- bhavet : (nur dann) ist (es, bhū)
- abhyastā : (regelmäßig) geübt wird (Abhyasta)
- khe-carī mudrā : (wenn) Khechari Mudra (das "Siegel der im Luftraum Wandelnden")
- api : aber (Api)
- unmanī : (der Zustand) jenseits des Geistes (Unmani)
- samprajāyate : (dann) entsteht (sam + pra + jan)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass man, bevor man mit der Zunge die Sushumna (bzw. die Höhlung) im hinteren Mundraum füllt (vgl. die Anmerkung zu Vers 4.46 ), die Sushumna mit Prana füllen soll: pūryeta … suṣumnāṃ prāṇena. Anderenfalls handele es sich nicht um die "richtige" Khechari, weil das Siegel (Mudra) dann lediglich einen verwirrten (Mudha) Zustand (Avastha) bewirkt (Janika): mūḍhāvasthā-janikā.
Kapitel 4 Vers 48 : Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bhruvoḥ : den Augenbrauen (Bhru)
- madhye : zwischen ("in der Mitte", Madhya)
- śiva-sthānam : (ist) die Wohnstatt ("Stätte", Sthana) Shivas
- manaḥ : der Geist (Manas)
- tatra : dort (Tatra)
- vilīyate : wird absorbiert, löst sich auf, verschwindet (vi + lī)
- jñātavyam : ist zu erkennen, zu verstehen (Jnatavya)
- tat : dieser (Tad)
- padam : Zustand, Ort (Pada)
- turyam : (als) der vierte (Turya)
- tatra : dort
- kālaḥ : die Zeit, den Tod (Kala)
- na : nicht (Na)
- vidyate : es gibt (vid)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 50 behandelt.
Kapitel 4 Vers 49 : Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- abhyaset : (der Yogin) übe (abhi + as)
- khecarīm : Khechari (Mudra) (das "Siegel der im Luftraum Wandelnden")
- tāvat : so lange (Tavat)
- yāvat : bis ("wie", Yavat)
- syāt : (er) ist ("sei", as)
- yoga-nidritaḥ : im Schlaf (Nidrita) des Yoga
- samprāpta-yoga-nidrasya : (für den, der) erreicht hat (Samprapta) den Yoga-Schlaf (Yoga Nidra)
- kālaḥ : die Zeit, der Tod (Kala)
- na : nicht (Na)
- asti : existiert (as)
- kadā-cana : nicht mehr ("niemals", Kadachana)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda definiert an dieser Stelle Yoga als das "Aufhören (Nirodha) aller (Sarva) Fluktuationen (Vritti, d.h. des Geistes)": yogaḥ sarva-vṛtti-nirodhaḥ, vgl. auch Patanjalis Definition des Zustandes des Yoga (Yogasutra 1.2). Dieser Zustand wird hier als "yogischer Schlaf" (Yoganidra) bezeichnet.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 85 behandelt.
Kapitel 4 Vers 50: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nir-ālambam : (in einen) objektlosen ("stützenlosen" Zustand, Niralamba)
- manaḥ : den Geist (Manas)
- kṛtvā : nachdem (er) gebracht ("gemacht") hat (kṛ)
- na : nicht (Na)
- kiñ-cit : irgend etwas (Kinchid)
- api : auch (Api)
- cintayet : (er) denke (cint)
- saḥ : der (Yogin, Tad)
- bāhyābhyantare : außen (Bahya) und innen (Abhyantara)
- vyomni : im (leeren) Raum (Vyoman)
- ghaṭa-vat : wie (ein leerer) Topf (Ghata-vat)
- tiṣṭhati : ist ("befindet sich" dann, sthā)
- dhruvam : gewiss (Dhruva)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 51: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bāhya-vāyuḥ : der äußere (Bahya) Atem ("Wind", Vayu)
- yathā : wie (Yatha)
- līnaḥ : verschwunden ist (Lina)
- tathā : so (Tatha)
- madhyaḥ : (verschwindet der) innere ("mittlere" Atem, Madhya)
- na : kein ("nicht ein", Na)
- saṃśayaḥ : Zweifel (Samshaya)
- sva-sthāne : (an seinem) eigenen Ort (Svasthana)
- sthiratām : zur Unbeweglichkeit, Beständigkeit (Sthirata)
- eti : gelangt ("geht", i)
- pavanaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Pavana)
- manasā : dem Geist (Manas)
- saha : mit (Saha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass mit "an seinem (d.h. des Pranas) eigenen (Sva) Ort (Sthana)" das Brahmarandhra gemeint ist: svasya prāṇasya sthānaṃ brahma-randhram.
Kapitel 4 Vers 52: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- evam : so, auf diese Weise (Evam)
- abhyasyataḥ : (der Khechari Mudra) übt, praktiziert (abhi + as)
- tasya : für den (Tad)
- vāyu-mārge : auf dem Weg (Marga) des Windes (Vayu)
- divāniśam : Tag (Diva) und Nacht (Nisha)
- abhyāsāt : aufgrund des (regelmäßigen) Übens (Abhyasa)
- jīryate : sich auflöst ("verdaut wird", jṝ)
- vāyuḥ : (wo) der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind")
- manaḥ : (auch) der Geist (Manas)
- tatra : da, dort (Tatra)
- eva : eben (Eva)
- līyate : verschwindet, wird absorbiert (lī)
Erläuterungen
"Auf dem Weg (Marga) des Windes (Vayu)" bezieht sich laut Brahmananda auf den "Weg (Marga) des Prana", d.h. die Sushumna: vāyu-mārge prāṇa-mārge suṣumnāyām.
Brahmananda erklärt, dass tatra ("da, dort") auf das Zentrum der Konzentration (Adhara) bzw. Chakra verweist, wo (yatra) der "Lebenswind" (Vayu) bzw. das Prana sich auflöst (līyate). Ebenda (tatraiva) löst sich der Geist (Chitta) auf: yatra … ādhāre vāyuḥ prāṇo … līyate, tatraiva … cittaṃ līyate.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 99 behandelt.
Kapitel 4 Vers 53: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- amṛtaiḥ : mit Nektar (Amrita)
- plāvayet : (der Yogin) fülle ("überschwemme, bade", plu)
- deham : (seinen) Körper (Deha)
- ā-pāda-tala-mastakam : von (ā) den Fußsohlen (Pada–Tala]]) bis zum Kopf (Mastaka)
- sidhyati : (dadurch) kommt es ("erfolgt", sidh)
- eva : gewiss (Eva)
- mahā-kāyaḥ : (dass er) einen großartigen, außergewöhnlichen (Maha) Körper (bekommt, Kaya)
- mahā-bala-parākramaḥ : (sowie) außergewöhnliche (Maha) Kraft (Bala und) Kühnheit, Tapferkeit (Parakrama)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 54: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śakti-madhye : in die Mitte (Madhya der Kundalini-)Energie (Shakti)
- manaḥ : den Geist (Manas)
- kṛtvā : (indem man) bringt ("gemacht habend", kṛ)
- śaktim : (und die Kundalini-)Energie
- mānasa-madhya-gām : (veranlasst) einzugehen ("in die Mitte zu gehen", Madhyaga) in den Geist (das "Geistige", Manasa)
- manasā : mit dem Geist
- manaḥ : den Geist
- ālokya : (indem man) betrachtet (ā + lok)
- dhārayet : (man) meditiere ("halte im Bewusstsein", dhṛ)
- paramam : (über) den höchsten (Parama)
- padam : Ort, Zustand (Pada)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 55: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kha-madhye : in die Mitte (Madhya) des Raumes (Kha)
- kuru : bringe ("mache", kṛ)
- ca : und (Cha)
- ātmānam : (dein) Selbst (Atman)
- ātma-madhye : in die Mitte (Madhya) (deines) Selbstes
- ca : und
- kham : den Raum
- kuru : bringe ("mache")
- sarvam : alles (Sarva)
- ca : und
- kha-mayam : zu Raum ("aus Raum bestehend", Kha–Maya)
- kṛtvā : machend ("gemacht habend", kṛ)
- na : nicht (Na)
- kiñ-cit : irgend etwas (Kinchid)
- api : auch (Api)
- cintayet : man denke (cint)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert, dass mit "Raum" (Kha) hier das Brahman gemeint ist, welches wie (Iva) der (leere) Raum "erfüllt" (Purna) ist: kham iva pūrṇaṃ brahma. Zunächst solle man über die Formel "das Brahman bin ich" (brahmāham) meditieren: brahmāham iti bhāvayet. Dann meditiere man über "Ich bin das Brahman" (ahaṃ brahma). Schließlich soll man sogar (Api) die Meditation (Dhyana) aufgeben (pari + tyaj): dhyānam api parityajet.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 48 behandelt.
Kapitel 4 Vers 56: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- antaḥ : (der Yogin wird) innen (Antar)
- śūnyaḥ : leer (Shunya)
- bahiḥ : (und) außen (Bahis)
- śūnyaḥ : leer
- śūnyaḥ : (ein) leerer
- kumbhaḥ : Topf (Kumbha)
- iva : wie (Iva)
- ambare : im (leeren) Raum (Ambara)
- antaḥ : innen
- pūrṇaḥ : voll (Purna)
- bahiḥ : (und) außen
- pūrṇaḥ : voll
- pūrṇaḥ : (ein) voller
- kumbhaḥ : Topf
- iva : wie
- arṇave : im Meer, Ozean (Arnava)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der Yogin, der sich in Samadhi befindet (Samadhi-Nishtha), innen und außen leer (Shunya, d.h. vom Geist) ist, insofern der Geist (Antahkarana) weder sich selbst noch etwas anderes wahrnimmt, da es nichts mehr außer Brahman gibt. Daher ist (bhavati) ein solcher Yogin innen und außen vom Brahman erfüllt (Purna): samādhi-niṣṭho yogī brahma-pūrṇo bhavati.
Kapitel 4 Vers 57: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bāhya-cintā : Denken (Chinta) an äußere (Dinge, Bahya)
- na : nicht (Na)
- kartavyā : sollte stattfinden ("gemacht werden", Kartavya)
- tathā : genau so (Tatha)
- eva : ganz (Eva)
- āntara-cintanam : Denken (Chintana) an innerliche (Dinge, Antara)
- sarva-cintām : alles (Sarva) Denken
- parityajya : aufgebend (Parityaga)
- na : nicht
- kiñ-cit : irgend etwas (Kinchid)
- api : auch (Api)
- cintayet : man denke (cint)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 58: Khechari Mudra
Versmaß: Vasantatilaka
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- saṅkalpa-mātra-kalanā : (ist) ein Werk (Kalana) bloßer (Matra) Vorstellung(en, Sankalpa)
- eva : gewiss (Eva)
- jagat : Welt (Jagat)
- samagram : (die) ganze (Samagra)
- saṅkalpa-mātra-kalanā : (ist) ein Werk bloßer (Vorstellung(en)
- eva : gewiss
- mano-vilāsaḥ : das Spiel, Treiben (Vilasa) des Geistes (Manas)
- saṅkalpa-mātra-matim : das Denken, Verlangen (in bezug auf all das was beruht auf, Mati) bloßen Vorstellung(en)
- utsṛja : gib auf ("wirf fort", ut + sṛj)
- nir-vikalpam : (dem, was) keinem Wechsel, Wandel (unterliegt, Nirvikalpa)
- āśritya : (dich ganz) hingebend ("stützend, ā + śri)
- niścayam : sicheren, gewissen (Nishchaya)
- avāpnuhi : erlange (ava + āp)
- rāma : oh Rama
- śāntim : inneren Frieden (Shanti)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es sich bei dem, was "keinem Wechsel" unterliegt bzw. was frei von Vorstellungen (Vikalpa) jeder Art ist, um das Selbst (Atman) handelt: nirvikalpaḥ ātmā.
Diesen Vers spricht laut Brahmananda (im Yoga Vasishtha 3.101.39) der Weise Vasishtha zu Rama. Vielleicht verweist mit diesem Zitat Svatmarama, der Autor der Hatha Yoga Pradipika, in Anspielung auf seinen eigenen Namen Svātmārāma auf eine ähnlich lautende Unterweisung seines eigenen Lehrers (der ihn verkürzend mit Rāma anspricht).
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 47 behandelt.
Kapitel 4 Vers 59: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- karpūram : Kampfer (Karpura)
- anale : im Feuer (Anala)
- yad-vat : so wie (Yadvat)
- saindhavam : Steinsalz (Saindhava)
- salile : im Wasser (Salila)
- yathā : wie (Yatha)
- tathā : genau so (Tatha)
- sandhīyamānam : (wenn er) in Kontakt kommt ("verbunden werdend", sam + dhā)
- ca : auch (Cha)
- manaḥ : der Geist (Manas)
- tattve : in der (höchsten) Realität (Tattva)
- vilīyate : verschwindet, löst sich auf (vi + lī)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit der (höchsten) Realität (Tattva) das Selbst (Atman) gemeint ist. Der Geist (Manas) wird in der Meditation auf das Selbst (Atman) ausgerichtet (sandhīyamāna) und löst sich in dieses auf: tattve ātmani sandhīyamānaṃ … mano vilīyate.
Der Begriff Tattva wird in Kapitel 4 Vers 3 auch als ein Synonym für Samadhi aufgelistet, dem das Verb sam + ā + dhā "verbinden, zusammenstellen" zugrunde liegt (vgl. sandhīyamāna vom Verb sam + dhā).
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 60 behandelt.
Kapitel 4 Vers 60: Khechari Mudra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jñeyam : (was) erfahren, gewusst werden kann (Jneya)
- sarvam : alles (Sarva)
- pratītam : (was) erfahren, gewusst worden ist (Pratita)
- ca : und (Cha)
- jñānam : (der Akt des) Erkennens, Erfahrens, Wissen (Jnana)
- ca : und
- manaḥ : Geist (Manas)
- ucyate : wird genannt (vac)
- jñānam : (der Akt des) Erkennens, Erfahrens, Wissen
- jñeyam : (und dem, was) erfahren, gewusst werden kann
- samam : samt (dem Geist, Sama)
- naṣṭam : (sobald) verschwunden ist (Nashta)
- na : nicht (bleibt übrig, Na)
- anyaḥ : ein anderer (Anya)
- panthā : Weg (Pantha)
- dvitīyakaḥ : zweiter (Dvitiyaka)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es dann keine Objekte (Vishaya) für den Geist (Manas) mehr gibt (Na asti) und damit nichts anderes, "zweites" (Dvitiyaka), was noch wahrgenommen werden könnte. Dies ist das Ende der "Zweiheit" bzw. Dualität (Dvaita): dvitīyakaḥ panthā mano-viṣayo nāsti, dvaitaṃ nāsti.
Kapitel 4 Vers 61:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mano-dṛśyam : (ist ein durch den) Geist (Manas) sichtbares, erschaubares, wahrnehmbares (Objekt, Drishya)
- idam : diese (Idam)
- sarvam : ganze (Welt, Sarva)
- yat : was (Yad)
- kiñ-cit : auch immer ("irgend etwas", Kinchid)
- sa-carācaram : samt (Sa) den beweglichen (Chara) und unbeweglichen (Dingen, Achara)
- manasaḥ : des Geistes
- hi : denn (Hi)
- unmanī-bhāvāt : aufgrund des Zustandes (Bhava) "jenseits des Geistes" (Unmani)
- dvaitam : die Dualität ("Zweiheit", Dvaita)
- na : nicht (mehr, Na)
- eva : gewiss, gar (Eva)
- upalabhyate : wird wahrgenommen (upa + labh)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 71 behandelt.
Kapitel 4 Vers 62:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jñeya-vastu-parityāgāt : aufgrund des Aufgebens (Parityaga) der wissbaren, erfahrbaren, erkennbaren (Jneya) Dinge (Vastu)
- vilayam : zur Auflösung (Vilaya)
- yāti : gelangt ("geht", yā)
- mānasam : der Geist (das "Geistige", Manasa)
- manasaḥ : des Geistes (Manas)
- vilaye : die Auflösung
- jāte : (sobald) entstanden ist (Jata)
- kaivalyam : absolute Freiheit ("Alleinsein, Ganzsein", Kaivalya)
- avaśiṣyate : bleibt übrig (ava + śiṣ)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt den aus dem Yogasutra stammenden Begriff Kaivalya hier als den "Zustand (Bhava) des Selbstes (Atman), welches allein bzw. ganz (Kevala) ist": kaivalyaṃ kevalasyātmano bhāvaḥ.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 37 behandelt.
Kapitel 4 Vers 63:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- evam : so, in dieser Weise (Evam)
- nānā-vidhopāyāḥ : (bestehend aus) Mitteln, Methoden, Techniken (Upaya) verschiedener (Nana) Art (Vidha)
- samyak-svānubhavānvitāḥ : vollständig, richtig, zutreffend (Samyak ihrer) eigenen (Sva) Erfahrung (Anubhava) folgend (Anvita)
- samādhi-mārgāḥ : die Wege (Marga) zur Versenkung (Samadhi)
- kathitāḥ : wurden gelehrt (Kathita)
- pūrvācāryaiḥ : (von den) früheren (Purva) Lehrern, Meistern (Acharya)
- mahātmabhiḥ : (deren) Seele, Geist (Atman) groß, gewaltig (war, Maha)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 64:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- suṣumṇāyai : der Sushumna
- kuṇḍalinyai : der Kundalini
- sudhāyai : dem Nektar (Sudha)
- candra-janmane : (dessen) Ursprung ("Geburt", Janman) der Mond (Chandra ist)
- manonmanyai : dem "geistloser Zustand des Geistes" (genannten Zustand, Manonmani)
- namaḥ : Verehrung, Verbeugung (Namas)
- tubhyam : (sei) dir (Tvad)
- mahā-śaktyai : der großen Kraft, Energie (Mahashakti)
- cid-ātmane : (deren) Wesen (Atman reines) Bewusstsein (ist, Chit)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 65:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- aśakya-tattva-bodhānā : (denen) die Erkenntnis (Bodha der höchsten) Wahrheit (Tattva noch) unmöglich (ist, Ashakya)
- mūḍhānām : von den Ungebildeten ("Törichten", Mudha)
- api : sogar (Api)
- saṃmatam : geehrt, geschätzt, anerkannt (Sammata)
- proktam : (ursprünglich) gelehrt (Prokta)
- gorakṣa-nāthena : von Meister Goraksha ("Kuhhirt", Goraksha Natha)
- nādopāsanam : die Konzentration (das "Üben, Verehren", Upasana auf den inneren) Klang (Nada)
- ucyate : (nun) wird erklärt (vac)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass es sich hierbei um die Konzentration (Upasana) auf den "unangeschlagenen" (Anahata) Klang (Dhvani) handelt: nādasyānāhata-dhvaner upāsanam.
Kapitel 4 Vers 66:
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śrī-ādi-nāthena : vom erhabenen, ehrwürdigen (Shri), dem uranfänglichen Meister (Adinatha, d.h. Shiva)
- sa-pāda-koṭi-laya-prakārāḥ : 12 500 000 ("eineinviertel 10 Millionen", Sa–Pada–Koti) Arten (Prakara) der Auflösung (des Geistes, Laya)
- kathitāḥ : (welche) gelehrt wurden (Kathita)
- jayanti : (sind) erfolgreich ("siegen", ji)
- nādānusandhānakam : die Konzentration, das Richten der Aufmerksamkeit (Anusandhana) auf den (inneren) Klang (Nada)
- ekam : allein, einzig (Eka)
- eva : ganz, gewiss, wahrlich (Eva)
- manyāmahe : halten wir (man)
- mukhya-tamam : (für) die allerbeste, vorzüglichste ("erste", Mukhya)
- layānām : (aller Methoden zur) Auflösung (Laya des Geistes)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 57 behandelt.
Kapitel 4 Vers 67:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mukta-āsane : im befreiten, gelösten Sitz (Muktasana)
- sthitaḥ : sitzend ("befindlich", Sthita)
- yogī : der Yogin
- mudrām : das Siegel (Mudra)
- sandhāya : einnehmend ("zusammengesetzt habend", sam + dhā)
- śāmbhavīm : (namens) Shambhavi
- śṛṇuyāt : lausche (śru)
- dakṣiṇe : im rechten (Dakshina)
- karṇe : Ohr (Karna)
- nādam : Klang (Nada)
- antaḥ–stham : auf den im Inneren befindlichen (Antahstha)
- eka-dhīḥ : konzentriert ("eines Geistes", Eka–Dhi)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es sich bei Muktasana um (eine Form von) Siddhasana handelt: muktāsane siddhāsane.
Der "im Inneren befindliche (Antahstha) Klang (Nada)", den man im rechten (Dakshina) Ohr (Karna) hört, befindet sich laut Brahmananda in Sushumna-Nadi: suṣumnā-nāḍyām.
Kapitel 4 Vers 68:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śravaṇa-puṭa-nayana-yugala-ghrāṇa-mukhānām : der Löcher (Puta) der Ohren (Shravana), der zwei ("Paar", Yugala) Augen (Nayana), der Nase(nlöcher, Ghrana und) des Mundes (Mukha)
- nirodhanam : das Verschließen ("Versperren", Nirodhana)
- kāryam : ist auszuführen (Karya)
- śuddha-suṣumṇā-saraṇau : im Kanal ("Weg", Sarani) der gereinigten (Shuddha) Sushumna
- sphuṭam : deutlich (Sphuta)
- amalaḥ : ein reiner, makelloser (Amala)
- śrūyate : wird gehört (śru)
- nādaḥ : Klang (Nada)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass der Kanal (Sarani) der Sushumna durch Pranayama rein (Shuddha), d.h. frei (Rahita) von Unreinheiten (Mala), wird: śuddhā prāṇāyāmair mala-rahitā yā suṣumnā-saraṇiḥ.
Kapitel 4 Vers 69:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ārambhaḥ : "Beginn, Anfang" (Arambha, d.h. Arambha Avastha)
- ca : und (Cha)
- ghaṭaḥ : "Topf" (Ghata, d.h. Ghata Avastha)
- ca : und
- eva : wahrlich (Eva)
- tathā : ebenso (Tatha)
- paricayaḥ : "Vertrautheit, Anhäufung" (Parichaya, d.h. Parichaya Avastha)
- api : auch (Api)
- ca : und
- niṣpattiḥ : "Vollendung, Vollkommenheit" (Nishpatti, d.h. Nishpatti Avastha)
- sarva-yogeṣu : bei allen (Sarva) Yoga(techniken)
- syāt : ist ("sei", as)
- avasthā-catuṣṭayam : die Vierergruppe (Chatushtaya) der Zustände (Avastha)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 70:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- brahma-grantheḥ : des Brahma-Knotens (Brahma Granthi)
- bhavet : (wenn erfolgt) ist (bhū)
- bhedaḥ : das Durchstoßen (Bheda)
- hi : gewiss (Hi)
- ānandaḥ : (dann entsteht) Glückseligkeit (Ananda)
- śūnya-sambhavaḥ : deren Ursprung (Sambhava) die Leere (ist, Shunya)
- vicitraḥ : verschiedenartiges (Vichitra)
- kvaṇakaḥ : Geklingel (von Glöckchen und ähnlichem Schmuck, Kvanaka)
- dehe : im Körper (Deha)
- anāhataḥ : (und) der unangeschlagene (Anahata)
- śrūyate : (dann) wird gehört (śru)
- dhvaniḥ : Klang, Ton (Dhvani)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmanandaerklärt, dass das Durchstoßen (Bheda) des Knotens Brahmas (Brahma Granthi), der sich im Herzchakra (Anahata Chakra) befindet (Vartamana), durch das Praktizieren (Abhyasa) von Pranayama geschieht: brahma-granther anāhata-cakre vartamānāyā bhedaḥ prāṇāyāmābhyāsena.
Kapitel 4 Vers 71:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- divya-dehaḥ : einer, dessen Körper (Deha) göttlich, himmlich (ist, Divya)
- ca : und (Cha)
- tejasvī : strahlend, leuchtend (ist, Tejasvin)
- divya-gandhaḥ : einer, dessen Geruch, Duft (Gandha) göttlich, himmlich (ist)
- tu : aber (Tu)
- arogavān : gesund (der "keine Kranhkeit hat", Arogavat)
- sampūrṇa-hṛdayaḥ : einer, dessen) Herz (Hridaya) erfüllt ist (Sampurna)
- śūnye : in der Leere (Shunya, d.h. des Anahata Chakra)
- ārambhe : (wenn) am Anfang (der Ton gehört wird, Arambha)
- yogavān : der [[Yogin (der "über Yoga verfügt", Yogavat)
- bhavet : (dann) wird (bhū)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass dann das Herz (Hridaya) dieses (yasya Yogins) mit dem "Lebenswind" (Prana-Vayu) und Glückseligkeit (Ananda) völlig (Samyak) erfüllt (Purna) istsampūrṇa-hṛdayaḥ prāṇa-vāyunā samyak pūrṇaṃ hṛdayaṃ yasya … ānandena.
Brahmananda verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Begriff Shunya („Leere“) sich hier auf den Raum im Herzen (Hrid Akasha, d.h. Anahata Chakra) bezieht. Des weiteren bedeutet Atishunya (vgl. Vers 73) den Raum im Kehlzentrum (Vishuddhi Akasha, d.h. Vishuddhi Chakra) sowie Mahashunya (vgl. Vers 74) den Raum in der Mitte der Augenbrauen (Bhrumadhya Akasha, d.h. Ajna Chakra).
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 82 behandelt.
Kapitel 4 Vers 72:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dvitīyāyām : im zweiten (Zustand, Dvitiya)
- ghaṭī-kṛtya : nachdem er (mit Apana) vereinigt worden ist]] (Ghata + kṛ)
- vāyuḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Vayu)
- bhavati : wird (zu einem, bhū)
- madhya-gaḥ : der in das mittlere (Chakra) strömt ("geht", Madhyaga)
- dṛḍhāsanaḥ : dessen Körperstellung ("Sitz", Asana) fest (ist, Dridha)
- bhavet : wird (zu einem, bhū)
- yogī : der Yogin
- jñānī : weise (Jnanin, "einer, der Jnana hat")
- deva-samaḥ : der den Göttern (Deva) gleicht (Sama)
- tadā : dann (Tada)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der (Lebens-)wind (Vayu) bzw. Prana nun den Apana sowie Nada und Bindu mit (Saha) sich (Atman) vereinigt (Eki + kṛ): vāyuḥ prāṇaḥ ghaṭīkṛtya ātmanā sahāpānaṃ nādabindū caikīkṛtya.
Brahmananda erläutert, dass [[Prana dann in das Zentrum im Bereich (Sthana) der Kehle (Kantha, also Vishuddhi Chakra) gelangt (Gata), welches auch als "mittleres Chakra" (Madhya Chakra, vgl. Kap. 3 Vers 73) bezeichnet wird: madhya-go madhya-cakra-gataḥ kaṇṭha-sthāne madhya-cakram.
Kapitel 4 Vers 73:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- viṣṇu-grantheḥ : des Vishnu-Knotens (Vishnu Granthi)
- tataḥ : danach, daraufhin (Tatas)
- bhedāt : durch das Durchstoßen (Bheda)
- paramānanda-sūcakaḥ : ein Anzeichen ("Verkünder", Suchaka) für (bevorstehende) höchste (Parama) Glückseligkeit (Ananda)
- ati-śūnye : in der außerordentlichen Leere (Atishunya)
- vimardaḥ : ein Stampfen, Gedröhn (Vimarda)
- ca : und (Cha)
- bherī-śabdaḥ : (wie) der Klang (Shabda) von Kesselpauken (Bheri)
- tadā : dann (Tada)
- bhavet : entsteht ("wird", bhū)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass sich der “Knoten Vishnus” in der Kehle (Kantha, also im Vishuddhi Chakra) befindet (Vartamanaya): viṣṇu-grantheḥ kaṇṭhe vartamānāyāḥ.
Der Begriff [[Atishunya bezeichnet laut Brahmananda den Raum (Avakasha) in der Kehle (Kantha) bzw. im Vishuddhi Chakra: atiśūnye kaṇṭhāvakāśe (vgl. auch die Anm. zu Vers 71).
Kapitel 4 Vers 74:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tṛtīyāyām : im dritten (Zustand, Tritiya)
- tu : aber (Tu)
- vijñeyaḥ : wird erfahren (Vijneya)
- vihāyo-mardala-dhvaniḥ : der Klang (Dhvani) einer Trommel (Mardala) im Raum (zwischen den Augenbrauen, Vihayas)
- mahā-śūnyam : in die große Leere (Mahashunya)
- tadā : dann (Tada)
- yāti : gelangt (Prana, yā)
- sarva-siddhi-samāśrayam : den Sitz, Ort ("Wohnstatt", Samashraya) aller (Sarva) Vollkommenheiten, übernatürlicher Fähigkeiten (Siddhi)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich der "leere Raum" (Vihayas) und die "große Leere" (Mahashunya) auf den "leeren Raum zwischen den Augenbrauen" (Bhrumadhya Akasha) beziehen, also das Ajna Chakra: vihāyasi bhrū-madhyākāś ... mahā-śūnyaṃ bhrū-madhyākāśaṃ.
Kapitel 4 Vers 75:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- cittānandam : die (aus dem Hören der verschiedenen Klänge resultierende) Glückseligkeit (Ananda) des Geistes (Chitta)
- tadā : dann (Tada)
- jitvā : nachdem (der Yogin) überwunden ("besiegt") hat (ji)
- sahajānanda-sambhavaḥ : entsteht ("ist die Entstehung", Sambhava) die natürliche ("angeborene, Sahaja) Glückseligkeit (Ananda)
- doṣa-duḥkha-jarā-vyādhi-kṣudhā-nidrā-vivarjitaḥ : (der Yogin wird) frei ("verlassen", Vivarjita) von Schmerz, Leid (Duhkha enstanden aus einer Störung der drei) Doshas ("Fehler"), Alter (Jara), Krankheit (Vyadhi), Hunger (Kshudha und übermäßigem) Schlaf, Schläfrigkeit (Nidra)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass das Überwinden der "Glückseligkeit des Geistes" (Chitta–Ananda) sich auf das Empfinden von "Glück (Sukha), entstanden aus den Fluktuationen (Vritti) des Geistes (Antahkarana) aufgrund des Wahrnehmens der Sinnesobjekte (Vishaya) in Form der verschiedenen Klänge (Nada)" bezieht: cittānandaṃ nāda-viṣayāntaḥ-karaṇa-vṛtti-janyaṃ sukhaṃ.
Kapitel 4 Vers 76:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rudra-granthim : den Rudra-Knoten (Rudra Granthi)
- yadā : wenn (Yada)
- bhittvā : nachdem er durchstoßen hat (bhid)
- śarva-pīṭha-gataḥ : zum Sitz (Pitha) Shivas (Sharva) gelangt ist (Gata)
- anilaḥ : der Lebenshauch, Atem, Prana ("Wind", Anila)
- niṣpattau : im (Zustand der) Vollendung (Nishpatti)
- vaiṇavaḥ : einer Flöte (Vainava)
- śabdaḥ : der Klang (Shabda)
- kvaṇad-vīṇā-kvaṇaḥ : (bzw.) der Klang (Kvana) einer tönenden (kvaṇ) Vina (eines Saiteninstrumentes)
- bhavet : ertönt ("wird sein", bhū)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich der "Knoten Rudras" (Rudra Granthi) im Ajna Chakra befindet. Dieser Ort (Sthana) ist der "Sitz" (Pitha) Shivas bzw. des "Herrn" (Ishvara) und liegt zwischen den Augenbrauen (Bhrumadhya): ājñā-cakre rudra-granthiḥ ... īśvarasya pīṭhaṃ sthānaṃ bhrū-madhyam.
Kapitel 4 Vers 77:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ekī-bhūtam : eins (mit seinem Meditationsobjekt) geworden (Eki–Bhuta)
- tadā : dann (Tada)
- cittam : (ist) der Geist (Chitta)
- rāja-yogābhidhānakam : das nennt man ("hat die Bezeichnung", Abhidhanaka) königlicher Yoga (Rajayoga)
- sṛṣṭi-saṃhāra-kartāsau : Schöpfung (Srishti) und Auflösung (Samhara) bewirkt ("ist der Macher", Kartri)
- asau : dieser (Asau)
- yogī : Yogin
- īśvara-samaḥ : gleich, vergleichbar (Sama) dem Herrn (Ishvara)
- bhavet : er wird (bhū)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der Geist (Chitta) in diesem (tasyām) Zustand (Avastha) eins (Eka) mit seinem Meditationsobjekt (Vishaya) geworden (Bhuta) ist: tasyām avasthāyāṃ cittam ... ekī-bhūtam eka-viṣayī-bhūtam.
Dieser Zustand des Geistes (Chitta) wird auch Rajayoga bzw. Ekagrata ("Einpünktigkeit des Geistes") genannt: cittasya ekāgratā ... rāja-yogaḥ.
Der Ausdruck Rajayoga wird in Kap. 4 Vers 3 neben Samadhi und Turiya als ein Synonym für den höchsten Zustand (Param Padam) aufgezählt, meint hier also nicht das philosophische System des Yogasutra (vgl. auch Vers 80 dieses Kapitels).
Kapitel 4 Vers 78:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- astu : es mag geben ("sein, existieren", as)
- vā : oder (Va)
- mā : nicht (Ma)
- astu : es mag geben ("sein, existieren")
- vā : oder
- muktiḥ : Befreiung, Erlösung (Mukti)
- atra : hier, in diesem (Zustand, Atra)
- eva : wahrlich (Eva)
- akhaṇḍitam : (existiert) ungebrochene, ungestörte (Akhandita)
- sukham : Freude, Wonne, Seligkeit (Sukha)
- layodbhavam : (hat seinen) Ursprung (Udbhava) in der Absorption, Auflösung (des Geistes, Laya)
- idam : dieser (Idam)
- saukhyam : wonnevolle (Zustand, Saukhya)
- rāja-yogāt : aufgrund (des Zustandes namens) königlicher Yoga (Rajayoga)
- avāpyate : wird erreicht, erlangt (ava + āp)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 79:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- rāja-yogam : den königlichen Yoga (Rajayoga)
- ajānantaḥ : diejenigen, die nicht (a-) kennen, erfahren (jñā)
- kevalam : nur, lediglich (Kevala)
- haṭha-karmiṇaḥ : die Hatha(-Yoga) praktizieren (Karmin)
- etān : diese (Etad)
- abhyāsinaḥ : Praktizierenden (Abhyasin)
- manye : ich halte für (man)
- prayāsa-phala-varjitān : welche, die den Erfolg (die "Frucht", Phala ihrer) Bemühungen, Anstrengungen (Prayasa) verfehlen ("verfehlt haben", Varjita)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 62 behandelt.
Kapitel 4 Vers 80:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- unmany-avāptaye : für das Erreichen (Avapti des Zustandes) jenseits des Geistes (Unmani)
- śīghram : auf schnelle Weise, Shighra)
- bhrū-dhyānam : die Meditation, Konzentration (Dhyana auf das Zentrum zwischen den) Augenbrauen (Bhru)
- mama : von mir (Mama, d.h. von Svatmarama)
- saṃmatam : ist (hoch-)geschätzt (Sammata)
- rāja-yoga-padam : den Zustand (Pada) des königlichen Yoga (Rajayoga)
- prāptum : zu erreichen (pra + āp)
- sukhopāyaḥ : (dies ist ein) einfaches ("bequemes, angenehmes", Sukha) Mittel (Upaya)
- alpa-cetasām : für (diejenigen, deren Fähigkeiten des) Intellekts (Chetas) gering (sind, Alpa)
- sadyaḥ : sofort (Sadyas)
- pratyaya-sandhāyī : der eine (unmittelbare) Erfahrung ("Einsicht, Vorstellung", Pratyaya) verleiht ("verbindet mit", Sandhayin)
- jāyate : es gibt ("entsteht", jan)
- nāda-jaḥ : geboren (Ja) aus (der Konzentration auf den inneren) Klang (Nada)
- layaḥ : (einen Zustand der) Auflösung, Absorption (Laya)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit bhrū-dhyānam die Konzentration (Dhyana) auf das Zentrum zwischen (Madhya) den Augenbrauen (Bhru), also auf Ajna Chakra gemeint ist: bhrū-madhye dhyānam.
Brahmananda definiert hier Rajayoga als den "König (Rajan) unter den Yoga(methoden)", der wiederum ein Zustand (Pada, Avastha) ist, der auch Turya genannt (Akhya) wird: yogānāṃ rājā tad eva padaṃ rāja-yoga-padaṃ turyāvasthākhyam.
Die Begriffe Unmani, Rajayoga und Laya sind in diesem Vers synonym. Sie werden in HYP 4.3 als Synonyme für den Zustand des Samadhi erwähnt.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 93 behandelt.
Kapitel 4 Vers 81:
Versmaß: Indravajra
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nādānusandhāna-samādhi-bhājām : denen die Versenkung (Samadhi) (aufgrund der) Konzentration, Ausrichtung der Aufmerksamkeit (Anusandhana) auf den (inneren) Klang (Nada) zuteil wird (Bhaj)
- yogīśvarāṇām : der Fürsten ("Herren", Ishvara) unter den Yogins
- hṛdi : im Herzen (Hrid)
- vardhamānam : welche sich ausbreitet ("wächst", Vardhamana)
- ānandam : Glückseligkeit (Ananda)
- ekam : (diese) einzigartige (Eka)
- vacasām : der Sprache ("Worten", Vachas)
- agamyam : unzugängliche (Agamya)
- jānāti : kennt (jñā)
- tam : diese (Glückseligkeit, Tad)
- śrī-guru-nāthaḥ : der erhabene, verehrungswürdige (Shri) Meister, Lehrer (Guru) der ein Beschützer (Natha) ist
- ekaḥ : einzig, allein (Eka)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda definiert an dieser Stelle Samadhi ("Versenkung") als die "Einspitzigkeit (Aikagrya) des Geistes" (Chitta), also die uneingeschränkte bzw. ausschließliche Aufmerksamkeit auf einen Punkt (Ekagrata) bzw. ein Meditationsobjekt, was sich hier auf den inneren Klang (Nada) bezieht: samādhiś cittaikāgryam.
Kapitel 4 Vers 82:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- karṇau : beide Ohren (Karna)
- pidhāya : wenn er verschließt ("verschlossen habend" pi + dha)
- hastābhyām : mit beiden Händen (Hasta)
- yam : welchen (Yad)
- śṛṇoti : hört (śru)
- dhvanim : den Klang, Ton (Dhvani)
- muniḥ : der weise (Yogin, Muni)
- tatra : auf diesen (Tatra)
- cittam : (seinen) Geist (Chitta)
- sthirī-kuryāt : er richte aus ("mache fest", Sthiri + kṛ)
- yāvat : bis (Yavat)
- sthira-padam : den unbeweglichen, reglosen ("festen", Sthira) Zustand (Pada)
- vrajet : er erlangt (geht", vraj)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda : erläutert, dass das Verschließen (pidhāya) der Ohren (Karna) mit den Daumen (Angushtha) beider Hände (Hasta) geschieht: hastāṅguṣṭhau ... tābhyāṃ karṇau ... pidhāya.
Der "unbewegliche Zustand" (Sthirapada) ist laut Brahmananda der sogenannte (Akhya) vierte" (Turya) Zustand (des Geistes): sthira-padaṃ turyākhyam.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 109 behandelt.
Kapitel 4 Vers 83:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- abhyasyamānaḥ : (wenn in der Meditation) gehört ("geübt") wird (abhi + as)
- nādaḥ : (innere unangeschlagene) Klang (Nada)
- ayam : dieser (Ayam)
- bāhyam : die äußeren (Bahya)
- āvṛṇute : (dann) verdeckt er (ā + vṛ)
- dhvanim : Geräusche ("Ton", Dhvani)
- pakṣāt : nach 15 Tagen, einer Monatshälfte (Paksha)
- vikṣepam : Zerstreutheit (Vikshepa)
- akhilam : sämtliche (Akhila)
- jitvā : (so) überwunden ("besiegt") habend (ji)
- yogī : der Yogin
- sukhī : glücklich, glückselig (Sukhin)
- bhavet : wird (bhū)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 59 behandelt.
Kapitel 4 Vers 84:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śrūyate : wird gehört (śru)
- prathamābhyāse : zu Beginn ("beim ersten", Prathama) der Praxis, des Übens (Abhyasa)
- nādaḥ : Klang (Nada)
- nānā-vidhaḥ : verschiedener (Nana) Art (Vidha)
- mahān : ein mächtiger, gewaltiger (Mahat)
- tataḥ : danach (Tatas)
- abhyāse : (wenn) die Praxis (Abhyasa)
- vardhamāne : gedeiht, sich entwickelt, erfolgreich ist (Vardhamana)
- śrūyate : wird gehört
- sūkṣma-sūkṣmakaḥ : ein immer feiner (werdender Klang, Sukshma)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 85:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ādau : am Anfang (werden Töne gehört, Adi)
- jaladhi-jīmūta-bherī-jharjhara-sambhavāḥ : (ähnlich den Klängen) entspringend ("deren Ursprung ist", Sambhava) dem Ozean (Jaladhi), der Gewitter-)Wolke (Jimuta) der Kesselpauke (Bheri und) der Jharjhara (genannten Trommel)
- madhye : im mittleren (Stadium hört man Klänge, Madhya)
- mardala-śaṅkhotthāḥ : (ähnlich denen, die aus der) Mardala (genannten Trommel) (und dem) Muschelhorn (Shankha) ertönen ("entstanden sind", Uttha)
- ghaṇṭā-kāhala-jāḥ : (die aus der) Glocke (Ghanta) und dem Horn (Kahala) erklingenden ("geborenen" Klänge, Ja)
- tathā : und, ebenso (Tatha)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "am Anfang" (ādau) der Zeitpunkt (Samaya) gemeint ist, wo (Prana-)Vayu das Brahmarandhra erreicht (Gamana): ādau vāyor brahma-randhra-gamana-samaye.
Dieser Vers wird im folgenden Vers fortgesetzt, die Verse 4.85 und 86 bilden somit eine syntaktische Einheit.
Kapitel 4 Vers 86:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ante : am Ende (Anta)
- tu : aber (Tu)
- kiṅkiṇī-vaṃśa-vīṇā-bhramara-niḥsvanāḥ : die Töne, Klänge, Geräusche (Nihsvana) eines Glöckchens (Kinkini), einer Rohrflöte (Vamsha), einer Vina (oder) einer Biene (Bhramara)
- iti : so (wie, Iti)
- nānā-vidhāḥ : verschiedener (Nana) Art (Vidha)
- nādāḥ : Klänge (Nada)
- śrūyante : werden gehört (śru)
- deha-madhya-gāḥ : die sich in der Mitte des Körpers (Deha) befinden ("gehen", Madhyaga)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 87:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mahati : (wenn) ein mächtiger, gewaltiger (Mahat)
- śrūyamāṇe : gehört wird (śru)
- api : auch, selbst (Api)
- megha-bhery-ādike : (wie von einer Gewitter-)Wolke (Megha), einer Kesselpauke (Bheri) usw. ("zum Anfang habend", Adika)
- dhvanau : Ton, Klang (Dhvani)
- tatra : bei diesen (verschiedenen Klängen, Tatra)
- sūkṣmāt : als subtil, fein (ist, Sukshma)
- sūkṣma-taram : der subtiler, feiner (Sukshma + tara)
- nādam : auf den Klang (Nada)
- eva : nur (Eva)
- parāmṛśet : man soll achten, die Aufmerksamkeit richten (parā + mṛś)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 55 behandelt.
Kapitel 4 Vers 88:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ghanam : den tiefen, gewaltigen (Ghana)
- utsṛjya : nachdem (der Geist) verlassen hat (ud + sṛj)
- vā : entweder ("oder", Va)
- sūkṣme : beim hohen, subtilen (Klang, Sukshma)
- sūkṣmam : den hohen, subtilen (Klang)
- utsṛjya : nachdem (der Geist) verlassen hat
- vā : oder
- ghane : beim tiefen (Klang)
- ramamāṇam : (wenn) er verweilt, ruht, sich ergötzt (ram)
- api : sogar, auch, selbst (Api)
- kṣiptam : den zur Zerstreuung neigenden ("zerstreuten", Kshipta)
- manaḥ : Geist (Manas)
- na : nicht (Na)
- anyatra : auf ein anderes Objekt ("anderswohin", Anyatra)
- cālayet : man soll abschweifen lassen ("bewegen", cal)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 89:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- yatra kutrāpi : auf welchen (Yatra) auch immer ("wo auch" Kutra Api)
- vā : oder (Va)
- nāde : Klang (Nada)
- lagati : sich richtet ("haften bleibt", lag)
- prathamam : zuerst (Prathama)
- manaḥ : der Geist (Manas)
- tatra : bei diesem ("dort", Tatra)
- eva : genau (Eva)
- su-sthirī-bhūya : wenn er (anhaltend) fixiert ("sehr fest", (Susthira) ist (bhū)
- tena : diesem (Klang, Tad)
- sārdham : mit (Sardha)
- vilīyate : löst er sich (schließlich) auf (vi + lī)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass hier der tiefe (Ghana) bzw. (Va) feine (Sukshma) Klang (Nada) gemeint ist: ghane sūkṣme vā nāde (vgl. Vers 88 dieses Kapitels).
Laut Brahmananda werden in diesem Vers nacheinander die Stufen von Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi beschrieben: das Zurückziehen der Sinne (Pratyahara) auf ein inneres Meditationsobjekt, das Fixieren und auschließliche sowie dauerhafte Halten (Dharana) der Aufmerksamkeit auf diesem Objekt, und die letztendliche, sich an die Meditation (Dhyana) anschließende Absorbierung (Samadhi) des Geistes, was seiner "Auflösung" (Laya) gleichkommt.
Kapitel 4 Vers 90:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- makarandam : den Nektar (einer Blüte, Makaranda)
- piban : wenn sie trinkt ("trinkend", pā)
- bhṛṅgī : eine (große schwarze) Biene (Bhringi)
- ghandham : den Duft (Gandha)
- na : nicht (Na)
- apekṣate : beachtet (apa + īkṣ)
- yathā : wie (Yatha)
- nādāsaktam : auf den Klang (Nada) konzentriert ("haftend", Asakta)
- tathā : so (Tatha)
- cittam : der Geist (Chitta)
- viṣayān : nach den Sinnesobjekten (Vishaya)
- na : nicht
- hi : gewiss (Hi)
- kāṅkṣate : strebt ("wünscht", kāṅkṣ)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 91:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- mano-matta-gajendrasya : (diesen) Fürsten (Indra) von einem brünftigen (Matta) Elefanten (Gaja in Form des) Geistes (Manas)
- viṣayodyāna-cāriṇaḥ : (welcher) im Garten (Udyana) der Sinnesobjekte (Vishaya) umherstreift (Charin)
- samarthaḥ : ist fähig, in der Lage (Samartha)
- ayam : dieser (Ayam)
- niyamane : zu bändigen (Niyamana)
- nināda-niśitāṅkuśaḥ : (innere unangeschlagene) Klang, Ton (Ninada, so wie) ein spitzer ("geschärfter", Nishita Elefanten-)Stachel (Ankusha)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 92:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- baddham : gebunden (ist, Baddha)
- tu : aber, hingegen (Tu)
- nāda-bandhena : durch die Fessel (Bandha) des (unangeschlagenen) Tones (Nada)
- manaḥ : (wenn) der Geist (Manas)
- santyakta-cāpalam : (und sein) unstetes Wesen (Chapala) aufgegeben (hat, Santyakta)
- prayāti : gelangt ("geht" er, Prayata)
- sutarām : vollständig, in höchstem Maße (Sutaram)
- sthairyam : (zu einem Zustand der) Unbeweglichkeit ("Festigkeit", Sthairya)
- chinna-pakṣaḥ : (dessen) Flügel (Paksha) beschnitten (worden sind, Chhinna)
- kha-gaḥ : ein Vogel ("Luftraum-Gänger", Khaga)
- yathā : wie (Yatha)
Erläuterungen
Kapitel 4 Vers 93:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- sarva-cintām : alle (Sarva) Gedanken (Chinta)
- parityajya : aufgebend ("aufgegeben habend", pari + tyaj)
- sāvadhānena : mit konzentriertem (Savadhana)
- cetasā : Geist (Chetas)
- nādaḥ : (der unangeschlagene) Klang, Ton (Nada)
- eva : nur, allein (Eva)
- anusandheyaḥ : soll im Fokus der Aufmerksamkeit sein (Anusandheya)
- yoga-sāmrājyam : nach uneingeschränkter Beherrschung (Samrajya) des Yoga
- icchatā : (eines Yogin mit dem) Wunsch ("wünschend", iṣ)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 63 behandelt.
Kapitel 4 Vers 94:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nādaḥ : der (unangeschlagene) Klang, Ton (Nada)
- antar-aṅga-sāraṅga-bandhane : hinsichtlich des Einfangens ("Bindens", Bandhana) der Antilope (Saranga in Form) des Geistes ("inneres Glied", Antaranga)
- vāgurāyate : ist wie ein Netz (Vaguray)
- antar-aṅga-kuraṅgasya : (in Form) des Geistes (Antaranga) der Antilope (Kuranga)
- vadhe : hinsichtlich des Erlegens (Vadha)
- vyādhāyate : ist wie ein Jäger (Vyadhay)
- api : auch (Api)
- ca : und (Cha)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 53 behandelt.
Kapitel 4 Vers 95:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- antar-aṅgasya : (in Form) des Geistes (Antaranga)
- yaminaḥ : eines gezügelten, selbstbeherrschten (Yogin, Yamin)
- vājinaḥ : des Rennpferdes (Vajin)
- parighāyate : (der unangeschlagene Ton) ist wie ein Riegel (vor der Stalltür, Parighay)
- nādopāstiḥ : die Meditation ("Verehrung", Upasti über) den unangeschlagenen) Klang, Ton (Nada)
- ataḥ : deshalb, daher (Atas)
- nityam : täglich ("immer", Nitya)
- avadhāryā : ist auszuführen ("sich anzueignen", Avadharya)
- hi : gewiss (Hi)
- yoginā : durch den Yogin
Erläuterungen
Das Subjekt dieses Satzes, der unangeschlagene Ton (Nada), ist aus dem vorangehenden Vers 4.94 zu ergänzen.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 74 behandelt.
Kapitel 4 Vers 96:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- baddham : (wenn er bzw. es) gebunden ist (Baddha)
- vimukta-cāñcalyam : befreit (Vimukta) von (seiner) Unstetheit, Flüssigkeit (Chanchalya)
- nāda-gandhaka-jāraṇāt : aufgrund des Reagierens, Verwandeltwerdens ("Oxydierens", Jarana) mit Schwefel (Gandhaka in Form des unangeschlagenen) Tones (Nada)
- manaḥ-pāradam : das Quecksilber (Parada in Form) des Geistes (Manas)
- āpnoti : erreicht, erlangt (āp)
- nirālambākhya-khe : im leeren Raum (Kha) names ("mit der Bezeichnung", Akhya) ohne Stützen (Niralamba)
- aṭanam : das Wandeln, Gehen (Atana)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit dem als "ohne Stützen (Niralamba) bezeichneten (Akhya) Raum (Kha)" das Brahman gemeint ist: nirālambaṃ brahma.
Einen ähnlichen Vergleich, nämlich zwischen Quecksilber (Rasa) und Vayu bzw. Prana, enthält der Vers 4.27 dieses Kapitels.
Kapitel 4 Vers 97:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- nāda-śravaṇataḥ : aufgrund des Hörens (Shravana) des (unangeschlagenen) Tones (Nada)
- kṣipram : schnell, geschwind (Kshipra)
- antar-aṅga-bhujaṅgamaḥ : die Schlange (Bhujangama in Form) des Geistes (Antaranga)
- vismṛtya : vergessend ("vergessen habend", vi + smṛ)
- sarvam : alles (andere, Sarva)
- eka-agraḥ : völlig konzentriert ("ein-spitzig", Ekagra)
- kutra cit : irgendwo (anders hin, Kutra Chid)
- na : nicht (Na)
- hi : gewiss (Hi)
- dhāvati : läuft (dhāv)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass der Geist ([[Antaranga) mit einer Schlange (Bhujangama) verglichen werden kann, weil diese sehr beweglich (Chapala) ist und Töne (Nada) liebt (Priya): capalatvān nāda-priyatvāc ca.
Das Bild hebt auf eine Kobra ab, die einem Flöte spielenden Schlangenbeschwörer mit dem Kopf folgt und stillsteht, wenn die Bewegung der Flöte aufhört.
Kapitel 4 Vers 98:
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kāṣṭhe : an einem Holzscheit (Kashtha)
- pravartitaḥ : das brennt ("zu Werke geht, wirksam ist", Pravartita)
- vahniḥ : ein Feuer (Vahni)
- kāṣṭhena : dem (verbrannten) Holzscheit
- saha : zusammen mit (Saha)
- śāmyati : verlischt ("kommt zur Ruhe", śam)
- nāde : auf den (unangeschlagenen) Ton (Nada)
- pravartitam : konzentriert ("verweilend")
- cittam : der Geist (Chitta)
- nādena : mit dem Ton, Klang
- saha : zusammen
- līyate : löst sich auf, wird absorbiert (lī)
Erläuterungen
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 98 behandelt.
Weblinks
- hathapradipika.online English
- The Hatha Yoga Project University of London
- Hatha Yoga Pradipika Yoga Vidya
Siehe auch
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